Rückkehr zur feurigen Folklore: Im Iran wurden bei Demos Bilder von US-Präsident Trump verbrannt.

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Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat seit der Existenz des Abkommens ab Juli 2015 kein gutes Haar daran gelassen. US-Präsident Donald Trump hatte dessen Kritik bereits im Wahlkampf 2016 bereitwillig aufgegriffen und angekündigt, es zerreißen zu wollen, zumal es auch multilateral ist und von seinem Vorgänger Barack Obama verhandelt wurde. Dabei spielt keine Rolle, dass der Iran die Bestimmungen des Abkommens genau befolgte. Der saudische Kronprinz Mohammed stimmte in den Chor mit ein, sah er darin doch die Chance, Verbündete gegen den ungeliebten Nachbarn zu finden.

Kein Abkommen ist perfekt

Das brachte die europäischen Unterzeichner des Übereinkommens Großbritannien, Frankreich und Deutschland in Bedrängnis. Einerseits wollen sie im Gegensatz zu Trump Vertragstreue beweisen, andererseits Netanjahu und Trump nicht beleidigen. Bereits im Jahre 2016 hörte man plötzlich Töne, dass das Nuklearabkommen (JCPOA) wirksam, aber nicht perfekt sei. Plötzlich gab es zahlreiche Experten und Wissenschafter, die diese Argumente auch zu beweisen versuchten. Die europäischen Politiker übernahmen bereitwillig Netanjahus und Trumps Vorwürfe, dass der Iran sich in der Region aggressiv verhalte und ein gefährliches Raketenprogramm betreibe. Diese haben mit dem JCPOA nichts zu tun.

Im April dieses Jahres trafen sich die Regierungschefs Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands nochmals in Brüssel, wo sie bekräftigten, mit diesen Argumenten Trump besänftigen zu wollen. Das taten sie dann auch. Der französische Präsident Emmanuel Macron schlug ein neues Abkommen vor, das die vermeintlichen Schwächen des alten ausbessern würde, ohne es jedoch aufzukündigen. Es ist dies ein Zaubertrick, der nicht funktioniert. Wie können die zeitlichen Beschränkungen einiger nuklearer Aktivitäten des Iran, die im Vertrag festgeschrieben sind, verlängert werden, ohne diesen vorher außer Kraft zu setzen? Die deutsche Kanzlerin schielte bei ihrem Besuch in Washington auf Trump, während sie versicherte, dass der Vertrag ohnehin nicht ausreichend sei. Der britische Außenminister Boris Johnson wies auf die Mängel des Abkommens hin, bevor er erklärte, dass man es doch behalten sollte.

Diese drei Spitzenpolitiker haben nicht vorbehaltlos das Abkommen verteidigt, wie es sie es jetzt darstellen. Das Verhalten der europäischen Besucher in Washington war zu wenig, um Netanjahu, Trump und Mohammed davon abzuhalten, den Iran für sein ihm vorgeworfenes ungebührliches Verhalten zu bestrafen. Sie haben die Entscheidung über die Zukunft des Abkommens letztlich den USA überlassen. Federica Mogherini versuchte vergeblich immer wieder, die Mitgliedstaaten darauf hinzuweisen, dass der Vertrag sui generis einen großen Wert habe.

Wenn die europäischen Regierungschefs das Abkommen retten wollen, müssten sie sich ohne Bedingungen hinter die Außenbeauftragte der EU stellen und das Abkommen gemeinsam aufrechterhalten. Das wäre ein Leichtes für sie, ist es doch das am besten ausgehandelte Rüstungskontrollabkommen der Geschichte. Kein Abkommen ist "perfekt", und es existiert auch kein perfekteres! Dafür ist jetzt wahrscheinlich zu spät.

Ein Szenario könnte etwa so aussehen: Nachdem die USA das JCPOA verlassen haben, versucht der Iran mit den anderen Unterzeichnermächten Europas, Russland und China im Abkommen zu bleiben. Die Europäer werden zunächst rhetorisch daran festhalten, aber nach einer gewissen Zeit aus Angst vor amerikanischen Sanktionen, mit denen Trump in seiner Ansprache wieder gedroht hat, ihm nicht viel Widerstand entgegensetzen. Die Wirtschaftsbeziehungen der EU mit den USA sind etwa zwanzig Mal höher als die mit dem Iran. Einzelne europäische Unternehmen werden darunter leiden. Es ist schon fast gleichgültig, ob der Iran sein heruntergefahrenes Nuklearprogramm wieder hochfährt. Israel drängt die USA wegen Irans Gesamtverhalten zur Militärintervention, in Syrien ist es eben selber aktiv geworden. Entweder ein Einschlag einer Rakete im Norden Israels, deren Herkunft dem Iran zugeschrieben wird, oder ein Zwischenfall in der Straße von Hormus zwischen einem iranischen Schnellboot und einem amerikanischen Kriegsschiff könnten der Anlass dafür sein. Das ist der vielzitierte Plan B! Dahinter steht die Hoffnung auf den Sturz des Regimes mithilfe der Opposition. Das Gegenteil könnte eintreten! Die Gegner des Abkommens im Iran werden gestärkt werden.

Einer Studie der Universität Stanford zufolge würde eine deutliche Mehrheit der Amerikaner selbst den Einsatz von Nuklearwaffen und bis zu zwei Millionen iranische Opfer akzeptieren. Die Situation wird analog zu den Atombombenabwürfen auf Japan 1945 gesehen.

Und der Iran?

Der Iran selbst könnte mehr dazu tun, um dieser Entwicklung aktiv gegenzusteuern, als den USA und Israel Aggression vorzuhalten. Er könnte beispielsweise ankündigen, der nuklearwaffenfreien Zone in Zentralasien beizutreten, wenn die USA im Gegenzug diesen Vertrag ratifizieren, was die Verpflichtung einschließt, die Mitglieder dieser Zone nicht nuklear zu bedrohen. Das wäre für den Iran kein großer Aufwand, hatte er sich doch selbst im Wiener Nuklearabkommen bereits für nuklearwaffenfrei erklärt. Der Iran könnte auch selbst regionale Rüstungskontrollverhandlungen über Raketen vorschlagen, die auch diejenigen Saudi-Arabiens einschließen, die schon jetzt eine längere Reichweite haben als die des Iran.

Wie so oft taumeln Mächte bewusst oder durch Unterlassung in einen neuen Krieg. Die Konsequenzen müssen alle tragen, die nicht von Beginn an den Mut hatten, vorbehaltlos hinter dem Wiener Abkommen zu stehen. (Heinz Gärtner, 10.5.2018)