Washington/Wien – Bald ist der Spuk vorbei. Russland-Ermittler Robert Mueller wird zügig seine Ermittlungen beenden und US-Präsident Donald Trump schwer belasten. Und selbst wenn das nicht passiert, kommt die Rechnung im November. Dann, so könnte man glauben, wenn man dieser Tage US-Medien liest, wird die Stunde der "Resistance" schlagen, werden die Wähler scharenweise an die Urnen strömen und die Demokraten in ungeahnter Zahl in den Kongress wählen. Damit wird Trump zur "lame duck", zum Präsidenten, der nur noch mit gelegentlichen Verordnungen Akzente setzt und sonst keine Gesetze mehr durchbringt. Wenn er nicht ohnehin vorher abgesetzt wird.

Donald Trump betritt die Air Force One. Ein Bild, mit dem sich seine Gegner womöglich noch länger abfinden müssen, als sie gehofft haben.
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Doch mit dieser Zukunftsvision gibt es ein Problem: Es ist alles andere als sicher, dass irgendetwas davon eintritt. Und es ist in den vergangenen Wochen unwahrscheinlicher geworden. Donald Trump ist immer noch der US-Präsident mit den schlechtesten Umfragewerten der letzten Dekaden. Doch die Zustimmung der Wählerinnen und Wähler zu ihren Staatenlenker ist zuletzt eher gestiegen – und auch die Republikaner dürfen sich in Fragen zur Parteipräferenz bei den Midterm-Elections über Zugewinne freuen.

Die Ausgangslage

Zwar liegt die "Grand Old Party" (GOP) immer noch klar hinten, doch hilft ihr sowohl das Wahlsystem als auch der Rhythmus der Urnengänge. Im Repräsentantenhaus lagen die Republikaner – je nach Umfrage – zuletzt zwischen zehn und zwei Prozentpunkte hinter den Demokraten. Diese nationalen Umfragen sind ungenau, weil nicht nach den einzelnen, im Mehrheitsverfahren gewählten Kandidaten, sondern nach der präferierten Partei gefragt wird. Nimmt man alle zusammen, gelten sie aber als gute Vorhersage für den Gesamtüberblick über die 435 Rennen um Abgeordnetensitze. Im goldenen Mittelwert liegen die Demokraten nur noch rund fünf Prozentpunkte vorn.

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Obwohl es objektiv für sie keine Besserung gibt, hat die Trump-Präsidentschaft manchen Anhängern die Zukunftsangst genommen – das könnte dem Präsidenten helfen.
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Und das würde nicht reichen. Denn in den vergangenen Jahren haben Republikaner auf Ebene vieler Staaten die Wahlkreisgrenzen so umgezeichnet, dass sie zwar in einigen – meist innerstädtischen – Bezirken sehr klar verlieren werden, in vielen anderen aber die Chance haben, knapp zu gewinnen. Aus diesem Verfahren, dem "Gerrymandering", ergibt sich für die GOP die Möglichkeit, mit mehreren Prozentpunkten Rückstand in der Gesamtstimmenzahl noch immer deutlich mehr Wahlkreise zu gewinnen als die Demokraten. Sieben bis acht Prozentpunkte Rückstand können sie sich nach Berechnungen der Wahlgurus von fivethirtyeight.com und der "New York Times", Nate Silver und Nate Cohn, erlauben, ohne die Mandatsmehrheit zu verlieren.

In vielen Teilen der Welt – etwa in Pakistan – löst Trumps Handeln als Präsident Wut aus. Dass die Kriegsgefahr steigt, ist vielen Wählern bisher aber nicht bewusst.
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Noch trüber ist die Lage für die Demokraten im Senat, wo es bisher eine knappe republikanische Mehrheit von 51 der 100 Abgeordneten gibt. Dort stehen in diesem Jahr 34 Sitze zur Wahl. Nur neun davon werden von Republikanern gehalten, 26 müssen die Demokraten verteidigen, davon zehn in Bundesstaaten, die Trump bei der Wahl 2016 für sich entschieden hatte. All diese Sitze müssten sie verteidigen – und dazu noch mindestens zwei von den Republikanern gewinnen.

Der Trump-Umschwung

All das hat für die Demokraten noch Anfang des Jahres als überwindbar gegolten. Damals lag die Partei im Schnitt landesweiter Umfragen bis zu 13 Prozentpunkte vor den Republikanern. Doch seither sind irgendwo rund acht Prozentpunkte verlorengegangen. Über die Gründe für diese Verluste zerbrechen sich die Strategen den Kopf. Als besonders wahrscheinlich gelten aber vor allem vier Gründe. Dummerweise solche, an denen die Opposition kurzfristig wenig ändern kann.

  • Zunächst ist es die anhaltend gute Wirtschaftslage, die der Regierung in die Hände spielt. Zwar hat Trump das gute Wachstum und die niedrige Arbeitslosigkeit aus Sicht der meisten Experten nicht verursacht, sondern geerbt – der Gesamteindruck kommt nun aber ihm entgegen. Dazu kommt die Psychologie. Zwar ist es der Regierung bisher nicht gelungen, die "guten Jobs", die Trump im Wahlkampf "zurückholen" wollte, zu schaffen. Doch die existenzielle Angst mancher weißer Amerikanerinnen und Amerikaner in ländlichen Gebieten, vergessen zu werden, konnte sie lindern.

