Der Fotoband porträtiert sehr viel Landschaft, ...

Foto: Kranzler + Phelps

... hochkomplizierte Technologie ...

Foto: Kranzler + Phelps

... und Menschen, die durch diese Zone geprägt wurden.

Foto: Kranzler + Phelps
Foto: Kranzler + Phelps
Foto: Kranzler + Phelps

Alles, was wir fotografieren wollten, ist eigentlich nicht greifbar", sagt Paul Kranzler. Sehr greifbar und zudem sehr aufwendig gemacht ist hingegen der Bildband, in dem der in Linz lebende Fotograf jetzt blättert, wenn er über das Projekt erzählt, das er gemeinsam mit seinem Kollegen, dem in Salzburg lebenden US-Amerikaner Andrew Phelps, über Jahre verfolgt hat. Es war 2011, als Kranzler zum ersten Mal über die sogenannte National Radio Quiet Zone gelesen hat, ein 34.000 Quadratmeter großes Gebiet in den US-Bundesstaaten Virginia und West Virginia, das 1958 zu Forschungszwecken eingerichtet wurde. In ihm ist keine elektromagnetische Strahlung erlaubt, weil dort riesige Radioteleskope stehen, mit deren Hilfe seit den 60er-Jahren geforscht wird – über die Entstehung von Galaxien, die Oberfläche der Sonne oder auch über die Wahrscheinlichkeit, dass wir irgendwann auf extraterrestrisches Leben stoßen. Das zum Beispiel berechnet die dem Band namengebende "Drake Equation", eine Gleichung, die vom Astrophysiker Frank Drake 1961 aufgestellt wurde.

Foto: Kranzler + Phelps

Im Jahr 2014 kamen die Fotografen zu dem Beschluss, in dieses Tal in den Appalachen zu fahren, in dem keine Handys und kein Wi-Fi und auch keine Mikrowelle erlaubt sind. 2015 war es dann so weit: Kranzler und Phelps waren zweimal und insgesamt über fünf Wochen in der National Radio Quiet Zone mit ihren Kameras unterwegs.

Gestoßen sind sie auf einen, wie Kranzler sagt, "uramerikanischen Ort", der sich, lauscht man seinen Erzählungen über diese Gegend, irgendwo an der Grenze zwischen Utopie und Dystopie ansiedelt. Was es dort gibt? Wissenschafter, klar, die für die verschiedenen Forschungseinrichtungen arbeiten, wie etwa das National Radio Astronomy Observatory, aber auch "Locals", also lokale Bevölkerung, ausschließlich Weiße, die meist vereinzelt in Trailers leben, Menschen, die viel jagen, Bären zum Beispiel, die es in der Zone überall gibt.

DER STANDARD

Angesiedelt haben sich über die Jahrzehnte religiöse Gruppierungen, Aussteiger und auch Wi-Fi-Refugees, Leute, die an "electro-magnetic hypersensitivity" leiden und aus den US-Ballungsräumen in die Natur flüchten. Hierher kommen auch Piloten, um sich von der Dauerstrahlenbelastung zu erholen. Klingt nach einem Panoptikum an Sonderlingen und auch Spinnern. Der Fotoband porträtiert genau das: sehr viel Landschaft, hochkomplizierte Technologie und Menschen, die durch diese Zone geprägt wurden.

"Ich war noch nie so weit weg von irgendwo", sagt Kranzler über seine Erfahrungen in der eben auch extrem armen Gegend, die fünf Stunden Autofahrt von Washington, D.C., entfernt liegt. "Off-the-grid", sprich "aus dem (Fahndungs-)Raster, heißen diejenigen Amerikaner, die hier als untergetauchte U-Boote leben: kein Handy, keine Kreditkarte, aber auch keine Krankenversicherung und keine Müllabfuhr. Die Kinder, weiß Kranzler, werden vielfach zu Hause, in Home-Schools, unterrichtet. Die Fahrt in den nächsten Walmart dauert oft eine Stunde oder länger.

Foto: Kranzler + Phelps

Die positiven Seiten einer solchen Sperrzone: viel Natur, große Ruhe – und heutzutage nicht zu unterschätzen: die totale Entschleunigung. Die Kehrseite, und da sind wir wieder bei Kranzlers Zuschreibung "uramerikanisch": Die Leute sind alle bewaffnet, sehr rassistisch, "arg drauf", sagt der Linzer Fotograf, "und trotzdem sehr herzlich". Es gibt viel Spiritualität in der Gegend und jede Menge Kirchen, die auf den Bildern von Kranzler und Phelps zu sehen sind. Viele der "Locals" haben auch massive Drogenprobleme, "Shake and Bake" heißt die Methode, erzählt Kranzler, wie Crystal Meth gekocht wird. In dieser abgeschirmten Naturlandschaft liegen der amerikanische Traum und Albtraum nah beieinander.

Nachlesen über dieses höchst sonderbare Stück Amerika kann man in dem Bildbandtext mit dem schönen Titel America, great again. Dessen Autor Alard von Kittlitz war vor drei Jahren für Die Zeit mit den Fotografen in Virginia unterwegs und beschreibt darin nicht nur die besondere Faszination der National Radio Quiet Zone und seiner interessanten Besiedelung, sondern auch die schöne und fast symbiotisch anmutende Zusammenarbeit der Fotografen Paul Kranzler und Andrew Phelps für dieses besondere Projekt. Tatsächlich ist das das Erste, was Kranzler im Gespräch herausstreicht, noch bevor er davon erzählt, was er in Virginia alles erlebt hat: dass diese Arbeit kein individuelles Copyright hat, dass keiner der beiden dieses Fotoprojekt hätte allein machen können. Von Kittlitz schreibt, dass die Arbeit der beiden ein bisschen wie Lennon/ McCartney funktioniert. Sie ist einfach von beiden.

Der Katalog, der erst jetzt, 2018, bei Fountain Books Berlin erschienen ist, jenem kleinen, feinen Verlag, der auch vom Art-Direktor Andreas Wellnitz mitgetragen wird, soll es demnächst auch im Tourismusshop in der National Radio Quiet Zone zu kaufen geben. Es gibt nämlich auch Rundfahrten für Touristen zur Besichtigung der US-Forschungseinrichtungen. In der ganz strengen Drei-Meilen-Sicherheitszone durften Kranzler und Phelps nicht einmal mehr Batterien mehr mit sich tragen und haben nur noch rein mechanisch fotografiert. Ihre Bilder werden jetzt erstmals in Berlin ausgestellt. (Mia Eidlhuber, 20.5.2018)