Ob wir uns die Route vorab anschauen-gelaufen wären, fragte dann jemand via Facebook. Oder war es Instagram? Egal. Auf alle Fälle war die Strecke erkannt worden. Nicht weiter verwunderlich: Nicht ohne Grund nennt sich der Achenseelauf "Österreichs schönster Panoramalauf". Und auch wenn man über Superlative immer diskutieren kann, ist eines unumstritten: Die 23-Kilometer-Runde um den Tiroler Bergsee gehört mit zum Schönsten, was man sich in Österreich an Schönem erlaufen kann.

Egal ob Anfang September, da findet der Lauf statt, oder jetzt, Mitte Mai. Auch wenn man sich nur die "alpinen", engen und "technischen" Gustostückerln am steilen Westufer rauspickt. So wie wir.

Foto: thomas rottenberg

Ob uns der Lauf denn auch im September reizen würde, hatte Denise Goßner (die Dame im schwarzen Top) nach der Runde gefragt – und gleich eine Option offeriert, die auch Läuferinnen und Läufern, die am Trail nicht so viel Erfahrung haben, entgegenkommt: Den Achenseelauf könne man auch als Staffel laufen.

Einer den schnellen, flachen, asphaltierten und längeren Teil von Pertisau übers Ostufer Richtung Achenkirch, die andere den Trail zurück: treppauf, treppab, über ausgesetzte Wege und Pfade, auf denen ein paar Dinge verboten und ein paar unmöglich seien: stolpern und überholen nämlich.

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Deshalb, sagte Denise, sei es wichtig, sich auf den ersten 14 Kilometern eine gute Position für Teil zwei zu sichern: "Da bist du dort, wo du bist – alles andere ist echt gefährlich."

Goßner ist Trailläuferin. Sie gehört zum Laufteam Achensee – und das richtet den Lauf aus. Wir kennen einander aus der virtuellen wie der wirklichen Laufwelt: Als "Denise_Go" ist die Jenbacherin eine Größe der heimischen Instagram-Laufwelt. Vor ein paar Wochen liefen wir dann gemeinsam in Istrien: bei der Lauf- und Radreise, zu der eine kroatische Hotelgruppe eingeladen hatte. Hier, in ihrer Hood, hatte mein Gastgeber sie als Trail-Guide empfohlen: Denise war die "Antwort" des lokalen Tourismusverbandes auf meine Frage, ob es einen oder eine Local gäbe, der/die mit uns laufen könne.

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Denn diesmal war ich nicht verreist, um zu laufen: Die Rennerei war lediglich ein "Kollateralnutzen": Seit sieben Jahren gibt es in Achenkirch ein sehr sehr feines Literaturfestival, die Achensee-Literatour. Man will die Region mit Kultur versorgen und, eh klar, in der Vorsaison einen (weiteren) Anreiz bieten, hierherzukommen. Dafür stellen die Veranstalter ein buntes und kontrastreiches Bouquet an Autorinnen und Autoren zusammen (im Bild: Vea Kaiser), die auf den ersten Blick oft wenig zusammenpassen, auf den zweiten dann aber prächtig harmonieren. Ich durfte die Veranstaltung moderieren. Heuer zum dritten Mal.

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Mit eines der Assets des Events sind die Locations: Berglesungen etwa. Oder "Literatur am Schiff". Dort das Publikum trotzdem zu fesseln, spricht sowohl für Texte und Autoren als auch für das Interesse der Zuhörerinnen und Zuhörer: Paulus Hochgatterer las aus seinem "Der Tag, als mein Großvater ein Held war" – und die Erzählung passt(e) perfekt ins klimatische Austro-Polit-Setting: Sie funktioniert auch als Parabel dafür, dass das Ansprechen dessen, was standpunkt- und prinzipienbefreite Nach-der-Macht-Greifer so gar nicht hören wollen, mit zu den zentralen Aufgaben von Literatur- und Kulturschaffenden gehört – gerade inmitten von Idylle, Schönheit und Stolz auf die Heimat. Hochgatterers "Großvater" genügt da ein einziger Satz. Im tatsächlichen Österreich sind es sechseinhalb Minuten.

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Lesen passt zum Laufen, denn Laufen schafft Freiräume. Nicht zuletzt im Kopf: Luft, Raum und Ruhe. Der Automatismus des Trapptrapptrapp wird zum Mantra, der "Flow" eines langen Laufes zur Meditation, indem alles und nichts zeitgleich Platz und Raum finden. Ob das nur esoterisch oder schon durchgeknallt klingt, spielt keine Rolle.

