Sarajevo – Die Bosniaken werden brav mit den türkischen Fähnchen in der Hand wacheln – ganz so wie es die Partei befiehlt. So taten sie es bereits in den vergangenen Jahren, wenn Erdoğan rief. Sie werden auch diesmal die Geschichte vom "Mutterland" oder der "Schutzmacht" Türkei aufleben lassen. Der Besuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Sarajevo am Sonntag wurde von türkischen Vertretern minutiös vorbereitet. Auch Tausende Türken aus Österreich und aus anderen EU-Staaten kommen angereist, wenn er in Sarajevo in der Veranstaltungshalle Zetra sprechen wird.

Der Chef der bosniakischen islamisch-konservativen Partei SDA, Bakir Izetbegović, wird wohl wieder unterwürfig lächeln, wie er es immer tut, wenn der "große Bruder" ruft. Und die Lobbyorganisation, die Union der Europäischen Türkischen Demokraten (UETD) hält gleichzeitig ihren Jahreskongress in Sarajevo ab.

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2015 wurde Erdoğan in Sarajevo mit großem Pomp empfangen.
Foto: REUTERS/Dado Ruvic

Einfluss demonstrieren

Erdoğan will mit dem Auftritt in Sarajevo erstens die in der Diaspora lebenden Türken für die Wahlen im Juni mobilisieren, schließlich ist die Diaspora wahlentscheidend. Er will aber auch seinen Einfluss auf dem Balkan demonstrieren und jene EU-Staaten ärgern, die Wahlveranstaltungen mit ihm untersagt haben. Und Erdoğan will die befreundete bosniakische Partei SDA noch stärker an sich binden.

In Bosnien-Herzegowina leben weit weniger Türken als in Österreich, aber in Bosnien-Herzegowina ist die Türkei für die SDA traditionell ein wichtiger Verbündeter. Das war auch vor Erdoğan so. Kritische Stimmen sind in der SDA praktisch nicht zu hören. Im Gegenteil: Die von der SDA kontrollierten Medien "Stav" und "Faktor" bejubeln den Autokraten Erdoğan, sie machen seit Monaten Propaganda im Sinne der AKP. So werden wie in der Türkei die Anhänger des Predigers Fatullah Gülen als Terroristen bezeichnet. Liest man "Stav" und "Faktor" ist kaum ein Unterschied zwischen der türkischen und der bosniakischen Propaganda zu merken.

Wahlen im Herbst in Bosnien-Herzegowina

Für viele andere Bosnier – Katholiken, Orthodoxe, Atheisten, Säkulare und liberale Muslime – ist Erdoğan aber nicht nur ein gefährlicher Politiker, weil er keine demokratischen Regeln einhält, sie fürchten auch vermehrten Einfluss der Türkei in Bosnien-Herzegowina. Die bosniakische SDA und die türkische AKP helfen einander hingegen seit vielen Jahren gegenseitig, wenn es um Wahlen geht. Denn nicht nur in der Türkei, sondern auch in Bosnien-Herzegowina wird im Herbst gewählt. Erdoğan gibt am Sonntag also auch SDA-Chef Izetbegović Wahlkampfhilfe. Es ist damit zu rechnen, dass die AKP der SDA auch finanziell unter die Arme greifen wird.

Unkritische Berichterstattung

Die bosniakisch-nationalistischen Medien berichten unkritisch und ausnahmslos von den Chancen, die die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die günstigen Kredite aus der Türkei bieten. Man lobt den "starken und einflussreichen Freund" am Bosporus. Tatsächlich hat die Türkei in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten vor allem den Wiederaufbau von Kulturgütern aus der Zeit des Osmanischen Reichs gefördert.

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Ein Plakat vor der Universität von Sarajevo kündigt den hohen Gast an.
Foto: REUTERS/Dado Ruvic

Immer stärker fällt die türkische Folklore-Propaganda auf – so werden regelmässig Umzüge mit "osmanischen" Reiter- oder Tanzgruppen in Bosnien-Herzegowina gemacht und alte traditionelle Veranstaltungen wie die muslimische Wallfahrt Ajvatovica werden vom türkischen Kulturinstitut gekapert und missbraucht. Der Druck auf die bosnische Regierung, die Bildungsinstitutionen von Fetullah Gülen zu schließen, ist zwar groß – bislang ist das aber nicht passiert. Umgekehrt leben sogar einige Türken, die vor Erdoğans Regime aus der Türkei geflohen sind, mittlerweile in Bosnien-Herzegowina. Und es kommen weitere, die Schutz suchen.

Begrenzter wirtschaftlicher Einfluss

Der wirtschaftliche Einfluss der Türkei in Bosnien-Herzegowina ist begrenzt. Im Jahr 2015 lag Kroatien an erster Stelle der Auslandsinvestoren, gefolgt von den Niederlanden und Italien. Die Türkei lag an fünfter Stelle mit 56,1 Millionen KM (28,6 Mio. Euro) und Kuwait kam an achter Stelle mit 30,6 Millionen KM (15,6 Mio. Euro).

