Bienen sollen Kaiser Lalibela beim Bau der berühmten Felskirchen im Norden Äthiopiens geholfen haben.


Foto: Georges Desrues

Im Süden des Landes fertigen Imker wie Ahmad Mako Bienenstöcke aus Eukalyptusholz, in denen geschmacksintensiver Dschungel-Honig entsteht.

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"Die Bienen im Harenna-Wald bestäuben bis zu zwanzig verschiedene Pflanzenarten", sagt Imker Ahmad Mako.

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Für Gashaw Melese besteht kein Zweifel, dass der beste Honig der Welt rund um die Kleinstadt Lalibela im Norden Äthiopiens erzeugt wird. Um das zu belegen, erzählt der Imker gerne die Legende von der Geburt des Kaisers, dem die Stadt ihren Namen verdankt: Als er auf die Welt kam, wurde der kaiserliche Säugling von Bienen umschwärmt, ohne dass sie ihn gestochen hätten. Weswegen er auf den Namen Lalibela getauft wurde, der übersetzt "der von den Bienen Auserkorene" bedeutet.

Als der später von der äthiopisch-orthodoxen Kirche heiliggesprochene Kaiser um das Jahr 1250 angeblich eigenhändig die elf weltberühmten Felsenkirchen von Lalibela aus dem Stein meißelte, sei er dabei nicht nur von Engeln, sondern auch von Bienen unterstützt worden. So will es die Legende, die für Melese Beweis genug ist, dass es nirgendwo sonst Bienen geben könne, die besseren Honig erzeugten als jenen aus seiner Heimat.

Lange Geschichte

Dass Äthiopien als Ursprungsland der Kaffeepflanze gilt und die besten Bohnen der Welt mitunter von hier kommen, ist bekannt. Auch, wie die Äthiopier ihre Kaffeekultur hochhalten und das Getränk ihren Gästen anbieten. Weniger bekannt ist indessen, dass der Honig in dem Land eine mindestens ebenso lange Geschichte und hohe rituelle Bedeutung hat. Seit Jahrhunderten spielt er etwa in der traditionellen Heilkunde Äthiopiens eine bedeutende Rolle.

Den sogenannten Tigray-Honig, benannt nach der Region im Norden des Landes, in der auch Lalibela liegt, erzeugen die Bienen während des äthiopischen "Frühlings". Also nach der Regenzeit in den Monaten September bis Dezember, wenn sich das sonst trockene und staubige Hochplateau mit seinen roten Bergen und dramatischen Schluchten in eine üppige grüne Landschaft mit bunter Blütenpracht verwandelt.

Honigwein für die Königin von Saba

"Manchmal ernten wir sogar ein zweites Mal, und zwar im Mai und Juni. Doch dafür braucht es ein ganz besonders regenreiches Jahr, wie es in letzter Zeit immer seltener vorkommt", sagt der Imker Melese und schenkt dabei vom Tej nach, also vom lokalen Honigwein, der in früheren Zeiten dem lokalen Adel und Klerus vorbehalten blieb.

Der Legende nach tranken schon die Königin von Saba und König Salomon Tej, als sie in einer romantischen Nacht Menelik zeugten, der zum ersten Kaiser Äthiopiens gekrönt wurde. Doch von der Exzellenz des Tigray-Honigs sind nicht alle Äthiopier überzeugt – im Süden soll es gar noch besseren geben.

Zwei Tagesreisen

Ganze zwei Tage dauert die Reise mit dem Land Cruiser von Lalibela im Norden des Landes bis zu den Honigsammlern im südlichen Harenna-Wald. Die Fahrt geht durch die Graslandschaft des Ostafrikanischen Grabens, auch Rift-Valley genannt, dann hinauf in den Nationalpark des Bale-Gebirges, auf mehr als 4.000 Meter Seehöhe über staubige Schotterpisten, durch karge Mondlandschaften und geradewegs hinein in die Wolken.