  • Dabei haben nicht zuletzt die Steuersenkungen des vergangenen Jahres geholfen. Diese sind in Umfragen zwar unpopulär, auch deshalb, weil die damit verbunden Sozialkürzungen rational als das erkannt werden, was sie nach Ansicht vieler Experten sind: eine Verschiebung der Armut vom Jetzt in die Zukunft. Doch im Jetzt blicken viele auf ihren Gehaltszettel. Und dort ist nun ein höherer Betrag vermerkt als vor einem Jahr. Dafür die Regierung verantwortlich zu machen liegt nahe.

  • Dazu kommt ein Gewöhnungseffekt. Vieles vom exzentrischen Verhalten des Präsidenten hätte vor zwei Jahren noch schockiert und wird nun als normal wahrgenommen. Der Staatschef tweetet eben um drei Uhr früh Atomkriegsdrohungen oder bezichtigt Oppositionelle des Landesverrats, mögen sich manche denken – der Himmel in Frankfort, Kentucky ist trotzdem noch niemandem auf den Kopf gefallen. Auch die Ermittlungen Robert Muellers trifft dieser Effekt: Nach monatelangen Meldungen über bevorstehende Anklagen fällt es vielen schwer, noch Aufmerksamkeit für die Russland-Causa aufzubringen.

  • Außerdem die außenpolitische Lage: Entgegen vielen Befürchtungen sieht es aus der Warte vieler Amerikaner nicht so katastrophal aus, wie die Auguren es 2016 prophezeit haben. Der IS ist militärisch weitgehend geschlagen, mit Nordkorea gibt es Gespräche. Unabhängig davon, ob Trump dafür verantwortlich ist: Die Erfolge schreiben ihm viele zu. Die Lage in Nahost und der Konflikt mit dem Iran haben sich zwar verschärft, doch auch wenn beide Konflikte hochriskant sind, ist das Gefühl der Kriegsgefahr bisher nicht in den Köpfen der Wählerinnen und Wähler angekommen.

Was dann?

Was würde ein republikanischer Sieg bei den Midterm-Elections aber bedeuten? Zunächst eine Bestätigung Trumps. Er wäre nicht mehr der Präsident, der mit einem Rückstand von drei Millionen Stimmen durch ein gütiges Wahlsystem ins Amt gespült wurde, sondern der unumstritten bestätigte Staatschef. Vor allem innerparteilich hätte das Folgen: Die Opposition, die es in manchen Teilen der Republikaner noch gibt, hätte plötzlich schlechte Argumente. Und für Trump wäre es noch einfacher, seine Gesetzesprojekte durchzusetzen.

Am Ende könnte wieder Donald Trump lachen – und bis 2025 US-Präsident bleiben.
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Dazu zählen die Umsetzung von Wahlversprechen wie etwa dem Mauerbau zu Mexiko oder der Abschiebung vieler weiterer illegal Eingewanderter, der Abbau von Umweltvorschriften – aber auch neue Steuerreformen. Dabei gäbe es wohl "more of the same", also vor allem Steuererleichterungen, die sich auf kurze Sicht auf Gehaltsschecks bemerkbar machen, deren langfristige Folgen aber erst später spürbar werden. Zukunftsvergessen oder nicht: Mit dieser Mischung könnte sich der dann 74-Jährige ein weiteres Mal populär machen und womöglich auch seine Basis mobilisieren – und so eine gute Ausgangsposition für die Präsidentenwahl 2020 und eine Regierung bis Jänner 2025 erhaschen.

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Die Demokraten sehen sich nicht nur bei dieser Vorwahlveranstaltung in Illinois im Aufwind. Viele Junge treten bei den Midterm-Elections für die Partei an, auch überdurchschnittliche viele Frauen und Angehörige von Minderheiten. Erweist sich die Siegessicherheit als Trugbild, wäre das ein harter Schlag für die Partei.
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Vor allem aber würde es die Demokraten treffen. Sie sehen sich in einer Phase des Aufbruchs, als künftige und teils als sichere Sieger. Bei den Vorwahlen haben zuletzt viele junge Kandidaten gewonnen, überdurchschnittlich viele Frauen und Kandidaten, die Minderheiten angehören. Zumindest auf ihrer Seite ist der Enthusiasmus groß. Genau davon versprechen sie sich im Herbst einen Sieg. Dieser könnte freilich noch immer gelingen, denn die "Enthusiasm Gap" zwischen Anhängern Trumps und jenen der Opposition hat sich auch bei einigen Nachwahlen bestätigt. Gelingt er aber nicht, steht die Partei womöglich im Abseits. Die Gesellschaft würde indes weiter nach rechts rücken. Für die Zukunft der Liberalen verhieße das wenig Gutes. (Manuel Escher, 17.5.2018)