Linz – Tageslicht und Wirklichkeit genießen im Dasein Gustav von Aschenbachs keinerlei Priorität mehr. Der von Schaffenskrisen gebeutelte Dichter zieht die weinroten Vorhänge seines Arbeitszimmers zu und fantasiert sich eine Venedigreise herbei. Er wird das Zimmer (Bühne: Bernd Franke) mit dem Gemälde der Lagunenstadt nicht lebend verlassen. Aschenbachs Verstand hat, noch vor der Begegnung mit der Schönheit Tadzios, dem fantasievollen Wahn Platz gemacht.

In der Inszenierung von Intendant Hermann Schneider werden im Linzer Musiktheater Todesangst und -sehnsucht denn auch zu Begleitern des Kopfreisenden. Er genießt fröhliche, entspannte Momente. Die vielen Charaktere der Britten-Oper Death in Venice schweben allerdings durch das Dichterzimmer als unerreichbare Wesen. Gespenster sind sie, Fantasiegeschöpfe und wohl schmerzende Teile der Erinnerung an Aschenbachs fernes Glück.

Subtiles Kammerspiel mit pointierter Kammermusik
Foto: Sakher Almonem

Der Dichter sitzt in diesem unheimlichen Ambiente an einem Schreibtisch, wie ihn Thomas Mann bevorzugte. Zudem wirkt er, als wäre er Luchino Viscontis Verfilmung von Manns Novelle Der Tod in Venedig entsprungen. Sie bildet ja auch die Basis für Brittens letzte Oper. All dies sind elegante Verweise auf die Rezeptionsgeschichte der Novelle. Sie würzen quasi zitierend ein subtiles Kammerspiel, das präzise und suggestiv wirkt, ohne je überladen zu sein.

Der schöne Tänzer

Diesen dahinsiechenden Aschenbach, dem sein Domizil zur Todeszone wird, gibt der sehr kultiviert singende Hans Schöpflin mit entschleunigter Intensität: Eine fragile Existenz pendelt zwischen Depression und Faszination für die Tänze des schönen Knaben Tadzio (Jonatan Salgado Romero). Dazwischen wälzt sich Aschenbach im Fiebertraum, der mit filmischen Mitteln effektvoll den Raum flutet. In dieser szenischen Galerie der Ängste und des Begehrens wird ein gutes Ensemble um Martin Achrainer (u.a. als Reisender) und James Laing (Stimme des Apollo) zur Stütze der Produktion.

Brittens perkussiv geprägte und doch melancholische Musik wird beim Brucknerorchester und Dirigent Roland Böer zur pointierten Kammermusik. Ihr sanfter Wellenschlag gibt den Stimmen Geborgenheit. Delikat umgarnt sie als instrumentaler Raum die abstrakten Kantilenen Brittens. (Ljubiša Tošic, 21.5.2018)