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Außenministerin Kneissl unterstützt MTOP.

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Wien – Lange Holztische mit bunten Stühlen, offene Räume, eine große Gemeinschaftsküche: Das lichtdurchflutete Büro des Wiener Start-up-Unternehmens More than one perspective (MTOP) will vor allem eines sein: einladend. Das Social-Enterprise-Unternehmen bereitet Flüchtlinge, die in ihren Heimatländern ausgebildete Akademiker waren, auf den Einstieg in den österreichischen Arbeitsmarkt vor.

Die Gründer Lisa-Maria Sommer (26), Nina Poxleitner (30) und Julian Richter (31) lernten sich bei Teach for Austria kennen. Zwei Jahre lang unterrichteten die drei jungen Freunde an verschiedenen Neuen Mittelschulen in Wien und fanden eine Integration vor, die nicht so funktionierte, wie sie sich das vorstellten.

Mangelnde Integration vererbt sich

"Wir haben Klassen unterrichtet, in denen fast keine Kinder Deutsch als Muttersprache hatten," sagt Sommer. "Es waren aber nicht nur erste Migrationsgenerationen, sondern oft auch zweite und dritte. Wir haben erkannt, dass wenn die Integration bei den Eltern nicht funktioniert, sich alle negativen Konsequenzen quasi an die Kinder weitervererben. Das war für uns der Einstieg ins Integrationsfeld."

Die Ankunftswelle von Flüchtlingen 2015 wurde dann zum Startschuss für MTOP. Viel Hilfe gab es in der Basisversorgung, bei ersten Deutschkursen, bei der Wohnungssuche am Anfang, doch eher wenig für gut Qualifizierte, Menschen mit abgeschlossenem Studium und einigen Jahren Berufserfahrung.

Gezielte Talentvermittlung

Damit war die Nische gefunden. Das Weiterbildungsprogramm MTOP Associate bereitet Menschen mit Fluchthintergrund sechs Monate lang auf den Arbeitsmarkt vor. In über 200 Kontaktstunden soll herausgefiltert werden, was die Kernkompetenzen der Leute sind und wo sie auf den österreichischen Arbeitsmarkt passen. Im Anschluss daran setzt MTOP Connect an: Erfolgreiche Absolventen werden an Unternehmen vermittelt, die zu den Leuten passen.

Es geht um Systemwissen: Wie funktioniert der österreichische Arbeitsmarkt, der Bewerbungsprozess, welche Unternehmen gibt es? Dazu kommt interkultureller Dialog über Bräuche und Sitten, persönliche, ehrenamt- lich arbeitende Mentoren sollen in speziellem Einzelcoaching Branchenwissen vertiefen. "Wir wollen Vorurteile abbauen und positive Integrationsgeschichten schreiben", erklärt Sommer.

Finanziert wird das Weiterbildungsprogramm – das pro Teilnehmer etwa 1600 Euro kostet – mit Unterstützung des auch für Integration zuständigen Außenministeriums und der EU. Teilnehmende Flüchtlinge zahlen eine symbolische Gebühr von 180 Euro, um Engagement und Durchhaltevermögen zu beweisen. MTOP Connect wird vom Wirtschaftsministerium kofinanziert, Unternehmen zahlen eine Vermittlungsgebühr, wenn sie einen Absolventen rekrutieren.

Deutsch muss sein

Bei der Kandidatenauswahl gibt es einige Grundkriterien: Nur Flüchtlinge mit positivem Asylbescheid kommen in Frage für einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Ein gutes Deutschniveau ist ebenfalls ein Muss. Momentan durchlaufen 30 Flüchtlinge das Associate-Programm. Für den letzten Durchgang gab es 120 Bewerber.

MTOP ist auf Wirtschaft, Technik und IT fokussiert. Absolventen landen in der Buchhaltung, finden Jobs als Programmierer, Netzwerkadministratoren oder Techniker bei Architekturbüros und großen Bauunternehmen. Das Durchschnittsalter der Programmteilnehmer beträgt 29 bis 30 Jahre, die meisten sind Männer. "Wir haben einen Frauenanteil von etwa zwölf bis 15 Prozent, wir hätten ihn gerne höher", sagt Sommer. Zusammen mit Poxleitner kam sie gerade auf die "Forbes 30 under 30" Liste – Mitgründer Julian Richter war knapp zu alt für das Ranking.

Geflüchtete überzeugen mit Motivation

Das Feedback der Firmen sei "durchwegs positiv". "Für die Geflüchteten ist es nicht nur ein Job, sondern eine neue Lebenschance", sagt Sommer. Flüchtlinge hätten eine "wahnsinnige Lernerfahrung" hinter sich, seien anpassungsfähig und wissbegierig. "Einer unserer Absolventen zum Beispiel schrieb in den ersten drei Wochen im Job vierhundert neue Wörter mit, die er gelernt hatte, von Fachvokabular bis hin zu österreichischen Ausdrücken wie 'Gemma mittagessen!'", erzählt Sommer. "Diese Art von Motivation wissen die Firmen zu schätzen." (Jedidajah Otte, 19.5.2018)