Der Superheld Deadpool (bürgerlicher Name: Wade Wilson) hat im Marvel-Bewegtbilduniversum einen prekären Status. Er gehört nirgends so richtig dazu, und das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass er überall dauernd seinen Senf dazutut. Er betätigt sich zwar im weitesten Sinn so, wie man es von einem Mutanten mit besonderen Kräften erwartet, aber er quasselt dabei alles zu, weshalb der Eindruck entsteht, dass er die ganze Sache mit dem Retten der Welt und der Beseitigung von Schurken nicht so richtig ernst nimmt.

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Dauerredner Deadpool (Ryan Reynolds) macht sich aus seinem Mutantenleben einen Heidenspaß. Wie kriegt dieser Mann eigentlich Luft?
Foto: AP / Twentieth Century Fox

In dem einschlägigen Universum, das an schrägen Typen nicht arm ist, treibt er sich eher am Rand herum, auch wenn er immer wieder vor dem Gebäude auftaucht, in dem X-Men ausgebildet werden. Das wäre auch etwas für ihn: Deadpool als X-Man. Allerdings ist er mit seiner Dauersuada auch so etwas wie das moderne Gewissen bei Marvel, und da weiß er, dass man heute nicht mehr so unbefangen X-Men sagen kann. Da braucht es eine genderneutrale Kategorie. Zum Beispiel X-Force.

2016 bekam Deadpool zum ersten Mal einen eigenen Film. Aus X-Men Origins: Wolverine (2009), einem früheren Kapitel der Mutantensaga, schleppte er eine Fehde mit dem lupinen Helden mit den Scherenhänden mit, auf die nun zu Beginn der Fortsetzung Deadpool 2 noch einmal genüsslich angespielt wird. Das Marvel-Nebenkapitel mit Ryan Reynolds in der Hauptrolle erwies sich als so erfolgreich, dass die Geschichte weitergehen musste. Damit stellt sich die Frage aller Marvel-Filme: Wie organisiert man den Prozess der Dauerexpansion so, dass zugleich die angestammten Figuren zu ihrem Recht kommen?

Deutscher Trailer.
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Verkrachte Existenzen

Denn in Deadpool 2 wird schon wieder kräftig rekrutiert. Weil es für Deadpool mit einer Aufnahme bei den X-Men nichts wird, macht er eine Filiale auf, ebenjene X-Force, die klarerweise aus eher verkrachten Begabungen besteht. So kann zum Beispiel eine junge Afroamerikanerin namens Domino eine besondere Kraft für sich reklamieren: Sie hat Glück, und zwar auf eine Weise, die dem flüchtigen Charakter des Glücks prinzipiell widerspricht. So wie Deadpool sich glücklich darauf verlassen kann, dass sein geschundener und extrem faltbarer Mutantenleib immer irgendwie wieder zusammenwächst.

Das mit dem Glück ist so ein typischer Deadpool-Witz, ein Metaschmäh, der das ganze Superheldentum ad absurdum führen könnte, es aber auf raffinierte Weise bestätigt. Das gilt auf einer allgemeineren Ebene auch für Deadpool selbst. Marvel könnte zwar mit seiner Mythenklauberei einfach weitermachen und noch auf viele Jahre immer neue Familientreffen zwischen vormals getrennten Heftchencliquen arrangieren. Aber das alles läuft doch deutlich besser, wenn man einen Verbindungsmann in die Avantgarde der populären Kultur dabeihat.

Das ist just die Funktion von Deadpool, der als Held ja vor allem als sein eigener Moderator auftritt: Dabei macht er so ziemlich alles lächerlich, was in Amerika einmal als heilig, tabu oder als sonst etwas gegolten haben mag.

Trailer in Originalsprache Englisch.
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Höhepunkt des parodistischen Treibens in Deadpool 2 ist eine Szene, in der dem Helden die unteren Extremitäten, die er bei konventioneller Action eingebüßt hat, wieder nachwachsen müssen. Er sitzt also mit rosigen Babybeinchen, aber dem Geschlechtsorgan eines erwachsenen Mannes bei seiner Mama auf der Couch. Das mit dem Glied bekommt man auch demonstriert, in einer Einstellung, die ungefähr so lang ist wie der berühmte Augenblick, in dem man in Basic Instinct die Vulva von Sharon Stone zu sehen (zu ahnen) bekam.

An dieser zotigen Anspielung ist nicht so sehr die Verletzung der Anstandsregeln wichtig, sondern die Tatsache, dass sie sich fast zu schnell für das Auge (für das Hirn sowieso) vollzieht. Das ist die ganze Essenz von Deadpool: Rasende Reflexion mit furiosem Witz hängt notdürftig an einem Universum, in dem auch immer noch superheroisch gearbeitet werden muss. Die Marvel-Fliehkräfte sind nirgends besser zu genießen als hier – im rhetorisch dauerkompensierenden Prekariat. (Bert Rebhandl, 18.5.2018)