Die Vegetation ändert sich schlagartig, die Straße führt wieder bergab ins nebelige Dickicht des Dschungels. Der Harenna-Wald ist ein Urwald wie aus dem Bilderbuch, mit mächtigen Bäumen, Lianen und schroffen Felsen, die aus dem smaragdgrünen Pflanzenmeer ragen. Heimat ist er dem Schwarzmähnenwolf, dem Anubispavian und der bedrohten Bale-Grünmeerkatze sowie unzähligen Pflanzenarten.

Techniken über Generationen weitergegeben

"Unsere Bienen bestäuben bis zu 20 verschiedene Pflanzenarten, was den Honig so komplex im Geschmack, so einzigartig und so berühmt macht", sagt Ahmad Mako, ein hagerer Mann mit rotem Ziegenbärtchen und Tuch auf dem Kopf, der sich als Vorsitzender der Imker-Kooperative von Rira vorstellt.

Die geschäftige kleine Ortschaft liegt am Südhang des Bale-Gebirges und am Beginn des Harenna-Waldes. An die 50 Imker umfasse die Kooperative, fährt der Vorsitzende fort. Die Honigerzeugung laufe hier noch sehr traditionell ab, die Techniken seien über Generationen weitergegeben worden.

Honigernte als aufwendiger Prozess

Die Bienenstöcke unterscheiden sich wesentlich von jenen, die in Europa verwendet werden. Die örtlichen werden Kafo genannt, sind zylinderförmig und aus Eukalyptus oder anderen biegbaren Holzarten erzeugt. Um ihren wertvollen Inhalt vor wilden Tieren zu schützen, werden die Kafos in den Baumwipfeln untergebracht, erklärt Mako und steigt über einen Zaun, um zu seinen Stöcken zu gelangen.

Nicht nur die Höhe der Bäume, sondern auch die Beschaffenheit der Bienenstöcke sorgt dafür, dass die Honigernte hier ein viel aufwendigerer Prozess ist, als mit den leichter zu öffnenden, schnell wiederverschließbaren und generell einfacher zu handhabenden europäischen Stöcken. Zudem sind afrikanische Bienen um einiges aggressiver als ihre Artgenossen in Europa.

Natürlich bio

"Natürlich ist unser Honig biologisch erzeugt", betont der Vorsitzende, während er die Tür zu einem Lager aufschließt, das in einem einfachen Verschlag untergebracht ist. Chemikalien und intensiv bestellte Felder gebe es um Rira gar nicht. Außerdem würden die Bienen ausschließlich im gänzlich unberührten Harenna-Wald arbeiten.

"Ein großer Vorteil ist zudem das besondere Klima", sagt Mako, "hier dauert die Regenzeit fast neun Monate. Deswegen können wir im Hochland in so gut wie jedem Jahr zweimal ernten." Außerdem sei da eben noch die extreme Vielfalt der Pflanzen im Urwald, die dafür sorge, dass in Rira der beste Honig des Landes hergestellt werde.

Intensive Noten

Den Einwand, dass das auch die Imker in der Region Tigray von ihrem Honig behaupten, quittieren die umstehenden Herren mit lautem und despektierlichem Gelächter. "Die können das gerne behaupten, aber in Wahrheit wissen sie genau, dass sie niemals an die Qualität von Rira-Honig herankommen werden", sagt Mako und bestreicht lachend ein Fladenbrot mit einer Kostprobe des Honigs.

Der ist cremig und von dunkler Bernsteinfarbe, im Geschmack einzigartig fruchtig und blumig, mit intensiven Noten von Malz und Karamell. Interessant wäre es freilich, zum Vergleich den lokalen Honigwein zu kosten, den die biblischen Könige tranken. Wieder lachen alle laut auf. "Den werden sie bei uns nicht finden, weil wir allesamt der muslimischen Minderheit angehören. Und das Märchen von den Königen und Bienen glaubt hier keiner", sagt Herr Mako und verabschiedet sich, um sich wie alle Umstehenden bei bester Laune zum mittäglichen Gebet in die Moschee zurückzuziehen. (Georges Desrues, RONDO, 18.5.2018)