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Südkorea und die USA wollen gemeinsame Manöver fortsetzen.

Foto: AP / Ahn Young-joon

Nach Wochen der Annäherung scheint der Westen im Umgang mit Nordkorea nun wieder auf dem Boden der Realität angelangt: Pjöngjang hat am Mittwoch erstmals angedroht, das für den am 12. Juni in Singapur geplante Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Kim Jong-un platzen zu lassen. Die staatliche Nachrichtenagentur KCNA berief sich in einer Aussendung auf Nordkoreas Vize-Außenminister Kim Kye-kwan, der Washington dafür kritisierte, "uns in die Enge zu treiben und einseitig zu fordern, dass wir Atomwaffen aufgeben". Die Vereinigten Staaten müssten sich zudem genau überlegen, was der "militärische Krawall" für den Gipfel bedeute – eine Anspielung für die seit Freitag stattfindenden Militärmanöver der US-südkoreanischen Streitkräfte.

"Max Thunder" heißen die alljährlichen, größten Luftwaffenübungen auf der Koreanischen Halbinsel. Laut südkoreanischen Medienberichten würden daran rund 100 Kampfflugzeuge teilnehmen, darunter acht Tarnkappenflieger des Typs F-22. Die Nachrichtenagentur Yonhap hatte zudem in einem bisher unbestätigten Bericht behauptet, dass auch strategische Langstreckenbomber des Modells B52 entsandt wurden.

Irritationsfaktor Manöver

Auch wenn die US-südkoreanischen Streitkräfte immer wieder behaupten, dass die Militärmanöver rein defensiver Natur seien: Für Nordkorea wird es als Provokation empfunden haben, wenn Kampfflugzeuge – theoretisch mit nuklearen Sprengköpfen bestückt – nur wenige Flugminuten von der innerkoreanischen Grenze entfernt Manöver ausführen. Zumal Kim Jong-un mit Südkoreas Präsidenten Moon Jae-in beim gemeinsamen Gipfeltreffen Ende April vereinbart hatte, sämtliche feindliche Aktionen auf Land, zu See und zu Luft einzustellen.

Washingtons militärisches Säbelrasseln kommt auch tatsächlich zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Kommentatoren warnen US-Präsident Donald Trump zwar davor, den Nordkoreanern verfrühte wirtschaftlichen Zugeständnisse anzubieten. Eine Lockerung der Sanktionen ohne nachhaltige Denuklearisierung würde das Regime in Pjöngjang nur dazu verleiten, weiter Zeit herauszuschlagen.

Provokation von US-Berater

Aber die Zeichen standen in letzter Zeit auf Entspannung: Das nordkoreanische Regime hat gleich eine ganze Reihe an Konzessionen eingeräumt: Zuerst stoppte Kim Jong-un seine Nuklear- und Raketentests, dann ließ er die drei in Nordkorea festgehaltenen US-Bürger frei, und schließlich versprach er die Stilllegung der Atomtestanlage Punggye-ri für nächste Woche.

Auf der anderen Seite hat Donald Trump mit der willkürlichen Aufkündigung des Iran-Deals seine Vertrauenswürdigkeit gegenüber den Nordkoreanern nicht gerade erhöht. Auch die Forderung vom US-Sicherheitsberater John Bolton, bei Nordkoreas Denuklearisierung nach dem Libyen-Modell vorzugehen, dürfte einigen Hardlinern in Pjöngjang bitter aufgestoßen sein. Libyens damaliges Regime unter Gaddafi hatte schließlich zunächst seine nuklearen Ambitionen aufgegeben, ehe es Jahre daraufhin später mithilfe westlicher Luftschläge gestürzt wurde.

In Südkorea redete vor zwei Tagen Thae Yong-ho, Nordkoreas übergelaufener Diplomat aus der Londoner Botschaft, im Parlament: Seine Botschaft war eine mahnende Warnung an den Westen, sich nicht von Nordkoreas Charme-Offensive vereinnahmen zu lassen. Sein Atomarsenal würde Kim Jong-un unter keinen Umständen aufgeben. Nordkoreas Nachrichtenagentur bezeichnete Thae daraufhin prompt als "menschlichen Abschaum".

Taktisches Zähnefletschen

In diesem Zusammenhang ist Nordkoreas Empörung vor allem ein taktisches Zähnefletschen im Vorfeld des Gipfeltreffens. "Der US-Nordkorea-Gipfel wird stattfinden. Was wir jetzt sehen, ist bereits ein Teil davon", sagt Andray Abrahamian von der singapurischen NGO Choson Exchange, die unter anderem volkswirtschaftliche Seminare in Nordkorea durchführt: "Hier geht es um die öffentliche Seite der Verhandlungen: Nordkorea benutzt die Absage eines innerkoreanischen Arbeitstreffens, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen."

Der in Seoul ansässige Nordkorea-Experte Christopher Green von der Denkfabrik Crisis Group sieht in den jüngsten Entwicklungen ebenfalls keinen Grund zur Sorge: "Nordkorea nutzt schlicht die Gelegenheit, um sich in eine starke Position für künftige Verhandlungen zu manövrieren."

USA bereiten Treffen vor

Die US-Regierung reagierte demonstrativ gelassen und wolle mit den Vorbereitungen für den US-Nordkorea-Gipfel wie geplant fortfahren. Südkoreas Regierung reagierte mit Bedauern, dass Nordkorea das für den gestrigen Mittwoch geplante hochrangige Treffen zwischen den zwei Nachbarländern kurzfristig abgesagt hat. Dies würde nicht "dem Geiste und den Vereinbarungen entsprechen, die zwischen den Koreas erzielt wurden", sagte der Sprecher des Seouler Vereinigungsministeriums Baik Tae-hyun. Man rufe den Norden auf, schnellstmöglich wieder zum Dialog zurückzukehren.

Bei einer Krisensitzung am Mittwoch haben sich die südkoreanischen und US-Streitkräfte zudem darauf geeinigt, die Militärübung fortzusetzen. "Die Übung ist dazu gedacht, die Fähigkeiten der Piloten zu stärken, und ist kein Angriffsmanöver", heißt es in einer an Journalisten gesendeten Textnachricht des Seouler Verteidigungsministeriums.

Dass Kim Jong-un das Treffen mit Trump in Singapur tatsächlich platzen lassen möchte, bleibt unwahrscheinlich. Schließlich steht er auf der Zielgeraden eines Mammutprojekts, von dem bereits sein Großvater – Staatsgründer Kim Il-sung – geträumt hat: mit dem US-Präsidenten auf Augenhöhe zu verhandeln. (Fabian Kretschmer aus Seoul, 16.5.2018)