Zu viel Gummi gegeben: "Lovedrive" – Albumcover der deutschen Hard-Rock-Band Scorpions, 1979.

"Love for Sale"-Album von Boney M. (1977).

Pooh-Man, "Funky as I wanna be" (1992).

"Ich hab sie unter Kontrolle / diese siamesische Katze von einem Mädchen / Unter meiner Kontrolle, / dieses süßeste, hmmm, Haustier in der Welt." Singt Mick Jagger in "Under My Thumb" (1966). Bei manchen Popsongs kommt man als Frau schon ins Räuspern. Meinen die das ernst, die Frau als Haustier? Es ist jedenfalls so: Bei einem betreffenden Konzertmitschnitt der Rolling Stones recken Frauen in den ersten Reihen die Smartphones hoch und schwingen zur Haustierstrophe und dem betörenden Tanz des Rolling-Stones-Kapellmeisters begierig mit.

Warum machen die das? Können Frauen frauenverachtende Pop musik mögen? Die Antwort heißt – und das bemerkenswerterweise nicht erst seit MeToo: Es geht. Aus den inhärenten Widersprüchen in der Sache haben die britischen Journalistinnen Rhian E. Jones und Eli Davies ein Buch gemacht, das sich von der eingangs zitierten Rolling-Stones-Nummer den Titel geklaut hat: "Under My Thumb". 29 Musikpublizistinnen aus dem angelsächsischen Raum erklären, warum sie die bis in die Gegenwart von Misogynie geprägte Rock- und Popmusik trotzdem gerne hören.

Kunst und Moral

Damit schreiben sie sich in eine Debatte ein, die im Zuge von MeToo ins Rollen gekommen ist. Nämlich die Frage nach der Verkettung von Kunst, Moral und politischer Korrektheit. Die grundsätzliche Idee: Genau so sehr, wie das umstrittene Gemälde von Balthus, Thérèse, träumend (mit womöglich pädophil-sexistischem Inhalt), nicht aus dem Museum verschwinden soll oder ein mit telprächtiges Gomringer-Gedicht auszuhalten ist, soll weiterhin zu sexistischen Liedzeilen geshakt werden dürfen.

Popsongs sind schließlich Kunstwerke und keine Handlungsanweisungen für das Alltagsleben. Die Autorinnen haben ihre Foucaults, Theweleits, Butlers und Spivaks gelesen und verteidigen dennoch ihre Guns-n’-Roses- und AC/DC-T-Shirts. Keiner der Beiträge, das sei klar zum Ausdruck gebracht, leugnet den Sexismus in Liedern und Performances oder spielt ihn herunter. Es geht vielmehr darum, nach Gründen zu suchen, ihn im Sinne höherer Zwecke auszuhalten. So wie man am Theater auch die sexistischen Frauenbilder in Inszenierungen von Frank Castorf durchwinkt und am Ende eben nicht anders kann als: jubeln.

The Rolling Stones

Manche Rechtfertigungsversuche scheitern indes auch, enden im eigenen Widerspruch. Um dann aber doch die Lanze für die Musik zu brechen, da diese eben nicht nur sexistisch ist, sondern auf anderer Ebene eine Befreiung. Womit einer der zentralen Begriffe ins Spiel kommt: der spartenübergreifende Feminismus ("intersectional feminism"). Das heißt, dass es neben dem Geschlecht auch andere Unterdrückungsmuster gibt (welchen folglich nicht nur Frauen ausgeliefert sind), Ethnie, Klasse, Rasse.

Es offenbaren sich in Liedern andere Identifikationsmöglichkeiten, etwa für Amanda Barokh im Song "Big Pimpin" von Rapper Jay-Z. Die Musikjournalistin hört trotz misogyner Grundtöne gerne hin, weil sie darin zum Beispiel die arabische Musik ihres Vaters wiedererkennt. Dennoch empfiehlt Barokh, vorher "50 Gegrüßet seist du de Beauvoirs" zu beten!

JayZVEVO

Dieser entspannte Tenor des Sammelbandes ist seine große Stärke. Es sind nicht die konkreten Argumente, die überzeugen (manche Entschuldigung ist schwach, etwa: Hört auf die Musik, nicht die Texte!). Vielmehr bietet der im Vorjahr auf Englisch erschienene Band (noch nicht übersetzt) eine Lockerungsübung für eine festgefahrene Debatte. Wobei hier eine reflektierte Fangruppe spricht, die sich eine gewisse Blasiertheit im Umgang mit Sexismus leisten kann.

Ihre Argumente: All die "Cock Rocker" und ihr Vokabular seien doch längst entziffert. Wer will, bitte, über harte Machoposen wettern? Grenzwertige, im besten Sinn einer Katharsis dienende Strophen sind immer noch mehr wert als fader Zuckerwattepop. Rock und Pop wurden doch einmal dazu erfunden, Verbote zu brechen. Es haben in der Vergangenheit nur einfach zu wenige Frauen mitgemacht (zumindest an den falschen Stellen).

So gesehen ist "Under My Thumb" durch und durch ein Buch seiner Zeit. Mit dem Erstarken von Frauen im Popbusiness, aufgrund des Rückhalts von vielen, höchst erfolgreichen Solokünstlerinnen der letzten Jahre (gerade im angelsächsischen Raum), lässt sich über Sexismus im Pop lockerer diskutieren. Ein neuer Schritt in der MeToo-Debatte. (Margarete Affenzeller, 13.5.2018)