1. Cesár Sampsons Hose

Okay, mit Nobody But You, einer weitgehend unauffälligen, aber eben auch gefälligen und halbwegs zeitlos schönen Schmusesoul-Ballade im einstmals für VW-Golf-Coupés entwickelten Midtempobereich hat es Cesár Sampson ins Finale am heutigen Samstag geschafft. Dieses Genre hat spätestens seit den 1980er-Jahren und der Regentschaft Sade Adus und ihrem Smooth Operator oder dem Gesamtwerk Simply Reds immer Saison. Allerdings müssen wir heute über Cesár Sampsons grauenhaftes Outfit sprechen. Der Mann ist 34 und hat es sicher nicht nötig, sich in eine mit dem Hosenboden bis zu den Knien durchhängende Hose stecken zu lassen. Sieht aus wie ein falsch angezogener Pullover.

Ab einem gewissen Alter sollte man danach trachten, nicht wie ein Kindergartenkind gestylt zu sein, das man für den freudigen Anlass auf 1,80 Körpergröße aufgepumpt hat. Kommt die Farbe Grau übrigens von Grauen? Ist Sampsons Outfit überhaupt Grau – oder ist das Türkis für Farbenblinde? Sampson ist im Finale.

2. Der Vampir aus der Ukraine

Zu Beginn lag Melovin aus der Ukraine als schlafender Vampir in seinem Klavier begraben. Da war die Welt noch in Ordnung. Doch das war ein Wiegen in falscher Sicherheit. Zu einem langsam Richtung Bubendisco aus dem Outverkauf der Pet Shop Boys anschwellenden Intro, das sich schließlich in guten alten Four-to-the-Floor-Beats entlud, fuhr der Mann mit den zwei irgendwie total furchterregenden und nicht zusammenpassenden Kontaktlinsen aus dem Instrument in die Höhe, und sang, was er singen musste. Das Stück heißt Under the Ladder. Die Erinnerung an die Melodie ist leider schon wieder verblasst. Am Ende setzte sich Melovin ans Klavier. Dieses brannte, und Melovin hatte Feuer unter dem Arsch. Das ist leider nicht metaphorisch gemeint. Melovin ist im Finale.

3. Der zärtliche Wikinger

Am Anfang dachte man noch, dass hier mit Rasmussen ein Nordmann auf der Bühne steht, der daran erinnert, dass in der Fernsehserie Game of Thrones die Besetzungspolitik in Hinsicht auf die jenseits der großen Mauer lebenden "Wildlinge" sämtliche skandinavischen Stadttheater von Schauspielern freigeräumt hat. Sie müssen allerdings einen mindestens handbreitlangen Vollbart tragen. Bei roten Haaren konnte man gagenmäßig dann noch einiges extra rausholen.

Martialisch wurden also Fahnen geschwenkt und Segel gesetzt. Das Meer im Hintergrund tobte. Dann machte Rasmussen den Mund auf und sang. Wir behaupten jetzt mal eines: Eine Quietschente in der Badewanne ist auch oft sturmumbrandet oder von Seebeben gefährdet (Sickerwitz). Im Wesentlichen klingt das Lied Higher Ground wie der Versuch, den bösen Klan der Lannisters mit dem Einsatz einer gegen die Stadtfestung Westeros vorrückenden Boyband in die Knie zu zwingen. Mimimimi. Bitte aufhören, wir ergeben uns! Rasmussen ist im Finale.

4. Der Flötenspieler aus Serbien

Den Song Contest anschauen bedeutet Jahr für Jahr immer auch, mit den eigenen seelischen Beschädigungen und Neurosen konfrontiert zu werden. Und, wie ein kluger Mann einmal gesagt hat: Ziel jeder Neurose ist es, nicht geheilt zu werden. Es soll zum Beispiel Leute geben, die Flöten nicht nur nicht mögen, sondern auch nicht ertragen können. Zum Beispiel mich.

Sanja Ilic, der glatzköpfige serbische Fleischhackergeselle mit dem möglicherweise nicht ganz farbechten Vollbart sieht aus wie der Türsteher eines Privatklubs, in dem man sich für gutes Geld tüchtig den Hintern versohlen lassen kann, weil man bei der Vorstandssitzung am Nachmittag schon wieder ein böser Bub gewesen ist. Darüber will die Herrin jetzt pädagogisch diskutieren. Zu Kriegsgetrommel und drei Backgrounddamen setzte es nicht nur eine weitere mickrige Piepsstimme, sondern auch einen bedrohlich zuckenden Waldschrat an der arabesk-dudelnden Hirtenflöte. Im Gegensatz dazu ist Jethro Tull eine Kinderjause. Sanja Ilic & Balkanika fahren nach Hause.

5. Die Frau im Rollstuhl

Die russische Kandidatin Julia Samoylova sollte schon voriges Jahr in Kiew am Song Contest teilnehmen. Allerdings wurde ihr 2017 aufgrund der politischen Lage die Einreise in die Ukraine verweigert. Welcher Teufel die Gestalter ihres Beitrags heuer in Lissabon geritten haben mag, bleibt allerdings im Dunkeln. Es ging darum, möglichst zu verheimlichen, dass Samoylova einen Rollstuhl benötigt. Das führte dazu, dass man den Stuhl in einer überzogenen Bühnenberglandschaft auf der Bühne versteckte. Die Taktik erinnerte an Obelix aus Asterix und Kleopatra, als sich dieser mit einer ägyptischen Perücke tarnen wollte, um an den Zaubertrank zu gelangen. Die Musik ging dabei völlig unter. Julia Samoylova fährt zu Recht nach Hause. (Christian Schachinger, 12.5.2018)