Obwohl Premierministerin Theresa May und Außenminister Boris Johnson im Parlament nahe beieinander sitzen, bevorzugen sie es, via Medien miteinander zu kommunizieren.
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Verhandlungen – speziell heikle wie jene über den Austritt Großbritanniens aus der EU – finden gewöhnlich am Verhandlungstisch zwischen zwei Verhandlungspartnern statt. Im Fall des Brexits wären das die Regierung in London und die Kommission in Brüssel.

Die britische Regierung hat in den vergangenen Tagen jedoch einen neuen, außergewöhnlichen Zugang zu den Brexit-Verhandlungen gefunden: Sie verhandelt gerade mit sich selbst. Teilweise zum Gaudium, teilweise zum Schrecken des britischen Publikums tut sie das noch dazu nicht am Verhandlungstisch, sondern via Zeitungs-, TV- und Radiointerviews.

Knackpunkt in den innerbritischen Verhandlungen über das zukünftige Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich sind zwei Vorschläge von Premierministerin Theresa May über die künftige Zollzusammenarbeit:

  • "Gestrafftes" Handelsabkommen: Bei diesem würden die Zollkontrollen zwar nicht wegfallen, aber deren Auswirkung sollen mithilfe von technischen Lösungen reduziert werden. Demnach müssten nicht jedes Mal, wenn eine Ware die Grenze überschreitet, Zollabgaben entrichtet werden, sondern Firmen könnten sie kumuliert, alle paar Monate entrichten.
  • Zollpartnerschaft: Bei diesem Vorschlag wären keine neuen Zollkontrollen zwischen Großbritannien und der EU notwendig. Stattdessen würde das Vereinigten Königreich an seinen Grenzen Zölle für die EU einheben. Verlässt die Ware Großbritannien nicht und die britischen Zölle wären niedriger, könnten sich britische Firmen die Differenz refundieren lassen.

May favorisierte in der Vergangenheit letzteren Vorschlag. Das hat ihren Außenminister Boris Johnson auf den Plan gerufen. In der "Daily Mail", der Haus- und Hofzeitung der Brexit-Befürworter, nannte Johnson die Idee einer Zollpartnerschaft "verrückt".

Kein Karriereende

Normalerweise wäre eine derartige öffentliche Kritik an Vorschlägen der eigenen Premierministerin das Karriereende eines Kabinettmitglieds. Normalität sucht man im britischen Kabinett derzeit jedoch vergeblich.

Johnsons Aussagen sind auch deswegen außergewöhnlich, weil Mays Vorschläge aus ihrer "Mansion House"-Rede vom März dieses Jahres stammen. Die Rede wurde zuvor in ihrem Kabinett, dessen Mitglied Johnson damals wie heute ist, abgesegnet. Dass ein Regierungsmitglied öffentlich Vorschläge kritisiert, denen es selbst zugestimmt hat, ist ein Novum in der britischen Innenpolitik.

Tausende Jobs gefährdet

Von Johnsons Vorbild offenbar angestachelt, schaltete sich vergangene Woche Wirtschaftsminister Greg Clark in die Debatte ein – selbstverständlich in der Öffentlichkeit. Alles andere als eine Zollpartnerschaft würde tausende Jobs in Großbritannien kosten, erklärte Clark in der BBC.

Wirtschaftsminister Greg Clark warnt, dass tausende Jobs gefährdet sein könnten, wenn die Zollpartnerschaft nicht kommt.
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Anfang dieser Woche meldete sich schließlich Gesundheitsminister Jeremy Hunt zu Wort. Er entschloss sich, das in einem Radiointerview zu tun, und mahnte in der BBC, dass es wichtig sei, "dass wir derartige Debatten im Privaten" haben.

Corbyn "Hebamme" eines harten Brexits

Für die Opposition wäre das alles normalerweise ein gefundenes Fressen. Diese hadert allerdings auch gerade mit ihrem Brexit-Kurs. Ebenfalls öffentlich. Einige in der Arbeiterpartei von Jeremy Corbyn fordern ein sogenanntes norwegisches Modell für den Brexit – einen Austritt aus der EU, aber eine Mitgliedschaft in der EEA, dem gemeinsamen Wirtschaftsraum Europas, bei dem unter anderen Norwegen, Island und Liechtenstein Mitglieder sind.

David Miliband (rechts) warnt seinen Parteikollegen Jeremy Corbyn.
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Corbyn lehnt dieses Modell jedoch ab. Ex-Außenminister und Parteikollege David Miliband warnte davor, dass Corbyn mit dieser Haltung zur "Hebamme" eines harten Brexits werden könnte. (Stefan Binder, 15.5.2018)