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Wahlkampf für die Liste "Fath", auf der vor allem schiitische Milizen antreten. Sie sind eine neue starke Kraft in der irakischen Politik.

Foto: AP/Hadi Mizban

Die Stimmung ist vorsichtig optimistisch: Alleine dass diese Wahlen stattfinden können – vier Jahre nachdem der "Islamische Staat" die Millionenstadt Mossul erobert hatte -, beflügelt die Hoffnung auf Normalität und Stabilisierung. Die Iraker und Irakerinnen sind Meister der Resilienz und haben trotz aller Katastrophen der letzten Jahre ihren Wahlrhythmus seit 2005 nahezu durchgehalten. Regelmäßig wird seitdem ein Parlament gewählt.

Aber meist beginnen die Probleme damit erst richtig: Die Regierungsbildungen gestalten sich in der Regel lang und schwierig, nicht immer reflektiert das, was herauskommt, das Wahlergebnis. Denn für die Wahlen schließen Parteien Allianzen, die nach den Wahlen oft schnell zerbrechen und durch neue Konstellationen ersetzt werden.

2005, 2009 und 2014 galt jeweils auch, dass nicht der eigentliche Wahlgewinner Regierungschef wurde. Bei der Regierungsbildung 2006 kam Nuri al-Maliki als Kompromisskandidat ins Amt, er verlor 2009 knapp an Iyad Allawi, der aber an der Regierungsbildung scheiterte. Maliki blieb, gewann die Wahlen 2014 – und musste das Amt Haidar al-Abadi überlassen.

Wählen im Irak ist kein Prozess, der automatisch zu politischer Legitimation führt. Die Verfassung von 2005 und die darauffolgenden Wahlen beschleunigten durch die Entfremdung der Sunniten die Zentrifugalkräfte, die zum schiitisch-sunnitischen Bürgerkrieg führten. War das Wahlergebnis 2009 ein Hoffnungsschimmer, dass der demokratische Prozess auch etwas andere Wahlsieger hervorbringen konnte als religiöse Schiiten, so führten Malikis Verbleib 2009 und Sieg 2014 wieder zum Rückschlag: Das ebnete dem "Islamischen Staat" den Weg, den manche Sunniten als Alternative sahen. Sie erlebten den IS-Vormarsch als Aufstand gegen Bagdad.

Und nun also ein Neustart: Wieder gibt es Anlass zur Hoffnung, dass sich der Irak im Übergang von einer Identitätspolitik – entlang der Zugehörigkeit zu einer Religion und/oder Volksgruppe – zu einer sachbasierten Politik befindet. Die größeren Wahlblöcke sind gemischt, fast niemand wirbt mit konfessionellen Slogans, die andere ausschließen. Der wichtigste schiitische Geistliche, Ayatollah Ali Sistani, hat die Parteien aufgerufen, sich um Wirtschaft, Bildung und Soziales zu kümmern, und die Wähler, die Korrupten abzuwählen.

Wahlkämpfer Abadi

Besonders Abadi mit seiner "Sieg"-Liste (Nasr), deren Name sich auf den Sieg gegen den IS bezieht, ist national aufgestellt und versucht alle Wähler anzusprechen. Er war der erste schiitische Premier, der auch in der sunnitischen Provinz Anbar und in Kurdistan persönlich wahlkämpfte.

Allgemein gilt, dass die konfessionellen/ethnischen Blöcke sehr fragmentiert antreten. Das ist nicht ganz neu, und bisher fanden die einzelnen Gruppen nach der Wahl dann doch wieder auf Identitätsbasis zusammen. Das macht auch diesmal manche Wähler und Wählerinnen skeptisch: Es ginge ja doch nur darum, durch vorgetäuschte Diversität Stimmen zu bekommen. Aber immerhin ist es schon ein Fortschritt, wenn die Parteien meinen, so den Wählern gefallen zu können.

Bei den Schiiten gibt es außer Abadis "Nasr" noch dessen alten Konkurrenten Maliki mit "Rechtsstaat". Ein Produkt des Anti- IS-Kampfs der letzten Jahre ist die Liste "Eroberung" (Fath), ein Zusammenschluss hauptsächlich schiitischer Milizen – aber sogar sie haben Sunniten im Offert -, von denen manche offen am Tropf Teherans hängen. Ihr Führer ist Hadi al-Ameri. Eigentlich gibt es eine Regel, die Milizen die Kandidatur untersagt, aber sie war leicht zu umgehen. Wird "Fath" zu stark, wäre das ein neuer Schlag gegen die nationale Einheit.

Ein spannendes Experiment ist der einstmals wilde junge Schiitenführer Muqtada al-Sadr eingegangen, der mittlerweile den iranischen Einfluss im Irak bekämpft und deshalb auch in Saudi-Arabien seine Freunde hat: Er tritt gemeinsam mit den Kommunisten an. Sie haben sozusagen die gleiche Klientel, die vielen Armen.

Ebenso fraktioniert sind die Sunniten. Iyad Allawi, säkular mit schiitischem Hintergrund, versucht seinen Erfolg von 2009 zu wiederholen und bietet sich mit starken sunnitischen Kandidaten in seiner "Nationalen Allianz" Säkularen und Sunniten an. Allawi galt traditionell als Mann Saudi-Arabiens (das aber heute mit Abadi auch ganz gut leben kann). Osama al-Nujaifi hingegen, mit seiner Liste "Entscheidung" (Qarrar) ein Angebot für die Sunniten, gilt als "Türke".

Unsicherheit bei den Kurden

Doppelt speziell ist diese Wahl für die Kurden: Einerseits ist da die Erleichterung nach dem Sieg über den IS vor ihrer Haustür, zu dem sie selbst führend beigetragen haben, andererseits die Depression nach dem Unabhängigkeitsreferendum beziehungsweise den darauffolgenden Strafmaßnahmen der Zentralregierung.

Man wird an der Wahlbeteiligung ablesen, wie sehr die Kurden und Kurdinnen noch in die Politik in Bagdad investieren wollen, und an den Ergebnissen, ob sie ihre eigene Führung – vor allem die KDP der Barzanis – für deren Fehler bestrafen werden. Die Oppositionspartei Gorran und die islamische Partei Komal haben mit dem ehemaligen Politiker der Talabani-Partei PUK, Barham Salih, unter dem Namen "Heimat" (Nishtiman) eine neue Koalition gegründet, die in den zwischen Bagdad und den Kurden "umstrittenen Gebieten" antritt und KPD und PUK Stimmen wegnehmen könnte. (Gudrun Harrer, 12.5.2018)