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Luigi di Maio im Zentrum der Medienaufmerksamkeit.

Foto: Giuseppe Lami/ANSA via AP

Rom – Nach tagelangen, zähen Verhandlungen konnten sich die "Grillini" und die Lega gestern offenbar auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einigen. Dies haben Mitglieder der Verhandlungsdelegationen gegenüber italienischen Medien erklärt. Das Dokument ist zunächst nicht veröffentlicht worden. Ebenfalls noch nicht bekannt ist der Name des neuen Regierungschefs – zu diesem nach wie vor strittigen Thema sollte am Abend eine weitere Gesprächsrunde zwischen dem Politikchef der Fünf Sterne, Luigi Di Maio, und von Lega-Führer Matteo Salvini stattfinden.

Letztlich obliegt es aber Staatspräsident Sergio Mattarella, den neuen Premier zu ernennen. Er ist in seiner Wahl völlig frei. Für großes Aufsehen im In- und Ausland hatte gestern ein Bericht der"Huffington Post Italia" gesorgt: Die Online-Zeitung hatte am Dienstagabend einen Entwurf des Koalitionsvertrags veröffentlicht, der vom Montag datierte. Dabei stach ein Punkt besonders hervor: Auf Seite 38 des Papiers wurden Maßnahmen aufgelistet, wie Italiens gigantischer Schuldenberg von 2,3 Billionen Euro reduziert werden könnte. Eine Maßnahme bestand darin, bei der Europäischen Zentralbank (EZB) einen Schuldenerlass von 250 Milliarden Euro zu beantragen.

Die Forderung ist freilich ziemlich unrealistisch: Die EU-Verträge untersagen der Zentralbank die monetäre Finanzierung der Mitgliedstaaten. Der Koalitionsentwurf hat daneben gleich mehrere Befürchtungen und Vorbehalte gegenüber den beiden Anti-System-Parteien bestätigt, die vermutlich bald Italien regieren werden. So fand sich in dem Dokument auch die Forderung nach der Einführung eines Mechanismus in den europäischen Verträgen, der einen Austritt aus der Einheitswährung erlauben würde. Damit könnte der Weg zu einem Referendum über den Euro-Austritt in Italien geebnet werden.

Obergrenze von drei Prozent

Außerdem sollen die "unbegründeten und aus wirtschaftlicher und sozialer Sicht untragbaren Auflagen" des europäischen Stabilitätspakts sowie die Vorgaben der Maastricht-Verträge – insbesondere die Obergrenze von drei Prozent des BIP für die Neuverschuldung – "radikal geändert" werden. Die Forderungen sind vom Di Maio und Salvini umgehend relativiert worden. Bei dem Entwurf handle es sich um eine "weitgehend überholte Version". Der Euro-Austritt sei im aktuellen Koalitionsvertrag nicht mehr enthalten, hieß es gestern Abend. Und über die EU-Haushaltvorgaben wolle man zwar verhandeln, aber "einvernehmlich mit unseren europäischen Partnern", versicherte Di Maio.

So oder so zeigte der Entwurf deutlich auf, wohin die Reise der neuen Regierung in Rom gehen würde: Budgetdisziplin wird als lästig empfunden, und die mit der EU eingegangenen Vereinbarungen und Verpflichtungen werden in Frage gestellt. Zahlreiche Punkte des Entwurfs sind außerdem nicht dementiert worden. So sind auch in der aktuellen Version die Einführung eines Grundeinkommens von 780 Euro sowie eine drastische Steuersenkung auf 15 Prozent (für Einkommen bis 80.000 Euro) und 20 Prozent (über 80.000 Euro) enthalten. Alleine diese beiden Maßnahmen würden die chronisch defizitäre Staatskasse laut Experten jährlich um etwa 80 Milliarden Euro (4,7 Prozent des BIP) belasten.

Weiter soll die Rentenreform der Regierung Monti "überwunden" und das Renteneintrittsalter wieder gesenkt werden, was in den kommenden fünf Jahren weitere 100 Milliarden Euro kosten dürfte. Zur möglichen Finanzierung dieser Mehrausgaben und Ertragsausfälle finden sich im Koalitionspapier nur vage Angaben. Die Finanzmärkte haben auf die Veröffentlichung des Programm-Entwurfs mit Zinsaufschlägen für italienische Staatsanleihen und fallenden Aktienkursen an der Mailänder Börse reagiert; der Euro fiel auf den tiefsten Stand seit Dezember 2017. Die Unsicherheit der Investoren ist beträchtlich: Wenn die Geldgeber Italiens zum Schluss kommen sollten, dass die neue Regierung die Schulden nicht mehr bedienen will oder kann, könnte dies bei den Zinsen rasch zu einer gefährlichen Aufwärtsspirale führen. Der "Corriere della Sera" bezeichnete das Gesuch um den Schuldenerlass und die Pläne zur Neuverschuldung gestern als ein "Spiel mit dem Feuer", für das die Protestwähler Italiens keinen Auftrag gegeben hätten. (Dominik Straub aus Rom, 16.5.2018)