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18 Jahre lang leitete Christoph Leitl die Wirtschaftskammer.

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Am vergangenen Freitag übergab er an Harald Mahrer, bleibt aber Präsident der Eurochambres.

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Am vergangenen Freitag hat Christoph Leitl die Führung der Wirtschaftskammer an Harald Mahrer abgegeben. Er bleibt Präsident von Eurochambres, dem Verband der Wirtschaftskammern in Europa – und beschäftigt sich dort mit europäischen Standort- und Handelsfragen.

STANDARD: Die USA kämpfen wirtschaftlich gegen China, China gegen die USA. Von Europa ist kaum die Rede. Ist die EU abgemeldet im globalen Wettbewerb?

Leitl: Abgemeldet nicht, denn Europa ist immer noch die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt. Gefährdet, ja. Wenn man nach China fährt und sieht, was sich dort entwickelt, dann müssten in Europa die Alarmglocken klingeln. Wenn wir diese überhören, könnten diese zu Sterbeglöckchen werden.

STANDARD: Welche Gefahr geht denn von China aus?

Leitl: China hat das klare Ziel, innerhalb von zehn Jahren Innovationsleader zu werden. Und China will beweisen, dass es mit seiner Regierungsform entscheidungsstärker und langfristig erfolgreicher sein kann. Das ist eine höchstgradige Gefährdung für Europa.

Kampf um den globalen Kuchen

STANDARD: Aber bisher hat Europa von einem erfolgreichen China wirtschaftlich stark profitiert.

Leitl: Chinas Erfolg ist an sich keine Gefahr. Aber es kommt zu einer neuen Verteilung des Weltwirtschaftskuchens und damit auch des Weltwohlstands. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir nur sieben Prozent der Weltwirtschaft sind und in zehn Jahren kein einziges europäisches Land unter den Top Ten der Welt sein wird. Aber wir leisten uns 50 Prozent der Umwelt- und Sozialleistungen in der Welt. Wir müssen schauen, dass wir uns genug vom Kuchen abschneiden können, um unseren Lebensstandard zu erhalten.

STANDARD: Dann hat Donald Trump recht, wenn er zum Kampf gegen China bläst?

Leitl: Kampf ist ein schlechtes Rezept und steht den Amerikanern, die immer Fahnenträger des freien Welthandels waren, schlecht an. Aber Trump hat recht, dass sich die Handelsbilanz mit China sehr verschlechtert hat. Nur wer die Asiaten ein bisschen kennt, weiß, dass poltern nichts nützt. Nur in Verhandlungen kommt man zu Resultaten, wie das die EU mit Südkorea bewiesen hat.

Die Vorteile von TTIP

STANDARD: Auch die EU hat einen gewaltigen Leistungsbilanzüberschuss gegenüber den USA. Rechtfertigt das etwa auch Strafzölle?

Leitl: Abschotten nützt nichts. Die 500.000 Unterzeichner des Volksbegehrens gegen das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP haben uns nicht geglaubt, dass das Abkommen vorteilhaft gegenüber den USA wäre. Jetzt glauben sie es vielleicht. Aber Trump hat es aufgegeben und auch das transpazifische Abkommen außer Kraft gesetzt.

STANDARD: Hat TTIP vielleicht nun doch eine zweite Chance?

Leitl: Wenn wir das Abkommen von der unsäglichen Diskussion um den Investitionsschutz befreien, dann ja. Machen wir doch einmal den ersten Schritt, bauen wir wechselseitig Zölle und Barrieren ab, freien Handel und Konsumentenschutz durch Transparenz. Überall wird draufgeschrieben, was drinnen ist, und sei es Gentechnik. Dann muss man nicht mehr genau prüfen, was wir hier zulassen und was nicht. Verbraucherschutz heißt Verbraucherinformation.

STANDARD: Sollte Europa sich eher mit den USA verbinden, um China zur Öffnung zu zwingen, oder eher mit China, um Trumps Protektionismus abzuwehren?

Leitl: Europa sollte sich von der einseitigen Abhängigkeit und Bevormundung von der USA lösen und mit allen Teilen der Welt Freihandelsabkommen abschließen, mit Südamerika, mit Afrika, auch mit China. Und wir müssen aus diesen Freihandelsbeziehungen jene Wertschöpfung herausziehen, die wir brauchen, um unseren Wohlstand zu sichern.

Ruf nach Waffengleichheit

STANDARD: China hält sich so oft nicht an die WTO-Regeln, etwa beim Schutz geistigen Eigentums. Macht sich Europa schwach, wenn es sich selbst an die Regeln hält?

Leitl: Wenn China Weltspitze werden will, dann muss es sich zur Welt hin öffnen, das hat Staatspräsident Xi Jinping zuletzt auch angekündigt. Dann muss es auch geistiges Eigentum respektieren. Man muss sich vor der neuen Seidenstraße nicht fürchten, solange es keine Einbahnstraße ist. Es muss die gleichen Möglichkeit des Marktzugangs geben. Es geht nicht, dass die Chinesen im letzten Jahr 40 Milliarden in der EU investiert haben, die EU in China aber nur acht Milliarden. Es muss Waffengleichheit herrschen.

STANDARD: Also chinesische Investoren blockieren, wenn sie FACC oder Wolford kaufen?

Leitl: Oder zehn Prozent von Daimler. Wenn es umgekehrt möglich ist, sich genauso in China einzukaufen, dann passt es.

STANDARD: Aber das war noch nie möglich. Und diesen Protektionismus gibt es auch in der EU, etwa zwischen Frankreich und Italien. Sollen wir wirklich die chinesischen Methoden übernehmen?

Leitl: Dort schon, wo die Chinesen ihre Kräfte bündeln, was im Übrigen im Forschungs- und Entwicklungssektor auch die Amerikaner machen. Wir Europäer zersplittern uns. Ich war in einer deutschen Automobilfirma, einer französischen, einer italienischen. Alle forschen an denselben Dingen, aber nicht gemeinsam. Sie verzichten sogar auf EU-Fördermittel, weil sie den Fortschritt für sich allein haben wollen. Das ist ein Urübel Europas.

Neues europäisches Bewusstsein

STANDARD: Wie kann man das überwinden?

Leitl: Wir brauchen ein neues europäisches Bewusstsein. Derzeit leben wir in einer Welt, die Egoismus und Protektionismus auf Kosten von Solidarität und Synergien aus Kooperation fördert.

STANDARD: Das Bewusstsein ist auch in Österreich auf dem Rückzug.

Leitl: Ja, aber Österreich ist kein Einzelfall. Überall werden Klischees gepflegt, der reiche Norden füttert den armen Süden durch, der demokratische Westen erhebt mahnend den Zeigefinger gegen autokratische Ostländer.

STANDARD: Ist das denn schlecht?

Leitl: Wir sollten Verständnis für unterschiedliche Herkünfte zeigen. Auch die Geschichte Österreichs gibt uns nicht das Recht, andere zu belehren. Wir haben aber das Recht und sogar die Pflicht, mit anderen über die Lehren, die wir gezogen haben, zu reden. Auch in Ländern wie China. Aber nicht mit Arroganz und Besserwisserei, das schreckt nur ab. (Eric Frey, 22.5.2018)