Alles sehr schön aufgeräumt auf den Feldern. Das ist für die Produktion gut, für vieles, was sonst noch kreucht und fleucht, eher nicht.

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Christoph Schäfers hält das System für ausgereizt. Jetzt gelte es neue Technologien sinnvoll zu nutzen.

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Der Beschluss der EU, sogenannte Bienenkiller zu verbieten, rief bei Umweltschutzorganisationen Jubel hervor. Heimische Rübenbauern hingegen sind verzweifelt. Sind nun die Bienen gerettet und manche Bauern dem Untergang geweiht? Weder das eine noch das andere, sagt der Ökotoxikologe Christoph Schäfers. Dennoch stoße das System an seine Grenzen.

STANDARD: Landwirte müssen künftig auf drei Neonicotionide verzichten. Auch Glyphosat ist immer weniger gelitten. Verwendet die konventionelle Landwirtschaft zu viel Chemie?

Schäfers: Das ist eine politische Frage. Als ehemaliges Mitglied im Sachverständigenausschuss zur Zulassung von Pflanzenschutzmitteln kenne ich den Zulassungsbetrieb gut. Allem, was sich diesbezüglich als neues Probleme erweist, wird Rechnung getragen. Dennoch ernähre ich mich, wenn es geht, von ungespritzter heimischer Kost.

STANDARD: Bienen haben diese Wahl nicht. Sind sie mit dem Verbot gerettet?

Schäfers: Die Imker haben eine ganze Reihe an Problemen. Die Varroamilbe spielt eine Rolle, aber auch bestimmte Zuchtstämme. Die Neonicotinoide sind sicher nicht ganz unschuldig, aber nur ein Teil der Angelegenheit. Schließt man diese Neonicotinoide aus, will aber weiter Pflanzenschutzmittel anwenden, bleiben nur unspezifischere Stoffe.

STANDARD: Heißt das, man handelt sich neue Probleme ein, weil das giftiger für den Rest der Welt ist?

Schäfers: Das Zulassungsverfahren wird von Dutzenden von Wissenschaftern überwacht. Es fließen bei jeder Wiederzulassung auch immer alle neuen Erkenntnisse ein. Die Pflanzenschutzmittelindustrie versucht immer Neues zu entwickeln. Es gibt aber keine Wirkung ohne Nebenwirkung.

STANDARD: Irgendetwas oder irgendjemanden trifft es also immer?

Schäfers: Wir müssen bei jedem Mittel, das auf den Markt kommt, die Wirkung auf die Gesundheit von Anwender und Verbraucher und auf die Umwelt betrachten. Aber an erster Stelle steht die Wirkung. Ein Mittel, das nicht wirkt, darf nicht auf den Acker, sonst wäre Müllentsorgung einfach. Und es muss ähnlich wirken wie Referenzmittel. Wenn wir uns von den unspezifischeren Mitteln verabschieden und zu spezifischeren greifen, um Vögel, Kleinsäuger und uns selbst zu schützen, dann hat das Folgen: Jedes Pflanzenschutzmittel, das einen guten Job macht, trifft alle Organismen, die verwandt sind mit dem Zielorganismus. Aus dieser Zwickmühle kommt man nicht raus.

STANDARD: Das klingt nicht nach der einen großen Lösung.

Schäfers: Ich gehe davon aus, dass das Insektensterben und ein möglicher Rückgang an Vögeln auf die Intensität der Landwirtschaft zurückzuführen sind. Neonicotinoide sind da ein Mosaiksteinchen. Welchen Anteil sie haben, ist wahrscheinlich kaum zu bewerten. Zentral ist, dass immer größere Flächen mit immer einheitlicheren Anbaufrüchten bearbeitet werden, mit immer mehr Großmaschineneinsatz und weniger Blühstreifen. Es gibt kaum noch Brache. Die Landwirtschaft ist auf einer industriellen Schiene unterwegs. Will man daran etwas ändern, braucht es Gesamtkonzepte.