Am Trail aber funktioniert Laufen dann anders. Natürlich gibt es Passagen, in denen nicht "man", sondern "es" läuft. Wo der Kopf auf Reisen geht, wenn der Körper fließt und fliegt.

Aber wehe dem, der dieses Laufen in der Ebene nur eine Sekunde zu lange auf felsigen oder wurzeldurchzogenen Wegen praktiziert – sich von der Schönheit der Landschaft zu sehr fesseln lässt, mit Augen und Kopf in Idylle und Panorama hängenbleibt: So malerisch der See glitzern und die Berge ragen mögen – hier gilt eine strikte, unumstößliche Regel: Focus first – flow follows. Immer.

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Denn am Trail lernen auch vermeintlich routinierte Läuferinnen und Läufer immer wieder, dass nicht bloß Kraft und Ausdauer zählen, sondern auch Technik, geschulte Reflexe, Elastizität, Flexibilität, Konzentration und Mitdenken – und die Fähigkeit des Fußes, dem Boden, dem Untergrund, zu "antworten".

Auf Aufgaben, die bei jedem Schritt anders sind: In der Ebene stellen sich Fuß, Rhythmus und Bewegungsablauf auf Gleichmäßigkeit und Verlässlichkeit ein. Man schaltet gern auf Autopilot, trabt ruhig, dann routiniert und dann, wenn der Fuß müde wird, bald unachtsam-unsauber. Auf sicherem Terrain ist das ungefährlich.

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Anders ist es im Gelände: Da ist jeder Schritt Maßarbeit, muss sitzen, muss sicher sein – und doch so weich und flexibel, um noch korrigiert oder nachgebessert zu werden. Nicht bewusst, sondern intuitiv. Im Augenblick – ohne hinzusehen. Ein Stein, der kippt. Eine Wurzel, die federt. Ein Blatt, das rutscht. Ein Ast, der bricht. Das Loch unter Laub oder die Lacke, die tiefer ist, als sie aussieht: Wer nur die Ebene kennt, betritt hier eine neue Welt – und ist sich dessen oft zuerst gar nicht bewusst, weil so viel verzaubert und ablenkt: die Landschaft, die Luft und die Unregelmäßigkeit. Wer zum ersten Mal auf felsigem Grund läuft, erlebt oft im Wortsinn ein blaues Wunder: Das Nichtfinden von Rhythmus, Kontinuität und Gleichförmigkeit kostet Energie. Manchmal – meistens – merkt das der Newbie erst am Tag danach.

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Umso wichtiger ist es, sich auf das verlassen zu können, was mit dem Boden verbindet. Trail-Laufschuhe haben andere Aufgaben als klassische Laufschlapfen: Es geht um Grip und Halt – sowohl des Schuhs auf dem Boden als auch im Schuh selbst. Stütze und Führung sind für viele hier essenziell, aber die sonst so gern statt Lauftechnik gepriesene Megadämpfung kann im Gelände in die Irre führen. Außerdem frisst das "weiche Glück" hier noch mehr Energie als sonst.

Gute und technisch saubere Läuferinnen und Läufer können auf Gatsch, Gras, Erde oder losem Schotter meist auch mit flachen und "normalen" Schuhen sehr gut unterwegs sein: Wer trittsicher genug ist, Rutscher durch Schritte und Sprünge zu korrigieren, kann auch mit einem Wettkampfstraßenschuh im Gelände Spaß haben. Wird das Terrain aber felsig und schroff, kommt ein weiterer Faktor hinzu: Der Fuß braucht Schutz.

Foto: thomas rottenberg

Rundum und von unten. Denn so präzise setzt niemand den Schritt, dass man nie und nirgendwo anschrammt oder drauftritt. Die solide Sohle, das gute Profil und feste Zehen, Fersen und Seitenbereiche mögen auf weichem Waldboden und der "Forstautobahn" übertrieben wirken. Wird es aber nur ein bisserl rauer, sieht die Sache anders aus.

Nur kostet eine robuste Sohle Flexibilität. Geschützte Ränder wiegen. Und Halt soll nicht beengen. Weil es tausend unterschiedliche Fußformen gibt, gilt beim Trail-Schuh das Gleiche wie beim Flachland-Schlapfen: Was für mich super ist, kann für Sie unbrauchbar sein.

