Für Globalisierungskritiker steht Ceta sinnbildlich für den ungeliebten Freihandel.

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Diplomaten aus zwei Ländern setzen sich an einen Tisch in einem abgeschotteten Konferenzraum und verhandeln monatelang über Produktnormen und Zolltarife. Irgendwann präsentieren sie ein fertiges Handelsabkommen, von dem die Öffentlichkeit kaum Notiz nimmt.

So lief Handelsdiplomatie in der Vergangenheit ab. Von den meisten Verträgen bekam niemand etwas mit. Das ist heute ganz anders. Freihandelsabkommen wie jenes der EU mit Kanada (Ceta) sind politisch umkämpft. Bis zuletzt: Die türkis-blaue Regierung will am Mittwoch im Ministerrat grünes Licht für Ceta geben und erntet dafür heftige Kritik von Opposition und NGOs. Auffallend ist, dass es im Zuge der Ceta-Debatten einige politische Kehrtwendungen gab.

1. Stille Wende der FPÖ

"Nein zu den Freihandelsabkommen Ceta, TTIP, Tisa": Unter dem Zwischentitel "Österreicher verdienen Fairness" hatte sich die FPÖ in ihrem Programm für die Nationalratswahl 2017 klar gegen das Handelsabkommen mit Kanada positioniert. Die FPÖ kampagnisierte aber nicht nur gegen Ceta. Parteichef Heinz-Christian Strache versprach wiederholt eine Volksabstimmung über den Vertrag. Im Wahlkampf von Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer war eine Volksabstimmung zu Ceta sogar ein zentrales Element.

Das war zu Zeiten, als die Freiheitlichen in Opposition waren. In der Regierung angekommen, verpflichtete sich die Partei im gemeinsamen Programm mit der ÖVP plötzlich dazu, Ceta zu ratifizieren. Im Ministerrat werden die Blauen zustimmen. Auffallend ist, dass die FPÖ ihren Positionswandel nicht erklärt oder begründet. Wie die Kehrtwende zu rechtfertigen ist, wollte der STANDARD von Hofer, inzwischen Infrastrukturminister, wissen. "Die Frage stellt sich nicht", lautete die knappe Antwort aus seinem Büro.

Jean-Claude Juncker (links) brachte Ceta nach langen Verhandlungen mit Kanadas Premier Justin Trudeau 2016 durch.
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"Was immer wir sagen, wird bloß dazu führen, dass sich die Kritik an uns verstärkt. Also sagen wir lieber gar nichts." Mit diesem Satz erklärt der Politologe Peter Filzmaier das Schweigen der Freiheitlichen in puncto Ceta im STANDARD-Gespräch.

Dabei habe die FPÖ ein "doppeltes Rechtfertigungsproblem", so Filzmaier. Die Partei sagt nun Ja zum Abkommen und fordert auch keine Abstimmung mehr. Letzteres dürfte den freiheitlichen Wählern eher im Gedächtnis bleiben, sagt der Politologe. Das Ceta-Abkommen ist komplex, umfasst tausende Regelungen. Befragungen in Fokusgruppen hätten ergeben, dass nur wenige Bürger, ganz gleich, welcher politischer Couleur, genau sagen können, was Ceta ist. Dass die FPÖ eine Volksabstimmung zugesagt hat, nun davon aber wie von anderen Elementen direkter Demokratie nichts mehr wissen will, "ist das langfristig größere Problem für die Partei", so Filzmaier.

2. Erst Ja, dann Nein der SPÖ

Eine einheitliche Linie bei Ceta zu finden war auch für die SPÖ nicht leicht. Als neuer Bundeskanzler hatte Parteichef Christian Kern im September 2016 eine österreichweite Befragung zu Ceta durchgeführt. Mehr als 20.000 Menschen nahmen an der Abstimmung teil, die meisten SPÖ-Mitglieder. Eine klare Mehrheit sprach sich gegen Ceta aus, vor allem gegen die Investitionsgerichte. Diese Gerichte erlauben es ausländischen Konzernen, auf Schadenersatz zu klagen, etwa wenn sie behaupten, dass Gesetze ihre Eigentumsrechte verletzen.

Mit seiner ablehnenden Haltung gegen Ceta kam der Kanzler in Brüssel unter Druck, er stand ziemlich allein da. Schließlich wurde ein "Beipackzettel" zu Ceta zwischen der EU und Kanada vereinbart. Dieses Dokument enthielt im Wesentlichen nichts Neues, sondern bestand aus allgemeinen Bekenntnissen, etwa zu Nachhaltigkeit. Die vielkritisierten Investitionsgerichte blieben Teil des Abkommens. Das Dokument nutzte Kern dennoch, um aus der politischen Sackgasse herauszukommen: Er und die SPÖ sprachen von einigen erkämpften Verbesserungen und gaben grünes Licht für Ceta. Der damalige Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner konnte dem Abkommen im Rat der EU zustimmen.

Auch Christian Kern (rechts) hatte als Kanzler seine Schwierigkeiten mit Ceta, konnte letztlich Trudeau aber seine Zustimmung versichern.
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Nun, in der Oppositionsrolle, macht die SPÖ erneut gegen Ceta mobil. Klubchef Andreas Schieder kritisierte am Dienstag, dass die Regierung das Abkommen "durchpeitsche", während wichtige Punkte nicht geklärt seien. Besonders die Ausgestaltung der Investitionsgerichte müsse doch erst verhandelt werden, so Schieder. Doch im Ceta-Abkommen ist genau festgelegt, wie die Investitionsgerichte aussehen sollen. Die Zahl der Richter ist ebenso bestimmt wie der Ablauf des Berufungsverfahrens. Da ist alles fixfertig verhandelt, mit den Kanadiern wird nicht mehr gesprochen.

Die EU-Kommission hat sich parallel zu Ceta dazu bekannt, ein weltweites System der Investitionsgerichtsbarkeit umzusetzen. Eines Tages würden auch die EU und Kanada beitreten. Doch ein solches System mit dutzenden Ländern auszuverhandeln wird Jahre oder Jahrzehnte dauern.

3. Diskrete Kommission

Im Zuge der Gespräche über Ceta, verhandelt wurde zwischen 2009 und 2014, hat auch die EU-Kommission eine Wandlung durchgemacht. Die Brüsseler Behörde setzte zunächst auf volle Diskretion: Öffentlich bekannt war nicht einmal, worüber Europäer und Kanadier genau sprechen. Das Mandat, das die EU-Länder der Kommission erteilt hatten, wurde über Jahre geheim gehalten. Erst als die öffentliche Kritik immer lauter wurde, vollzog die Kommission eine Wende. Auslöser war vor allem der Unmut vieler NGOs über ein anderes Handelsabkommen, TTIP, das zwischen der EU und den USA verhandelt wurde.

Um den Kritikern entgegenzukommen, begann die Kommission eigene Verhandlungspositionen und Ziele zu publizieren. Eine Wandlung gab es auch bei den Investitionsgerichten: In der Vergangenheit tagten solche Gerichte meist nicht öffentlich, ein Berufungsverfahren gab es nicht. All das ist nun anders. In Handelsabkommen gibt es neuerdings zudem Bekenntnisse zu Umweltschutz und Arbeitnehmerrechten.

Für Kritiker sind das nur Lippenbekenntnisse. Alexandra Strickner von Attac Österreich sagt, dass Umwelt- oder Arbeitnehmerschutz nach wie vor nicht das primäre Ziel der Kommission seien, wenn sie Handelsverträge verhandelt. Die Kommission treibe mit ihren Pakten die Agenda weniger Konzerne voran. (András Szigetvari 16.5.2018)