Im Jahr 2016 lag wieder Kroatien an erster Stelle der Auslandsinvestoren, gefolgt von Österreich und den Arabischen Emiraten mit 66 Millionen Mark (33,7 Mio. Euro). Die Türkei kam an neunter Stelle mit 30,1 Millionen Mark (15,4 Mio. Euro) und Kuwait an zehnter Stelle mit 29,5 Millionen Mark (15 Mio. Euro).

Investitionen aus der EU viel höher

Jedenfalls sind die Investitionen aus der EU viel höher als jene aus den arabischen Staaten und der Türkei. Im Jahr 2016 lagen sie bei 446,2 Millionen Mark (227,6 Mio. Euro), jene der arabischen Staaten inklusive der Türkei lagen im gleichen Zeitraum bei 159,2 Millionen Mark (81,2 Mio. Euro). In Bosnien-Herzegowina gibt es das Sprichwort: "Die Türkei gibt Bosnien Liebe und Serbien das Geld". Die Türkei will jedenfalls den Straßenausbau zwischen Sarajevo und Belgrad fördern.

Und Ehefrau Emine Erdoğan eröffnet mit der Frau von Bakir Izetbegović, Sebija Izetbegović, bei ihrem Besuch die Abteilung für Hämatologie im Krankenhaus in Sarajevo. Die türkische Entwicklungs-Agentur TIKA hatte 1,7 Millionen Euro dafür gegeben.

In der letzten Zeit häuften sich Gerüchte, dass Sebija Izetbegović für den bosniakischen Sitz im dreiköpfigen Staatspräsidium kandidieren könnte. Das würde bedeuten, dass die Partei mittlerweile noch feudalistischer geworden ist. Ihr Mann Bakir, der als Politiker sicherlich nicht durch Gestaltungswillen auffiel, kann nämlich nicht mehr antreten, weil er bereits zwei Amtszeiten hinter sich hat.

Auch nach dem niedergeschlagenen Militärputsch 2016 übten sich Bosnier in Solidarität mit dem türkischen Regime.
Foto: AFP PHOTO / ELVIS BARUKCIC

Korruptionsfälle in der SDA

Die Spitalsmanagerin Sebija Izetbegović ist in Sarajevo so gefürchtet wie unbeliebt. Der Familie Izetbegović wird von vielen Bürgern nachgesagt, sie sei ohnehin nur an Geld interessiert. In den letzten Jahren hat die islamisch-konservative Partei jedenfalls viel an Autorität eingebüßt. Einige SDA-Politiker haben sich in den letzten Monaten von der Partei verabschiedet, weil der autoritäre Führungsstil und Korruptionsfälle zunehmend publik wurden. Trotzdem ist es wahrscheinlich, dass die SDA im Herbst wieder die meisten Stimmen von den Bosniaken bekommen wird.

Denn viele Partei-Leute sind den Izetbegovićs folgsam ergeben, weil sie sich selbst davon etwas erhoffen. Offiziell ist Frau Izetbegović in der SDA die Präsidentin des Komitees für Gesundheit. Ihr Einfluss geht aber so weit, dass sie bereits gegebene TV-Interviews, die ihr im Nachhinein nicht mehr wohlwollend genug erscheinen, verhindern kann. Im bosnischen staatlichen Fernsehen wird vor allem die Nachrichtenredaktion von Freunden der SDA schamlos kontrolliert.

"Der kleine Prinz"

Schon vor dem Krieg wurde die SDA von den Bosniern mit muslimischen Namen (Bosniaken) mehrheitlich gewählt. Sie ist eine reine Klientelpartei, die vor allem die Interessen der eigenen Eliten absichert. Sie dominiert und kontrolliert aber auch staatsnahe Betriebe, was sicherlich nicht zu deren Effizienz beiträgt. Bakir Izetbegović wird in Sarajevo "der kleine Prinz" genannt, weil er der Sohn des ersten bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović ist.

Für Bosnien-Herzegowina bedeutet der Besuch Erdogans etwas ganz anderes, als wenn er nach Österreich kommen würde, weil die historischen Verbindungen ganz andere sind. Und die Kritik der österreichischen Regierung am angeblich wachsenden Einfluss der Türkei auf dem Balkan, hat wohl auch damit zu tun, dass man mit anti-türkischen und muslimenfeindlichen Ressentiments in Österreich gut punkten kann.

Balkan entkoppeln von der Türkei

Die österreichische Regierung will im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft jedenfalls dafür sorgen, dass in der Frage der EU-Erweiterung die Türkei keinerlei Rolle mehr spielen soll, sondern nur mehr die sechs Balkan-Staaten. Es geht dabei auch um knallharte Interessen. Österreich und die Türkei waren und sind – insbesondere wirtschaftlich – Konkurrenten in der Region. (Adelheid Wölfl, 19.5.2018)