Dass Eva und ich hier das gleiche Schuhmodell, den Trail 5 von Salming, trugen, war daher Zufall: Eva war der Schuh von Ed Kramer, Wiens Trailschuh-Guru, nach ausführlicher Beratung und Testerei "verschrieben" und verkauft worden. Meiner kam ein paar Wochen danach als Testschuh vom Hersteller. Und: Ja, sie passten gut, und ich war wirklich sehr zufrieden – aber: Siehe letzte Zeile des vorigen Absatzes.

Foto: thomas rottenberg

Am Achensee "testeten" wir noch ein "typisches" Berglauf-Tool: die Suunto Spartan Sport Wrist HR. Die hatte mir unlängst eine deutsche Insta-Promi-Bloggerin Sekunden vor einem Wettkampf unter die Nase gehalten: "Ich habe sie letzte Woche bekommen. Das Pic ist raus – aber ich hab null Ahnung, wie man sie einschaltet. Du weißt das!" Ich drückte für sie auf Start. Ob ihr im Ziel jemand die Stoptaste zeigte, werde ich nie erfahren. Was ich mit ziemlicher Sicherheit weiß: Der 550-Euro-Wecker ist längst weiterverkauft. Das ist schließlich ein immanenter (offiziell natürlich vehement dementierter) Teil des Influencer-Geschäftsmodells.

Unabhängig davon wollten aber ich und ein paar PR-Leute wissen, ob das Ding wirklich so komplex ist: Ich bekam eine Test-Spartan.

Foto: thomas rottenberg

Ich gab sie Eva, schlicht und einfach, weil ich nach 5.000 ausprobierten Laufuhren für diesen Test ungeeignet bin. Eva hat bis dato nur zwei Uhren verwendet (Garmins F35 und meine alte Forerunner 735): Was die großen Marken wirklich unterscheidet, ist vor allem die jeweils eigene Menü- und Bedienungslogik.

Eva kam mit der Spartan sofort zurecht ("Das Ding funktioniert easy, intuitiv und selbsterklärend") und war mit Styling, Performance, Features und Konnektivität zufrieden. Abgesehen von Styling und Design sind einander preisähnliche Modelle der drei "Großen" – Polar, Garmin und Suunto – meist recht ähnlich.

Handgelenkspulsmessung ist heute Standard, das Anzeigen von Nachrichten vom Smartphone, zahllose Trainingsprofile und individualisierbare Anzeigemodule auch. App- und Webanbindungen unterscheiden sich meist nur optisch und im Aufbau, sind verlässlich, schlau und mit fast allen anderen Sport-Apps kompatibel oder vernetzbar.

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Echte Unterschiede sind da eher Prägungs- oder Geschmackssache – oder über die Marktpositionierung erklärbar: Polar ist heute traditionell im Fitnessbereich vorne, lässt aber auf wirklich Neues warten. Man matcht sich an der Lifestyle-Fitness-Front mit Apple, Fitbit, Huawei & Co. Garmin hat ebenfalls Lifestyle-Fitness-Uhren, baut aber im Tri-, Outdoor- und Multisportbereich Position und Image aus. Suunto steht anderswo – am Berg. Nicht zuletzt wegen der barometrischen Funktionen, die mehr als Höhen messen können. Freilich: Bei Einsatzbereichen wie unseren ist die Auswahl rein geschmäcklerisch.

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Schließlich sind Flachlandbewohner wie wir leider meist nur Teilzeit-Hügler mit Abstrichen. Denise Goßner hatte es angesprochen: Hier am Achensee funktioniert Normalo- ebenso wie Traillaufen. Im Wettkampf "en bloc" oder in der Staffel – oder eben aufgeteilt auf mehrere Tage: Schließlich gibt es am Ostufer Radwege, die einen bis zum Tegernsee, zum Sylvensteinspeichersee oder nach Bad Tölz bringen. Auch am Straßenrad – und beinahe autofrei. Aber das ist eine andere Geschichte. (Thomas Rottenberg, 16.5.2018)

Mehr Bilder vom Laufen, Radfahren und der Achensee-Literatour gibt es auf Thomas Rottenbergs Facebook-Seite und seinem Instagram-Account.

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Der Aufenthalt in Achenkirch fand im Rahmen der Achensee-Literatour statt und war eine Einladung des Achensee Tourismus und des Posthotels Achenkirch.

Foto: thomas rottenberg