Jenen, den sie unerwartet liebt, Samson, soll sie zerstören. Was Wunder, dass Dalila ins Grübeln gerät.

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Wien – In der Bibel predigt ja der weise Salomo, alles habe seine Zeit. Nur nicht hudeln, nur nicht Pflicht und Vergnügen mixen, schön langsam eines nach dem anderen abarbeiten. Alles zu seiner Zeit eben. In seinen Worten schlummert allerdings (Salomo wird es geahnt haben, ansonsten er die Mahnung nicht ausgesprochen hätte) reichlich Theoretisches. Immer kommt ja was dazwischen. Krieg, wenn einem danach ist, Zuneigung zu verschenken. Oder umgekehrt: eine Liaison mit dem Feind, just, wenn es darum geht, ihn zu vernichten.

"Das Leben, wie es uns auferlegt ist, ist schwer für uns, es bringt zu viel Schmerzen, Enttäuschungen unlösbare Aufgaben", erkennt auch ein paar Jahrtausende nach Salomo denn auch der Prophet des Unbewussten, Doktor Sigmund Freud. Kein Wunder auch, dass seine Erkenntnis in der Wiener Staatsoper als Vorhangspruch melancholisch auf ein tragisches Paar einstimmt. Auf Samson, den Kraftrebellen an der Steckdose tiefen Glaubens. Auf Dalila, die ihre giftige Zärtlichkeit einsetzt, um ihn zu erlegen.

Wut auf den Gott

Die Geschichte, in Camille Saint-Saëns‘ Samson et Dalila eingefangen, setzt klangschön mit instrumentaler Wehklage an. Selbige nimmt die miese Stimmung des Chores vorweg; das Kollektiv hadert mit Gott, zerfetzt Glaubensbücher. Resigniert sieht ein alter Hebräer (Dan Paul Dumitrescu) dem Treiben zu.

Samson allerdings, Agitator und Motivator, ist geneigt, das Grüppchen aus Schwermut und Knechtschaft zu führen. Noch ahnt er nicht, was Freud in seinem Lebensspruch schon wusste; noch ist Samson ausschließlich von seiner Mission durchdrungen. Roberto Alagna ist in diesem Moment ganz der auf wenige heldische Gesten reduzierte Tenor, der seine Stimme robust in den Dienst des Expressiven stellt, ohne etwaige Nuancen der Dynamik zu bemühen.

Umgarntes Opfer

Dann allerdings kommt Dalila als Teil einer in Fantasieuniformen paradierenden Unterdrückerkaste. Deren Führer wirken, als wären sie als Geistliche verkleidete Frühkapitalisten, die Dalila beauftragen, dem Aufrührer das Kraftgeheimnis seiner Haarpracht zu entlocken. Noch ist auch sie unerschütterlich in ihrer Absicht. In der Inszenierung von Alexandra Liedtke kommen Dalilas Mission jedoch Emotionen in die Quere, Elina Garanca gibt eine Zerrissene.

Sie umgarnt ihr Opfer zunächst mit der Konzentriertheit einer auf den idealen Augenblick lauernden Jägerin. Nach und nach scheint sie aber Schuldzweifel bezüglich ihrer Integrität zu plagen. Später ein Höhepunkt ihres subtil zelebrierten Konflikts: Im dunklen Raum trifft sie in einem schmalen, ausgeleuchteten Spalt ihren Auftraggeber, den Oberpriester des Dagon (souverän Carlos Alvarez).

Reizen nicht abgeneigt

Er raucht, ist ein kühler Machstratege. Dalilas Reizen jedoch wäre auch er nicht abgeneigt. Durch zynisches Anbandeln unter Anwendung ihres Verführungsrepertoires verhöhnt ihn Dalila. Und mit der Verengung des Raumes entsteht ein dichtes, intimes Kammerspiel der Macht, das sich später, im Schlüsselmoment zwischen Samson und Dalila, nicht einstellen will: In einem noblen Zimmer mit rätselhafter Badewanne (Bühne: Raimund Orfeo Voigt) wird das amouröse Dahinschmelzen Samsons (Gott lässt es auf ihn vergeblich mahnend durch die Decke regnen) zum routinierten Arrangement von Tragik.

Gruselige Tanzszenen

Garanca allerdings entfaltet beim Superhit Mon cœur s’ouvre à ta voix die ganze Pracht ihrer Stimme und vollendet so arios eine insgesamt differenzierte Rollengestaltung. Alagna, der beim Arienhit ein bisschen stört, da er immer (aber durchaus packend) im Dauerforte singt, wird im Finale glaubhafter. Liedtke entwirft um den seines Augenlichts Beraubten ein dekadentes Fest der Verhöhnung. Gruselige Tanzszenen (Lukas Gaudernak) und ein brennendes Alterego Samsons erwecken den Eindruck, der Hilflose würde nun halluzinieren, ein letztes Mal Kraft erlangt und alle zerstört zu haben. Dann brennt es.

Nun ja. Vorzüglich kollegial gaben sich gegenüber dem tragischen Paar, das Ende September in eben dieser Besetzung an der New Yorker Met erscheinen wird, das Staatsopernorchester unter Dirigent Marco Armiliato. Die Leichtigkeit in der Melancholie; das Klangprächtige im Dramatischen – beides wurden nobel ausmodelliert und hätten Salomo wie auch Sigmund Freud betört. (Ljubiša Tošić, 14.5.2018)