In der Lavaterstraße bietet sich das Flachdach für eine großflächige Fotovoltaikanlage an.

Foto: Wien Energie/ Foto by Hofer /Christian Hofer

Ein städtisches Kraftwerk statt Urban Gardening wird demnächst auf dem Flachdach eines bestehenden Mehrparteienhauses in der Lavaterstraße im 22. Bezirk entstehen. Der Strom wird Heizelemente von Toastern erhitzen, die Trommeln der Waschmaschinen drehen und bei Bewohner Karl Reisinger vor allem auch die Musikanlage, den Fernseher und den Biertender betreiben. Der Pensionist ist einer der ersten Mieter einer größeren Wohnhausanlage in Wien, der bald Sonnenstrom direkt vom eigenen Dach in seiner Wohnung nutzen wird.

Gemeinsam mit der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA) errichtet Wien Energie dieses Projekt im 22. Bezirk. Von rund 70 Haushalten waren 38 dafür. "Einige mehr werden sich wohl noch anschließen", hofft Reisinger, der als Vorsitzender des Mieterbeirats versucht hat, möglichst viele Nachbarn zu motivieren. Persönlich hat er bei allen angeläutet und Mietertreffen mitorganisiert. "Für mich ist Umwelt- und Klimaschutz wichtig", sagt der 79-Jährige. Er hat aus der Zeitung erfahren, dass die kleine Ökostromnovelle, die seit heuer in Kraft ist, es Mietern ermöglicht, Strom von PV-Anlagen vom Dach selbst zu konsumieren. Zuvor konnte der auf dem Dach erzeugte Strom aus rechtlichen Gründen nur für Gemeinschaftseinrichtungen wie Waschküchen oder Stiegenhäuser verwendet werden.

Neue Geschäftsmodelle

"Die Möglichkeit, Solarstrom unter den Hausparteien aufzuteilen, eröffnet uns neue Geschäftsmodelle, mit denen wir den Fotovoltaikausbau in Wien enorm voranbringen werden", erklärt Michael Strebl, Geschäftsführer von Wien Energie, bei der Präsentation. Die Rechnung geht für ihn auf, weil die PV-Anlage genug Einnahmen generiert. Wenn es nach ihm geht, sollen bis zum Jahresende 1.000 Wienerinnen und Wiener mit hausgemachtem Strom versorgt werden. PV sei in der Stadt die geeignetste Form, erneuerbare Energie auszubauen.

Für die Nutzer des hauseigenen Ökostroms gibt es einen eigenen Tarif (gezahlt wird nur, was verbraucht wird) ohne Grundgebühr mit einem Jahr Bindung. Wer danach nicht zufrieden ist, kann wechseln. Der Strom kostet 9,9 Cent pro Kilowattstunde (10,9 Cent/kWh für Nicht-Wien-Energie-Kunden). Somit ersparen sich die Nutzer 1,71 Cent gegenüber dem normalen Netztarif von Wien Energie. Als Nicht-Wien-Energie-Kunde würde man sich 0,71 Cent sparen. Der günstigere Preis ergibt sich aufgrund des Wegfalls von Netzgebühren und Abgaben. Dazu kommt noch ein Messentgelt von 50 Cent pro Monat. 400 Quadratmeter Dachfläche wird die Fotovoltaikanlage auf dem Hausdach in der Lavaterstraße einnehmen und rund 60.000 Kilowattstunden Solarstrom pro Jahr erzeugen.

Ein Drittel des Jahresbedarfs

Bei normalem Verbrauch kann jeder teilnehmende Haushalt rund 30 Prozent seines Jahresstrombedarfs vom eigenen Hausdach abdecken. Reich wird man damit nicht, es geht eher ums Prinzip. Dafür kommen auf die Mieter keine Investitions-, Wartungs-, oder Betriebskosten zu. Wien Energie investiert knapp 80.000 Euro an dem Standort. Die Inbetriebnahme ist für Herbst geplant.

Die Anlage ist so dimensioniert, dass ein Teil des erzeugten Solarstroms am Standort verbraucht wird, der Überschussstrom fließt ins Netz. Berufstätige brauchen den Strom zwar hauptsächlich morgens und abends, wenn wenig Sonne scheint. "Für sie ist der Sonnenstrom vom Dach aber dennoch eine Option, weil es Geräte wie den Kühlschrank gibt, die auch tagsüber Energie brauchen. Außerdem lassen sich viele Haushaltsgeräte wie Waschmaschine und Geschirrspüler schon automatisch steuern und können auch von unterwegs eingeschaltet werden", so WBV-GPA-Chef Michael Gehbauer, zu dessen Unternehmensphilosophie auch die Vorreiterrolle im PV-Ausbau gehört, wie er betont.

Hohe Investitionen

Auch Wien Energie kommt die neue Gesetzeslage entgegen, der Energieanbieter wird in den nächsten Jahren 100 Millionen Euro in neue PV-Anlagen investieren und plant bis 2030 eine zusätzliche installierte PV-Leistung von 600 Megawatt. Das entspricht einer Fläche von rund 1.300 Fußballfeldern. In den nächsten Wochen sollen weitere Projekte präsentiert werden. Gespräche mit allen relevanten Baugenossenschaften und Wohnbauträgern sind im Gange. "Eine Gemeinschafts-PV-Anlage lohnt sich aus unserer Sicht auf bis zu zehn Prozent der Mehrfamilienhäuser", so Strebl, der das größte Potenzial vor allem bei den Neubauten ortet. (Marietta Adenberger, 13.5.2018)