Christiane von Poelnitz als "Lady Macbeth"

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Wien – Die Zombies sind los. Macbeth (Ole Lagerpusch), seine Lady (Christiane von Poelnitz) und auch die Hexen (u.a. Merlin Sandmeyer) geistern mit aufgerissenem Brustkorb durch das Burgtheater. Antú Romero Nunes veranstaltet in seiner Inszenierung des Shakespeare-Dramas eine große Innenschau. Er reißt die Mördergruben der Macbeth-Herzen weit auf.

Die Figuren, die Regisseur Antú Romero Nunes aus Macbeth destilliert hat, sind weniger Menschen aus Fleisch und Blut (obwohl reichlich davon fließt), sondern zombiehafte, anatomische Modelle zum Studium von Grausamkeit. Nicht die zweckgebundene Meuchelei interessiert hier, sondern das Hinschlachten um seiner selbst Willen, die pure Lust an der schändlichen Tat. Und der kleine Widerpart der Reue.

Dafür tunken Bühnenbildner Stéphane Laimé und Kostümbildnerin Victoria Behr die höfische Welt Schottlands in tiefes Rot. Und wo fände man mehr von dieser Farbe als im Theater selbst? Folgerichtig ragt auf der Bühne das gespiegelte Burgtheater-Parkett inklusive erstem Rang in den Schnürboden hinauf. Mit allem Drum und Dran. So verkünden gleich zu Beginn die drei Hexen vor der roten Wandbespannung ihre unheilvolle Prophezeiung, Macbeth würde bald König werden. Eine Weissagung, die die Gelüste erst so richtig weckt.

Verschlanktes Figurenpersonal

Wo und wie entscheidet es sich, dass jemand den Dolch (oder das Küchenmesser) einem anderen in den Hals rammt? Welche Gedanken sind die Basis, welche Worte sind notwendig, um den Mut als "groß" und schließlich die Tat als "leicht" zu preisen? Dafür wendet sich der für seine fokussierten Inszenierungen bekannte Regisseur (im Vorjahr: Die Orestie mit sieben Frauen) ganz dem Killerpaar und dessen Zwiegesprächen zu und verschlankt das Figurenpersonal des Shakespeare-Stückes (Übersetzung: Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens) auf eine Handvoll Charaktere.

Die Innenschau selbst ist eine blutige Angelegenheit. Macbeth und Co geistern als gierige Zombies mit meterlangem Leichenhaar durch die Szene. Ihre höfische, blutgetränkte Kleidung ist zwar standesgemäß, aber die Körper aufgerissen bis auf die Rippen. Da drinnen muss man es doch sehen können, das Böse! Victoria Behr – bekannt für ihre raumgreifenden, meist farbenprächtigen Kostüme vor allem in Arbeiten von Herbert Fritsch (an der Burg: Der eingebildete Kranke) – hat eine gespenstische Wiedergängerwelt entworfen, die in den Bann zieht.

Das Gruselkabinett hat viele besondere Momente: Etwa dann, wenn der bald dran glauben müssende König Duncan im schon schmutzigen Hermelin ein letztes Mal vom Balkon (de facto erster Rang) naiv auf der Panflöte spielt. Oder: Wenn die Hände wieder einmal so blutverschmiert sind, dass die Protagonisten nicht recht wissen, wie einander dieselben zum Gruß reichen.

Schlafende und Tote

Doch nützt sich dieser, im Verlauf der neunzig Minuten freilich nur anwachsen könnende Blutrausch auch ab. Der Fokus auf diese Anatomie des Wahns und ihre immer gleichen Gebaren hat eben seinen Preis. Es wird eintönig, daran können auch die in Wiederholungen variierten neuralgischen Passagen nicht viel ändern. Etwa die zwei Mal mit jeweils unterschiedlicher Tongebung interpretierte Szene, in der Lady Macbeth ihren frisch gebackenen Mörder zu beschwichtigen versucht: "Schlafende und Tote/ Sind nur wie Bilder;/ Kinderaugen fürchten/ Gemalte Teufel."

Nunes steuert atmosphärisch dagegen, unter anderem schneit es einmal blutige Flocken, auch choreografisch lässt er sich einiges einfallen, um dem krampfhaften Treiben eine Form zu geben. Aber spätestens dann, wenn sich die Drehbühne in Bewegung setzt und sie brennende Kerzen hereinbefördert, die Nebelmaschine ihren Dienst versieht, gewinnen pathetische, allzu abgegriffene Bilder die Oberhand.

Blut und Nachthemd

Dazu gehört auch das Finale mit dem in weiße Nachthemden gekleideten Kinderchor (The Vivid Voices), der schon im Prolog kreischend Nachtmahr-Stimmung verbreitet hat. Lady Macbeth wird sie (sie verkörpern u.a. die gemeuchelten Kinder der Macduff-Familie) singend (sehr schön: Central Park von Woodkid, gespielt von der Post und Telekom Musik Wien) mit in den Tod reißen. Blut auf weißen Kindernachthemden – da hat sich die Regie dann doch noch für das Totschlagargument der Drastik entschieden und vom eigentlichen Thema entfernt: der Tat und ihres Warums. (Margarete Affenzeller, 19.5.2018)