Möglicherweise ist Israel bald wieder im Krieg, diesmal mit dem Iran. Wir in Europa betrachten das mit Sorge, teils aus Furcht vor einer unkontrollierbaren Entwicklung, die auch uns beträfe, teils aus Sorge um Israel selbst. Das Überleben dieses Staates ist immer noch das Anliegen aller, die eine Verantwortung für die Ungeheuerlichkeit des Holocaust spüren.

Junge Österreicher, die im Bewusstsein dieser Ungeheuerlichkeit lebten, verfolgten den Aufstieg des jungen Israel mit Sympathie, Solidarität und Bewunderung. Die Erzählung von den tapferen Israelis, die sich gegen ein Meer von Feinden durchsetzten und gleichzeitig einen Staat – die einzige Demokratie des Nahen Ostens – aufbauten, dominierte unser Israel-Bild. Gleichzeitig würzte der Humor der im deutschsprachigen Raum äußerst erfolgreichen Geschichten des Satirikers Ephraim Kishon (der einen Großteil des Witzes allerdings seinem Übersetzer Friedrich Torberg verdankte) die israelische Heroensaga. Die Israelis waren ja nicht nur äußerst tüchtige Krieger geworden, sondern auch die alten witzigen Kaffeehausliteraten geblieben!

Dass es auch eine palästinensische Seite dieser Geschichte gab, ja überhaupt die Existenz von Palästinensern selbst, wurde lange ausgeblendet. Erst heute geht die historische Forschung auf ihr Schicksal ein. Gelegentliche Begegnungen befremdeten wegen der Intensität des Hasses junger Palästinenser auf Israel. Als Israel im Sechstagekrieg 1967 die arabischen Armeen buchstäblich zerschmetterte, waren selbst die rechten Studenten und die alten Nazis unter den Professoren begeistert: "Wie der Rommel!", rief ein Ordinarius.

Mit dem Jom-Kippur-Krieg 1973, der Israel eine Zeitlang ernsthaft in Bedrängnis brachte, und den brutalen Terroranschlägen der PLO kam noch einmal ein Solidaritätsschub für den belagerten kleinen Staat. Bruno Kreisky war dann der erste europäische Politiker, der das bisher verdrängte Faktum thematisierte: Es gibt ein Palästinenserproblem, das man – auch im Interesse Israels! – lösen muss. Er war es, der die Frage stellte, wie lange denn Israel noch als Besatzungsmacht über Millionen Palästinenser herrschen wolle.

Bisher 51 Jahre und kein Ende in Sicht. Der "Friedensprozess" in den Neunzigerjahren und danach hatte zwar dazu geführt, dass sich viele arabische Staaten mit Israel arrangierten, dass die Palästinenser im Westjordanland und in Gaza eine gewisse Autonomie bekamen – aber die "Zweistaatenlösung" (Israel/Palästina) ist sehr, sehr fern. Möglicherweise ist sie überhaupt tot.

Auf beiden Seiten gibt es starke Kräfte, die keine Lösung wollen. Die palästinensischen Radikalen glauben, Israel werde irgendwann, irgendwie zum Verschwinden gebracht werden können. Die Ultrarechte in Israel will die "Gebiete" eines Tages annektieren. Was dann mit der Bevölkerung geschieht? In Jordanien ist viel Platz ...

Die Regierung Netanjahu, vor allem Netanjahu selbst, will den Status quo aufrechterhalten: Palästinenser unter Besatzungsregime halten, die Siedlungen stetig ausbauen, Aufstandsversuche einfach unterdrücken.

Hier halten wir. Unser Israel-Bild ist nach wie vor von dem unbedingten Wunsch geprägt, dass Israel in Frieden überlebe. Die wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen Israels sind eine Bereicherung der Welt. Aber die Frage, wie demokratisch und wie jüdisch Israel auf Dauer sein kann, wenn es auf unabsehbare Zeit über Millionen Muslime herrscht, muss gestellt werden und ist unbeantwortet. (Hans Rauscher, 11.5.2018)