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Feindbild Soros: Die ungarische Regierung und Premier Viktor Orbán versuchten die Ungarn mit allen Mitteln davon zu überzeugen, dass der ungarischstämmige US-Milliardär George Soros die "Zwangsansiedelung von Muslimen" in Ungarn und der Europäischen Union plane.

Foto: REUTERS/Bernadett Szabo

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Der Standort der Open Society Foundation in Budapest.

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Zum ersten Mal in der Geschichte der EU muss eine relevante zivilgesellschaftliche Organisation, die sich um Menschenrechte und Demokratisierung kümmert, unter politischem Druck aus einem Mitgliedsland abziehen. Die Open-Society-Stiftung (OSF) des US-Milliardärs George Soros schließt ihr Büro in Budapest, teilte die Organisation am Dienstag an ihrem Hauptsitz in New York mit. "Konfrontiert mit einem zunehmend repressiven politischen und juristischen Umfeld in Ungarn, verlegt die Open-Society-Stiftung (OSF) ihre Budapester Aktivitäten und ihr Personal in die deutsche Hauptstadt Berlin", hieß es in der Mitteilung.

Der rechtspopulistische Ministerpräsident Viktor Orbán hatte die Parlamentswahl am 8. April mit einer flüchtlingsfeindlichen Kampagne klar gewonnen. In deren Mittelpunkt hatte der in Ungarn gebürtige Holocaust-Überlebende Soros gestanden, dem ein Plan unterstellt wurde, durch die "Zwangsansiedlung" von Muslimen einen "Bevölkerungsaustausch" in Europa anzustreben. Beweise für diesen mysteriösen, verschwörungstheoretisch begründeten und antisemitisch chiffrierten "Soros-Plan" präsentierte Orbán aber nie.

Die Stiftung des Börse-Milliardärs George Soros schließt das Büro in Ungarn
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Dafür liegt seit dem Frühjahr das von Orbáns Regierungspartei Fidesz vorangetriebene "Stop-Soros-Gesetzespaket" dem Parlament vor. Die Gesetze sehen vor, dass NGOs, die Flüchtlingen helfen, eine Genehmigung des Innenministeriums benötigen und eine 25-prozentige Strafsteuer auf ausländische Spendeneinnahmen entrichten müssen. Darüber hinaus können sie vom Geheimdienst bespitzelt und wegen der Nichterfüllung von schikanösen Auflagen verboten werden.

Verschärfung möglich

Am Montag bestätigte Orbán am Rande eines Besuches in Warschau, dass sich das neue Parlament "umgehend" mit dem "Stop-Soros-Paket" befassen werde. Nach Darstellung von Orbáns Kabinettsminister Antal Rogán sind sogar weitere Verschärfungen dieser Gesetze denkbar.

Die Ankündigung der OSF, aus Budapest abzuziehen, kam nicht unerwartet. Bereits Ende des Vormonats hatten Medien über den bevorstehenden Schritt berichtet, was von der OSF damals weder bestätigt noch dementiert worden war. In ihrer Erklärung vom Dienstag stellte die OSF klar, dass es ihr um das Wohl und die Sicherheit der rund 100 Mitarbeiter in Ungarn gehe.

100 Millionen Euro

Nicht nur die neuen Gesetze gefährden die Tätigkeit der Stiftung. Für die Hasskampagne gegen Soros und gegen die Arbeit der Stiftung habe die Regierung in den vergangenen zwei Jahren 100 Millionen Euro an öffentlichen Geldern aufgewendet. Zum Vergleich: Seit der Aufnahme ihrer Tätigkeit in Ungarn 1984 gab die OSF dort 325 Millionen Euro aus.

Das Geld ging und geht an Initiativen und Organisationen, die sich für die Menschenrechte, für demokratische Verhältnisse und für eine offene, pluralistische Gesellschaft einsetzen. Gefördert werden außerdem wissenschaftliche Forschungen und Projekte, die sozial Benachteiligten helfen.

Für Orbán sind einige von der OSF geförderten NGOs ein Ärgernis. In Bereichen wie dem Umgang mit Asylbewerbern, mit Obdachlosen oder Strafgefangenen oder beim Einklagen von Bürger- und Menschenrechten formulieren diese Organisationen fachliche Kritik. Mit dem Vergraulen der OSF aus Ungarn will Orbán diese Stimmen zum Schweigen bringen.

Jüdischer Weltkongress besorgt

Der Jüdische Weltkongress (WJC) kritisiert den Rückzug. "Die Entwicklung in Ungarn erfüllt mich mit Sorge", sagte WJC-Präsident Ronald S. Lauder der "Bild"-Zeitung. "Jemanden, der so viel für die Förderung der Demokratie in Mittel- und Osteuropa nach dem Fall des Kommunismus getan hat (...), in seinem Heimatland so zu behandeln und seine Stiftung so vom Hof zu jagen, ist ein unwürdiger Vorgang."

Appelle an Kanzler Kurz

Der SPÖ-Nationalratsabgeordnete und Europapolitiker Jörg Leichtfried sprach auf Anfrage des STANDARD von einem "Zeichen des repressiven Klimas, das in Ungarn herrscht". Orbáns Partei Fidesz dürfe in der Europäischen Volkspartei (EVP) keinen Platz mehr haben: "Wenn Bundeskanzler Kurz und die ÖVP das anders sehen, dann schlagen sie sich auf Orbáns Seite", so Leichtfried. Dass Hetze gegen Soros in sozialen Foren auch in Österreich zunehme, erfülle ihn ebenfalls mit "großer Besorgnis".

Auch die stellvertretende Neos-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger forderte Kurz auf, "Stellung gegen die untragbare Politik seines Fraktionskollegen Orbán" zu beziehen. Die Regierung wollte die Angelegenheit auch auf Nachfrage des STANDARD nicht kommentieren. (Gregor Mayer aus Budapest, Mitarbeit: Gerald Schubert, 15.5.2018, ergänzt am 16.5.2018)