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Emmanuel Macron erhielt am Donnerstag den Karlspreis. Er ermutigte vor allem junge Europäer, die Initiative für ihre gemeinsame Zukunft in Europa zu ergreifen.

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Sowohl Macron als auch Merkel sprachen sich in Aachen für ein gemeinsames Europa aus und betonten, wie wichtig der Zusammenhalt sei.

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"Wir dürfen keine Angst haben. Und wir dürfen nicht weiter zuwarten. Wir müssen handeln, liebe Angela. Jetzt." Die Sätze, die Emmanuel Macron am Donnerstag im Finale seiner Ansprache zur Verleihung des Karlspreises wählt, prasseln wie Hammerschläge auf die hunderten Zuhörer im historischen Krönungssaal des Aachener Rathaus herab. Der französische Staatspräsident hat sich bis dahin sichtlich und hörbar warmgeredet. Er hat erklärt, wie und warum die Europäer näher zusammenrücken müssen, um die Herausforderungen in der Welt erfolgreich bestehen zu können. Welche Reformen dringlich seien, damit der wirtschaftliche Erfolg, Digitalisierung und Modernisierung Europas gelingen können.

Und Macron hat vor dem Hintergrund der jüngsten Eskalation in Nahost "vier Imperative für Europa" aufgestellt, von denen man sich "beim Kampf um den Erhalt der Demokratie und des Rechts gegen den Nationalismus und autoritäre Tendenzen" leiten lassen müsse. Wie "süße Musik" greife dieser Nationalismus, der die EU und ihr Friedensprojekt bedrohe, um sich.

"Keine Zeit verlieren"

"Keine Zeit verlieren, sofort handeln", war der vierte Imperativ. Davor hatte Macron dazu aufgerufen, dass "wir nicht schwach sein dürfen". Sonst würden andere Mächte und Regierungen in der Welt entscheiden, was in Europa passiere, beim Außenhandel ebenso wie beim Iranabkommen. Die Europäer dürften sich aber ebenso "nicht spalten lassen", müssten eine neue Einheit finden. Und sie dürften, dritter Imperativ, "keine Angst haben vor dem, was vor uns liegt".

Der französische Präsident Emmanuel Macron wurde für seine Verdienste um Europas Einigung mit dem internationalen Karlspreis ausgezeichnet.
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Direkt vor dem Präsidenten sitzt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die eine Laudation hielt, ihn für seine Leidenschaft pries und dafür, dass er die Zögernden mit seiner Begeisterungsfähigkeit anstecke. Sie flocht auch ein, dass mit dem Franzosen – wörtlich – "ein junger Mann die europäische Bühne betreten hat", für den das offene Europa und der Euro "eine Selbstverständlichkeit" sei, schließlich sei er "am Ende des Kalten Krieges elf oder zwölf Jahre alt gewesen". Das wirkte ein wenig so, als würde eine Oma über ihren begabten Enkel reden, was selbstredend nichts daran änderte, dass sie den "lieben Emmanuel" in höchsten Tönen pries. Der "weiß, was Europa im Innersten zusammenhält und wie Europa sich entwickeln soll"

Verpasste Gelegenheiten

Vielleicht war es das, was Macron in seiner Rede so deutlich werden ließ, was das deutsche Zögern betrifft, "wir manche Gelegenheit verpasst haben". Dass er die Stärkung und Vertiefung der EU mit Leidenschaft verfolgt, hat er im ersten Jahr seiner Amtszeit bei mehreren "großen Reden" unter Beweis gestellt. Bei einem Auftritt an der Universität Sorbonne im vergangenen Herbst hatte er ehrgeizige Ausbaupläne zum Euro vorgelegt, bis hin zu einem gemeinsamen EU-Finanzminister und einem eigenen Investitionsbudget für die Eurozone. Im März trommelte er im EU-Parlament für die Verteidigung der europäischen Demokratie gegen die Tendenzen hin zu autoritären Regierungen wie in Ungarn oder Polen.

Aber die Rede, die er nun in Aachen hielt, war von einer Dringlichkeit und Eindringlichkeit, wie man sie nie gehört hat, schon gar nicht in Deutschland unter Merkel: Macron sieht offenbar nicht einfach nur die Union in Gefahr, sondern auch in einem viel größeren globalen Rahmen die jahrhundertelange europäische Kultur und Tradition, wenn "man sich von der Tyrannei der Ereignisse" treiben lasse statt "selber die Dinge in die Hand zu nehmen".

Der Eindruck verstärkte sich durch den Ort. Aachen, die ehemalige Kaiserpfalz von Karl dem Großen, ist historisch einer der ersten und ältesten Plätze in Europa mit paneuropäischen Traditionen zwischen Deutschland und Frankreich: das "christliche Abendland".

