Jahrzehnte hat es gedauert, den Mythos von den gepflegten Bieren aus dem Holzfass wenn schon nicht auszurotten, dann wenigstens einzudämmen. Früher, so besagt die Legende, seien die Biere halt viel besser gewesen, weil ihnen die Holzfässer ihren eigenen Geschmack verpasst hätten. Wahr ist, dass Bier nach dem Transport ein, zwei Tage zur Ruhe kommen sollte, ehe das Fass angeschlagen wird.

Das nennt man von jeher "gepflegt". Aber ob das Fass aus Holz, Aluminium oder Edelstahl ist, tut nichts zur Sache – denn auch im Holzfass kommt das Bier ja nicht mit der Innenseite der Fassdauben in Berührung, sondern mit völlig geschmacksneutralem Pech, mit dem das Innere eines Bierfasses beschichtet ist. Das Weitere ist Folklore – wenn auch eine sehr beliebte, wie man aus dem Salzburger Müllnerbräu, vom Münchner Oktober- und von anderen Bierfesten weiß, bei denen Holzfässer angezapft werden.

Kein Pech gehabt: Vasja Golar ließ ein mit viel Röstmalz gebrautes Cascadian Dark Ale in Jameson-Fässern reifen.
Foto: Nina Kurnik, Pernod Ricard Austria

Whiskey & Stout

Alles klar? So weit schon, wenn dem Brauer Greg Hall aus Chicago nicht im Jahr 1992 sechs leere Fässer aus der Jim-Beam-Destillerie untergekommen wären. Diese Fässer aus amerikanischer Eiche dürfen nach den Regeln der Bourbon-Produktion nur einmal mit Whiskey belegt werden – denn anders als Bierfässer sind sie nicht gepicht, und bei amerikanischem Whiskey soll das kräftige Aroma der Eiche in die Spirituose übergehen. Anschließend werden sie billig verkauft, oft finden sie in schottischen oder irischen Destillerien weitere Verwendung.

Nun aber standen sechs solche Fässer bei der damals noch jungen und unabhängigen Goose Island Brewery. Und Greg füllte ein starkes Imperial Stout in die Fässer. Als er das Bier Wochen später kostete, war es noch stärker geworden. Das hängt mit einem physikalischen Effekt zusammen: Eine starke Spirituose wie der ursprünglich über 60 Volumenprozent starke Whiskey gibt über die Jahre ein wenig von ihrem Alkohol an die Umgebung ab. Was die Destillateure "The Angels' Share" nennen, ist zu einem beachtlichen Teil nicht einfach verdunstet, sondern ins Holz diffundiert.

Foto: Nina Kurnik, Pernod Ricard Austria

Prozente steigern

Füllt man nun eine Flüssigkeit, die weniger Alkohol enthält (in diesem Fall ein starkes Stout) in so ein Fass, wird der Effekt umgekehrt, denn jetzt ist die Alkoholkonzentration im Holz höher und der Whiskey diffundiert ins Bier. Und er bringt sein eigenes Aroma sowie jenes des Holzes ins Bier – es handelt sich ja nicht um gepichte Bierfässer, sondern um Fässer, die ihren Charakter durchaus an das enthaltene Getränk abgeben sollen. Und stärker wird das Bier auch – nämlich um zwei bis zweieinhalb Volumenprozent, lautet inzwischen die Faustregel für in Whiskyfässern gereifte Biere.

Dass das Bier gleichzeitig an Spritzigkeit einbüßt, tut nichts zur Sache, CO2 lässt sich ja bei Bedarf später ergänzen. Aber fassgereifte Biere wie Greg Halls "Bourbon County Stout" sollen ohnehin nicht allzu rezent schmecken, hier sollen die Aromen von Röstmalz und Röstgerste, von Whiskey und Vanille und je nach Rezept auch von Hopfen zur Geltung kommen. Jenes Experiment in Chicago ist jedenfalls gutgegangen – und Tomme Arthur, der vor zwei Wochen selbst mit dem Russell Scherer Award for Brewing Innovation ausgezeichnet wurde, hält es für eine der bedeutendsten Errungenschaften, die die an Innovationen reiche amerikanische Craftbierszene hervorgebracht hat. Denn Tomme, dessen Lost-Abbey-Brauerei in San Marcos sich in jenem Gebäude befindet, in dem die heute weltbekannte Stone Brewing Co. ihre Erfolgsgeschichte begonnen hat, ist auf Holzfassreifung spezialisiert.

