Nein, überrascht konnte niemand vom blutigen Drama an der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Israel gewesen sein. Als Präsident Donald Trump vor einem halben Jahr die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem verkündete, wurde mit Gewaltausbrüchen in der islamischen Welt gerechnet. Dass diese zunächst moderat ausfielen, ändert nichts an der Sprengkraft des Themas. Die Eröffnung der neuen Botschaft am israelischen Unabhängigkeitstag goss weiteres Öl ins Feuer. Denn auf den Freudentag folgt für die Palästinenser der Nakba-Tag, an dem sie der Flucht und Vertreibung aus Israel 1948 gedenken.

Die radikalislamische Hamas hat inzwischen mit ihren Massendemonstrationen an der Grenze eine neue Waffe im Propagandakrieg mit Israel erfunden. Dessen Armee kann gar nicht zulassen, dass tausende junge Männer ins Staatsgebiet strömen und dort möglicherweise Gewalttaten begehen. Und die Hamas weiß, dass Israel stets mit voller Härte gegen solche Provokationen vorgeht und sich nicht um die Reaktionen kümmert, die solche Bilder weltweit auslösen. Und da viele Demonstranten offenbar bereit sind, als Märtyrer im israelischen Kugelhagel zu sterben, war das Blutbad vorbestimmt. Es ist eine von beiden Seiten inszenierte Tragödie, die Chronik eines angekündigten Todes.

Hochmütig auf die Gewaltbereitschaft zeigen

Und die Inszenierung nützt allen Beteiligten. Israels Premier Benjamin Netanjahu, innenpolitisch massiv unter Druck, spielt den entschlossenen Verteidiger des Heimatlandes und zeigt hochmütig auf die Gewaltbereitschaft der Palästinenser. Die Hamas fühlt sich wiederum wohl in ihrer Opferrolle und lenkt damit vom eigenen politischen, wirtschaftlichen und administrativen Versagen ab. Trump sieht sich durch den Applaus für die Botschaftsverlegung vonseiten der israelischen Öffentlichkeit und der evangelikalen Lobby im eigenen Land, von der ein besonders bigotter Vertreter die Gebete bei der Einweihung sprechen durfte, in seiner irren Entscheidung bestärkt. Verantwortlich für die vielen Toten und Verletzten sei ausschließlich die Hamas, begründet ein Sprecher des US-Außenministeriums das Nein zu einer internationalen Untersuchung der Vorfälle.

Das ist eine höchst verzerrte Darstellung. Denn Israel lässt den Bewohnern des Gazastreifens kaum eine andere Wahl, als durch ihr eigenes Blut auf ihr Elend aufmerksam zu machen. Dass dieses selbst in der arabischen Welt auf immer weniger Interesse stößt, verstärkt ihr Gefühl der Isolation. Im Westjordanland ist die Lage zwar etwas besser, aber auch dort zerstört die Hoffnungslosigkeit jeden Friedenswillen. Dazu tragen auch die korrupte Selbstverwaltung und die Schwäche von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas bei. Genauso wie Israel der Hamas den Triumph der Bilder lässt, erlaubt es Abbas durch Gesprächsblockaden und antisemitische Ausritte, dass Israel sich bei seinen Fans als das wahre Opfer geriert.

Auf der Strecke bleiben neben Millionen von Palästinensern all jene Israelis, die noch an eine Zweistaatenlösung glauben. Und Europa sieht dem bösen Spiel hilflos zu. Die Union schafft es nicht einmal mehr, in der Jerusalem-Frage geschlossen aufzutreten. Die bisherige EU-Position, dass eine Anerkennung als Hauptstadt erst nach einer Friedenslösung möglich ist, wird auch von Österreich hintertrieben. Es war zwar nur ein Botschafterbesuch bei einem Galaempfang, aber auch das trägt ein wenig zum Wahnsinn bei. (Eric Frey, 15.5.2018)