Jörg Wrachtrup ist Professor für Physik in Stuttgart.

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Der Quantencomputer steht im Zentrum einer neuen Generation von Quantentechnologien – wie er gebaut werden kann, ist noch unklar. Im Bild: schematische Darstellung eines Quantenschaltkreises.

Illustration: Picturedesk / Science Photo Library

Der Quantencomputer ist die prominenteste Vision unter den technischen Anwendungen der Quantenphysik. Noch gibt es aber keine genaue Vorstellung davon, wie er tatsächlich konstruiert werden kann. Es gibt jedoch eine Vielzahl von Technologien, in denen schon jetzt Quantenphysik zur Anwendung kommt. Und eine neue Generation von Quantentechnologien ist kurz vor dem Sprung zur Marktreife.

Zu den zukunftsträchtigsten Technologien zählen Quantensensoren. Der deutsche Physiker Jörg Wrachtrup arbeitet an der Entwicklung dieser Präzisionssensoren, die es möglich machen, einzelne Teilchen oder Strukturen genauer zu vermessen als bisher. Die Anwendungsfelder dafür reichen von der Medizin bis in die Astronomie.

STANDARD: Bei den technischen Anwendungen der Quantenphysik wird zwischen einer ersten und einer zweiten Quantenrevolution unterschieden. Was hat die erste gebracht, und was ist von der zweiten zu erwarten?

Wrachtrup: Die erste Quantenrevolution betrifft die Mikroelektronik. Die Entwicklung von Transistoren oder Lasern war nur durch das Verständnis der Quantenmechanik möglich. Es gibt viele Geräte, die Quanteneffekte nutzen – etwa die Kernspinresonanztomografie. Aus der zweiten Quantenrevolution sind bisher kaum Geräte im Einsatz. Dabei spielen komplexere quantenmechanische Phänomene wie Verschränkung (Korrelation von räumlich getrennten Teilchen, Anm.) eine entscheidende Rolle. Um es auf den Punkt zu bringen: Bei der ersten Quantenrevolution haben einzelne Teilchen eine Rolle gespielt, bei der zweiten sind es die kontrollierten Wechselwirkungen. Im Labormaßstab gelingt das schon, aber für die industrielle Produktion ist das bisher nicht möglich.

STANDARD: Woran liegt es, dass Quanteneigenschaften wie Verschränkung im größeren Maßstab verschwinden?

Wrachtrup: Das liegt daran, dass die Quantenkorrelationen sehr flüchtig sind. Daher muss man die Lichtteilchen oder Atome, aus denen das jeweilige Quantensystem besteht, extrem gut gegenüber der Umgebung abschirmen. Das gelingt bisher nur im Labor. Wenn man davon träumt, komplexe technische Geräte wie einen Quantencomputer zu bauen, geht es nicht nur darum, die Wechselwirkung zwischen zwei Elektronen zu kontrollieren, sondern zwischen Hunderten, vielleicht sogar Millionen von Quantenschaltkreisen. Diese Korrelationen sind enorm fragil. Die Fragilität steigt exponentiell mit der Größe. Es gibt nur ganz wenige Systeme, bei denen wir das möglicherweise umsetzen können.

STANDARD: Mit welchen Systemen könnte der Bau eines Quantencomputers gelingen?

Wrachtrup: Das sind teilweise sehr exotische Systeme wie supraleitende Schaltkreise, die aus Supraleitern statt aus Halbleitern hergestellt sind. Diese werden schon genutzt und sind das Pferd, auf das Unternehmen wie Google oder IBM setzen, um komplexe Quantenmaschinen zu bauen. Auch da sieht man, dass sich etwa zehn Einheiten kontrollieren lassen. Bei einer Verdopplung der Einheiten vervierfacht sich die Komplexität. Ein anderes vielversprechendes System sind Lichtteilchen – gerade in Österreich wird pionierhaft demonstriert, was man mit Photonen in der Kommunikation alles machen kann. Hier gibt es ein ähnliches Problem: Bei einer großen Anzahl an Lichtteilchen ist die Komplexität enorm.

STANDARD: Ihre Arbeit zu Quantensensoren geht auf eine Entdeckung von Defekten in Diamanten zurück. Wie kam es dazu?

Wrachtrup: Als ich eine Stelle in Chemnitz antrat, habe ich mit meiner Gruppe begonnen, zu Materialien zu forschen, die es dort vor Ort gab. So sind wir zufällig auf Defekte in Diamanten gestoßen. Diese eignen sich für Anwendungen in der Quantentechnologie besonders gut, weil sie relativ leicht zu erzeugen und die Quantenzustände sehr leicht zu kontrollieren sind. Wir konnten damit Miniquantencomputer bauen und stellten fest, dass sie sich gut für die Sensorik eignen.

STANDARD: Quantensensoren könnten nicht nur in der Medizin eingesetzt werden, sondern auch neue physikalische Einsichten ermöglichen – wie kann das gelingen?

Wrachtrup: Eine offene Frage ist, ob jeder Magnet einen Nord- und einen Südpol hat oder ob es Magnete geben könnte, die beispielsweise nur einen Südpol aufweisen. Wir sprechen dabei von magnetischen Monopolen. So etwas ist noch nie beobachtet worden, wir können ihre Existenz aber auch nicht widerlegen. Mit Quantensensoren können wir Präzisionsmessungen der magnetischen Wechselwirkungen von Elektronen machen. So könnten wir Abweichungen von der derzeit gültigen Theorie finden. Dann bräuchten wir eine neue Erklärung, und dafür kommen Axionen infrage. Diese Teilchen sind noch nicht beobachtet worden, denn man braucht dafür extrem genaue Messungen. Genau dafür wollen wir Quantensensoren einsetzen. Da Axionen auch mit Dunkler Materie in Zusammenhang stehen, könnten wir so herausfinden, warum wir nicht einmal fünf Prozent der Masse im Universum sehen.

STANDARD: Von diesem kosmischen Ausblick zum Abschluss wieder zurück auf die Erde: Die Europäische Union hat durch das Quantum-Flagship ein Fördervolumen von einer Milliarde Euro für zehn Jahre für die europäische Quantenforschung auf den Weg gebracht. Wie bewerten Sie die Initiative?

Wrachtrup: In Japan und den USA wird mit Staunen und Bewunderung betrachtet, dass sich die EU und die Mitgliedsstaaten verpflichtet haben, so viel Geld in die Hand zu nehmen. Die einzige Ausnahme ist China, wo noch deutlich mehr in die Quantenforschung investiert wird, auch von privaten Unternehmen. Über die vergangenen 15 Jahre hat sich in Europa eine extrem gute Quanten-Community herausgebildet. Die Europäer sind in diesem Bereich der führende Kontinent, was mit dem Flagship anerkannt wird. Man muss das Fördervolumen aber in Relation zu einzelnen Aktivitäten setzen. Unternehmen investieren Milliarden für die Entwicklung eines Quantencomputers. Die Fördermittel des Quantum-Flagship werden aber auf mehrere Gebiete und Labore verteilt. Es ist also klar – so lobenswert die Aktion ist -, wenn man etwas so Komplexes konstruieren will wie einen Quantencomputer, ist das Geld, das hier auf viele Projekte verteilt wird, nur ein Tropfen auf den heißen Stein. (Tanja Traxler, 21.5.2018)