Foto: Nina Kurnik, Pernod Ricard Austria

Experimente

Und er hat mit seinen Kreationen wieder andere angesteckt – Brauereien wie Deschutes in Oregon oder Firestone Walker in Kalifornien und natürlich auch Goose Island unterhalten inzwischen Fassreifungskeller mit mehreren Tausenden Fässern. Und längst sind es nicht mehr nur Whiskeyfässer (die nebenbei deutlich teurer geworden sind), sondern auch Fässer, in denen vorher Cachaça, Pinot Noir, Chardonnay, Melasse, Essig oder sogar Salz gelagert worden sind, die für besondere Biergeschmäcker herhalten müssen.

Beim World Beer Cup in Nashville wurden heuer 386 Biere allein in den Kategorien Wood- and Barrel-Aged Strong Beer und Wood- and Barrel-Aged Stout eingereicht, dazu noch 117 Fruchtbiere und 59 Biere normaler Stärke, die in Holzfässern gereift worden sind. Allerdings kamen die meisten dieser Einreichungen aus amerikanischen Brauereien, in Europa fasst der Trend erst langsam Fuß. Frühe österreichische Beispiele waren das Pirate Queen, ein Imperial Porter, das die 1516 Brewing Company im Jahr 2011 in Rumfässern hat reifen lassen, und das Bonifatius Barrique, das der Craftbierpionier Gerhard Forstner etwa zur gleichen Zeit in steirischen Rotweinfässern entwickelt hat.

Inzwischen haben die Destillateure entdeckt, dass die Zwischenbefüllung mit Bier durchaus auch einen Beitrag zu ihrem Whiskey liefern kann. So entstand bei der irischen Jameson-Destillerie das Caskmates-Projekt: Es begann als experimenteller Austausch von Whiskeyfässern zwischen der Destillerie in Midleton und der Franciscan Wells Brewery in Cork, die zunächst wie zuvor die Amerikaner starke Stoutbiere in die Fässer gefüllt hatte. Das ergab den erwarteten, aus den USA bekannten geschmacklichen Effekt. Spannend wurde es, als die Fässer nachher wieder mit Whiskey befüllt wurden. Dieser nahm tatsächlich das typisch kaffeeige Röstgerstenaroma des Stoutbieres an.

Mehr Mut

Nun wurden Destillateure und Brauer mutiger. Im Vorjahr gab es ein Caskmates IPA und den entsprechenden Whiskey (ja, er hat den herben Hopfenton angenommen!) und danach die Einladung an andere Brauer, sich dem Projekt anzuschließen. Einer der Eingeladenen war Vasja Golar, dessen Bevog-Brauerei im steirischen Bad Radkersburg zu den bestausgestatteten Betrieben dieser Größenordnung zählt.

Der Brauer reiste vergangenen Herbst nach Midleton, um sich genauer mit der Whiskeyproduktion – sie ist ja wie die Bierbrauerei malzbasiert – auseinanderzusetzen und um ein paar Jameson-Fässer mit nach Hause zu nehmen. In diesen ließ er ein Cascadian Dark (vulgo "Black IPA") reifen – ein fast schwarzes, aufgrund der intensiven Hopfung zunächst fruchtig duftendes Starkbier mit 9,2 Prozent Alkoholgehalt. Lässt man dieses, nach der schwarzen Gallustinte "Gallink" genannte, Bier im Glas etwas wärmer werden, überlagern die süßlich-holzigen Whiskeyaromen den fruchtig-herben Hopfencharakter.

9.000 Flaschen gibt es von dieser Spezialität – und manche werden wohl für längere Zeit im Keller gelagert werden. Denn man will schließlich vergleichen: Die Fässer gehen ja zurück nach Irland und werden mit Whiskey befüllt. Man darf gespannt sein, was von dem österreichischen Bier dann im irischen Whiskey zu schmecken sein wird. Und wie dieser Whiskey mit dem Bier harmonieren wird. (Conrad Seidl, 28.5.2018)

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