STANDARD: Ist mehr Bio und Ökologie die Lösung?

Schäfers: Wir setzen immer auf Wachstum. Dazu müssen wir immer noch mehr Ertrag aus der Fläche holen, mit größeren Maschinen und weniger Maschinenstunden immer noch höhere Effektivität schaffen. Die Folge ist, dass die Nahrungsmittel so billig werden, dass sie auch nicht mehr wertgeschätzt werden. Eigentlich ist aber klar, dass die Ressource land- wirtschaftlich nutzbare Fläche irgendwann am Ende ist. Vorher müssen wir unser Denken umstellen auf ein Ökonomiesystem, das mit einer Obergrenze arbeitet. Das ist nur erreichbar, wenn die Landwirtschaft zunehmend spe-zialisiert unterschiedliche, hochwertige Anbaufrüchte in einem intensiven Wertschöpfungsnetz anbaut.

STANDARD: Wie könnte das konkret aussehen?

Schäfers: Indem man passend zu den lokalen Boden- und Kleinklimaverhältnissen neben Nahrung auch Stoffe erzeugt, deren Erstverarbeitung möglichst auf dem Hof erfolgt, um höhere Wertschöpfung zu erreichen. Kautschuk aus Löwenzahn oder Kaskadennutzungen wie Avenanthramide aus Haferspelzen, die zusätzlich zum Haferkorn gewonnen werden und den Haferanbau wieder konkurrenzfähig machen könnten, wären etwa Beispiele. Die Diversität im Anbau steigt und dient der Ökonomie. Das geht nur mit modernster Technologie, wie digital unterstützter, automatisierter Feldbearbeitung und vernetzten Produktions- und Nutzungsketten. Dann hat auch der Mittelstand wieder eine Chance. Wir müssen jedenfalls weg von der Agrarförderung über die Fläche, wo es immer nur um quantitatives Wachstum geht. Das ist zum Scheitern verurteilt.

STANDARD: Was kann man jetzt sofort zum Beispiel den österreichischen Rübenbauern raten, die künftig auf Neonicotinoide verzichten müssen? Diese verzweifeln an einem Schädling, der ihnen die Ernte vernichtet.

Schäfers: Das geht nicht im Handumdrehen. Aber es existiert ja noch ein großes Wissen über Anbausysteme mit Fruchtfolgen und Zwischen- oder Nebensaaten, die den Schädlingsdruck senken. Das Wissen kann wieder reaktiviert und um neue Anbaupflanzen erweitert werden, wenn man digital und kleinräumiger arbeitet. Aber das braucht natürlich auch seine Übergangszeit.

STANDARD: Würde der Übergang von einem zum anderen System nicht Produktivitätsrückgang und Preissteigerung bedeuten?

Schäfers: Wir brauchen vor allem ein Umdenken in der Gesellschaft. Österreich ist nicht besser als Deutschland im Hinblick darauf, welcher Anteil am Gehalt für Lebensmittel ausgegeben wird. Wir liegen 20 Prozent unter dem EU-Schnitt und haben mit Ausnahme von Tschechien das billigste Essen in der EU bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt. Wir müssen bei Lebensmitteln teurer werden und bereit sein, so viel auszugeben wie etwa die Franzosen und Polen, die qualitativ höhere Lebensmittel schätzen.

STANDARD: Gibt es gute Argumente gegenüber Konsumenten?

Schäfers: Wir produzieren in Deutschland Billigschweinefleisch, 50 Prozent davon für den Export. Wir nutzen als Futter Soja aus Südamerika, entziehen den dortigen Böden den Stickstoff und laden ihn über die Gülle in unser Grundwasser ab, wodurch wir die EU-Trinkwasserqualitätskriterien nicht mehr erfüllen. Da ist doch etwas nicht in Ordnung. (Regina Bruckner, 11.5.2018)