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Muktada al-Sadr besuchte am Montag das Grab seines Vaters in Najaf

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Die Irakerinnen und Iraker haben am Samstag erstmals seit dem Sieg über den IS ein neues Parlament gewählt. Allerdings gaben nur 44,5 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab.

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Bagdad – Bei der Parlamentswahl im Irak wird ein Sieg des schiitischen Geistlichen Muktada al-Sadr immer wahrscheinlicher. Seine Liste Sairun liegt nach vorläufigen Ergebnissen in sechs von 16 ausgezählten Provinzen in Führung, wie die Wahlkommission in Bagdad am Montagabend mitteilte.

Auf Platz zwei folgt ein Bündnis, das den schiitischen Milizen nahesteht. Für Ministerpräsident Haidar al-Abadi zeichnet sich hingegen eine Niederlage ab. Seine "Koalition des Sieges" kommt bisher nur in einer Provinz auf den ersten Platz.

Aus zwei Provinzen wurden noch keine offiziellen Ergebnisse verkündet. Auch die Verteilung der 329 Sitze im Parlament steht noch nicht fest. Die Iraker hatten am Samstag erstmals seit dem Sieg gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ein neues Parlament gewählt. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 44,5 Prozent ein historisches Tief.

Sadr-Anhänger feiern

Auf den Straßen der Hauptstadt Bagdad feierten Sadrs Anhänger schon nach Bekanntgabe erster Zahlen und zündeten Böller. Es ist aber unklar, ob seine Gruppierung selbst bei einem Wahlsieg die Regierung stellen könnte: Der Iran hatte im Vorfeld angekündigt, dies nicht zuzulassen.

Sadr hat sich über Jahre einen Namen mit dem Kampf seiner Milizen gegen US-Truppen gemacht. Der inzwischen 44-Jährige hat treu ergebene Anhänger vor allem unter jungen und mittellosen Irakern. Er hält Abstand zur Führung in Teheran und bildete ein Bündnis mit Kommunisten und anderen weltlichen Anhängern. Sadr hat zudem Korruption und schlechte Regierungsführung für sich zum Thema gemacht. Das fällt bei vielen Irakern auf fruchtbaren Boden, denen es trotz des Ölreichtums des Landes an vielem fehlt. Seine Popularität zieht er auch aus dem Ansehen seines Vaters Mohammed Sadek al-Sadr. Der Großajatollah war 1999 wegen seines Widerstands gegen den damaligen Machthaber Saddam Hussein ermordet worden. Nach Mohammed ist auch "Sadr-City" benannt, ein Stadtteil im Nordosten Bagdads.

Bündnispartner gesucht

Muktada al-Sadr selbst könnte einer neuen Regierung nicht vorstehen, weil er persönlich nicht bei der Wahl antrat. Er könnte allerdings maßgeblich Einfluss auf die Besetzung des Spitzenpostens nehmen. Seine Allianz könnte aber bei der Bildung der Regierung auch ganz außen vor bleiben, falls sich andere Bündnisse im Parlament bilden und dort auf die Mehrheit der Stimmen kommen. Die vorläufigen Ergebnisse fußten der Wahlkommission zufolge auf die Auszählung von 95 Prozent der Stimmen in zehn der 18 Provinzen. Gesamtzahlen sollten noch am Montagabend vorliegen.

Der neue Ministerpräsident wird sich darum bemühen müssen, die Volksgruppen der Sunniten, Schiiten und Kurden an der Macht zu beteiligen, um die Einheit des Landes zu wahren. Die Mehrheit der Iraker bekennen sich zum schiitischen Islam. Mit Saddam Hussein war aber über Jahrzehnte ein Sunnit an der Macht, der brutal gegen Schiiten und Kurden vorging. Die Regierung wird sich auch mit den Konsequenzen des Ausstiegs der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran befassen müssen. Der US-Schritt dürfte für weitere Unruhe in der ohnehin fragilen Region sorgen, in der der Iran als Schutzmacht der Schiiten und Saudi-Arabien als Schutzmacht der Sunniten um die Vorherrschaft ringen.

Niedrige Wahlbeteiligung

Die Iraker hatten am Samstag erstmals seit dem Sieg über den IS ein neues Parlament gewählt. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 44,5 Prozent ein historisches Tief: Es war die niedrigste seit der ersten freien Wahl nach dem Sturz von Langzeitherrscher Saddam Hussein im Jahr 2003. Beobachter machten dafür eine weit verbreitete Politikverdrossenheit verantwortlich. Vor vier Jahren hatte die Beteiligung rund 60 Prozent erreicht.

Der 44 Jahre alte Sadr, Sohn eines hohen schiitischen Geistlichen, gilt als kontroverse Figur. Nach Saddam Husseins Sturz bekämpfte seine Mahdi-Armee die US-Besatzungstruppen. In den vergangenen Jahren wandelte er sich zu einem der schärfsten Kritiker des politischen Establishments. Er wehrt sich gegen den starken iranischen Einfluss auf die Politik im Irak. Vor zwei Jahren stürmten seine Anhänger das Parlament in der schwer geschützten Grünen Zone. Sadr hat vor allem in den armen Regionen des Irak viele Anhänger. Für die Wahl ging er ein Bündnis mit den Kommunisten ein.

Sadrs Liste liegt insbesondere in Bagdad mit deutlichem Vorsprung an der Spitze. Dort wird auch die mit Abstand größte Zahl an Parlamentssitzen vergeben. Die eng mit den Schiitenmilizen verbundene Liste von Hadi al-Amiri kommt ebenfalls in vier Provinzen auf Platz eins, darunter in der Großstadt Basra. Die Milizen gelten als verlängerter Arm des Iran.

Sieg gegen IS als Wahlargument

Abadi hatte im Wahlkampf mit dem Sieg gegen den IS unter seiner Führung geworben. Der 66-Jährige versprach zudem, sich für einen Ausgleich zwischen der Mehrheit der Schiiten und der Minderheit der Sunniten einzusetzen. Viele Sunniten fühlen sich diskriminiert. Der Regierungschef ist seit fast vier Jahren im Amt.

Abadi hatte im Dezember den militärischen Sieg über den IS erklärt. Große Teile des Irak sind zerstört, der Wiederaufbau kommt nur langsam voran. Der Weltbank zufolge werden dafür in den nächsten Jahren rund 88 Milliarden Dollar (71 Milliarden Euro) benötigt. Nach UN-Angaben sind zudem noch immer mehr als zwei Millionen Menschen im Land vertrieben. Auch IS-Zellen sind weiterhin aktiv. (Reuters, APA, 14.5.2018)