Wucht der Geschichte

"Singt dem Himmelkönig Lieder, Festesfreude füllet wieder Karls des Großen Heiligtum!" Dieser Text aus der Karlshymne, geschrieben im 12. Jahrhundert, erschallt traditionell jedes Jahr im Krönungssaal des Rathauses von Aachen, wenn die Stadt ihren Karlspreis für große Verdienste um Frieden und die europäische Einigung vergibt. Die Festgemeinde, Politiker, Künstler, hunderte "Bürger von Aachen", intonieren sie in den historischen Gemäuern auf Lateinisch. Das Rathaus ist auf den Grundfesten der Königshalle Karls des Großen, des Frankenkönigs gebaut.

Die Wucht der Geschichte war also riesig bei der Karlspreisfeier, so wie die politischen Probleme in Europa und auf globaler Ebene, wie der Bürgermeister zu Begrüßung mit dem Verweis auf die Iran-Entscheidung des US-Präsidenten betonte. Mit Macron ehre man, "den derzeit größten Impulsgeber für die Vereinigung Europas", wie es in der Würdigung hieß. Die Latte lag also auch für die deutsche Kanzlerin hoch, die die Laudatio auf Macron hielt, "eine mit Spannung erwartete Rede", wie der Stadtchef anmerkte.

Aber Merkel blieb relativ verhalten. Anders als der Franzose ("Wir brauchen eine Vision für die nächsten 30 Jahre") präsentierte sie keine hochfliegenden Pläne. Sie zeigte sich lediglich überzeugt, dass man bis Juni einen gemeinsamen deutsch-französischen Vorschlag zur Eurovertiefung vorlegen werde, Asyl- und Migrationspolitik auf EU-Ebene müsse ebenso gestärkt werden wie die gemeinsame Außenpolitik. Routiniertes politisches Alltagsgerede. Auffällig war auch, dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, selbst Karlspreisträger, an der Feier nicht teilnahm.

Herausforderung

Die Kanzlerin betonte, dass sie in der neuen Gewalt im Nahen Osten "vor unserer Haustür" die große Herausforderung sieht. "Die Eskalationen der vergangenen Stunden zeigen uns, dass es wahrlich um Krieg und Frieden geht", sagte Merkel bei der Zeremonie. Gemeinsame europäische Außenpolitik sei "existenziell notwendig" für die EU. "Es ist nicht mehr so, dass die Vereinigten Staaten von Amerika uns einfach schützen werden", sagte Merkel.

Sie bezeichnete die Lage in Nahost und speziell Syrien als "extrem kompliziert" und rief alle Beteiligten zur "Zurückhaltung" auf. Merkel bezog sich dabei auf die nächtlichen Angriffe der israelischen Armee auf iranische Stellungen in Syrien, die diese nach eigenen Angaben als Reaktion auf iranische Angriffe auf den Golan gestartet hatte.

Ganz anders Macron. Er konzentrierte sich ganz auf Grundsätzliches zu Europa, drängte die EU und Deutschland zu energischen und schnellen Reformschritten. Es gehe darum, dass die Europäer Souveränität behaupten und neu entwickeln, und nicht nur Entscheidungen anderer Mächte "zu erleiden". Man müsse zusammenrücken, denn "Spaltung führt zu Lähmung", warnte er. Die EU-Staaten dürften zudem Verletzungen der Rechtsstaatsprinzipien nicht hinnehmen, sondern müssten ihre gemeinsame kulturelle Identität offensiv betonen.

Über den Schatten

Die Europäer müssten zudem mutiger sein und "über ihren Schatten springen", sagte Macron und verwies darauf, dass dies eine gemeinsame Herausforderung sowohl für Frankreich wie für Deutschland sei. Frankreich müsse deshalb etwa eine Änderung der EU-Verträge und die Stärkung der Regeln in der EU akzeptieren, damit weniger öffentliches Geld ausgegeben werde. "Aber analog dazu kann es in Deutschland auch keinen Fetisch geben, der Haushalts- und Handelsüberschuss heißt. Denn das geht immer auf Kosten anderer", merkte der Präsident spitz an.

Der Preisträger war bereits am Tag vor der Preisverleihung nach Aachen gekommen, hatte an Veranstaltungen mit Jugendlichen und deren Projekten teilgenommen, spornte sie an, selber die Initiative zu ergreifen für ihre gemeinsame Zukunft in Europa, dass sie ihr Augenmerk auf Innovation, Klimaschutz, auf eine Erneuerung der Solidargemeinschaft richten müssten. Donnerstagnachmittag traf er sich mit Studierenden an der Technischen Hochschule. (Thomas Mayer aus Aachen, 10.5.2018)