Alex Tapscott sieht in Zukunft viel Verantwortung beim Staat, um gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die Investoren vor Betrügern schützen und gleichzeitig den Markt nicht überregulieren.

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Wien – "Das Internet hat bisher mehr Jobs zerstört, als es erschaffen hat, dabei stehen wir erst am Anfang der digitalen Revolution. Die Blockchain könnte Ähnliches bewirken", sagt Alex Tapscott, der kanadische Autor des Bestsellers Die Blockchain-Revolution. Mit dem Standard sprach er über die polarisierende Technologie.

Die Blockchain verkörpert in gewisser Weise die Antithese zur Cloud. Informationen werden lokal auf den Rechnern eines Netzwerks gespeichert und nicht gebündelt auf einem Server. Diese Dezentralität verschaffte der Blockchain den Ruf, besonders sicher zu sein. Um Informationen zu fälschen, muss jeder Rechner des Netzwerks gehackt werden, nicht bloß einer. Gehören mehrere Tausend Rechner dem Netzwerk an, sinkt die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Hackerangriffs.

Tapscott prophezeit der Blockchain, die vor allem durch den Höhenflug der Digitalwährung Bitcoin bekannt wurde, eine große Zukunft: "Sie leitet die zweite Ära des Internets ein. In der ersten Phase wurden die Kommunikation sowie der Zugang zu Information aufgemischt. Jetzt folgt unser Finanzsystem. Die Blockchain ermöglicht es, Kapital zu bewegen, zu speichern und zu verschicken, ohne eine dritte Partei wie eine Bank einzubinden", sagt Tapscott.

Limitierte Anwendungsfälle

Doch bei all dem Enthusiasmus, der in manchen Kreisen herrscht, gilt es, den Stand der Dinge nüchtern zu betrachten. Die Blockchain befindet sich heute in etwa dort, wo das Internet 1994 war. Eine ernst zu nehmende Massenadaption läuft erst an, und die wirklichen Anwendungsfälle sind noch relativ limitiert. Nichtsdestotrotz hinterließ die digitale Kette bereits ihre Spuren. Stichwort: Initial Coin Offering (ICO). Investoren erhalten bei einem ICO keine Anteile an Unternehmen, sondern an einer neu geschaffenen Kryptowährung, also digitale Vermögenswerte. "ICOs haben die Venture-Capital-Welt grundlegend verändert. 2016 haben Firmen mit ICOs rund 160 Millionen Dollar gesammelt, 2017 waren es bereits an die sechs Milliarden", sagt Tapscott und fügt hinzu: "Demnächst könnte es dem Investmentbanking so ergehen."

DER STANDARD

Die Blockchain könne deutlich mehr Menschen den Zugang zu Finanzdienstleistungen ermöglichen, und auch die Datensicherheit ließe sich verbessern. Musiker könnten unmittelbar profitieren. Würden ihre Werke direkt in einem Block gespeichert, bekämen sie jedes Mal Geld, wenn ein Song abgespielt wird. Momentan warten alle auf einen monatlichen Scheck der diversen Anbieter und haben kaum Einsicht, so der 31-Jährige.

Doch der ehemalige Kapitän des kanadischen U21-Rugy-Teams warnt und empfiehlt die Entwicklung im Auge zu behalten: "Das Internet hat die Informationsindustrie revolutioniert, großartige Dinge wie Wikipedia sind entstanden. In Wahrheit profitieren primär große Unternehmen. Sie sammeln Daten und verkaufen sie an Werbefirmen. Selbiges könnte natürlich auch mit der Blockchain passieren."

Rolle des Staates

Eine tragende Rolle kommt in dieser Entwicklung dem Staat zu. Regulatoren und Gesetzgeber müssen Lösungen finden, die Investoren vor Betrügern schützen, sollten allerdings gleichzeitig den Markt nicht überregulieren. Was geschieht mit Menschen, die mit der technologischen Entwicklung nicht mithalten? Wie können Menschen künftig produktiv sein? Fragen, mit denen sich Staaten befassen sollten.

Ob und wie sich die Blockchain durchsetzt, bleibt abzuwarten. Tapscott blickt diesbezüglich gern in die Vergangenheit: "Eine Technologie ist nicht moralisch belastet, sie ist nicht gut oder böse. Feuer war eine der ersten Technologien – man kann sein Haus damit heizen oder abbrennen. Das Gleiche gilt für die Blockchain." (Andreas Danzer, 18.5.2018)