Emmanuel Macron (li.) und Angela Merkel wollen im Juni gemeinsame Reformideen für Europa vorstellen. Eine Gruppe deutscher Ökonomen warnt jetzt, dass die Ideen die deutschen Steuerzahler treffen könnten.

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Die Reformpläne aus Brüssel und Paris für die Eurozone gefährden den Wohlstand in Europa, warnen deutsche Ökonomen. In einem offenen Brief stellen sich 154 Wirtschaftsprofessoren gegen einen "weiteren" Ausbau der Währungsunion zu einer "Haftungsunion", die Anreize für wirtschaftliches Fehlverhalten zementiere. Der Appell kommt in einer heißen politischen Phase, in der Italiens neue Regierung Investoren nervös macht und Deutschland und Frankreich über die Zukunft der Währungsunion entscheiden.

Die Verfasser der in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Dienstag abgedruckten Protestnote, darunter der Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute Thomas Mayer, berufen sich auf den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD. Darin spricht sich die neue Bundesregierung dafür aus, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), besser bekannt als Eurorettungsschirm, zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) umzuwandeln. Die Idee hat mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zwei mächtige Unterstützer.

Die Gruppe, zu der auch der frühere Chef des ifo-Instituts Hans-Werner Sinn zählt, befürchtet, dass die deutsche Regierung ihre bisherige Rolle als Bremsklotz bei der Vertiefung der Währungsunion nun aufweicht. Mit ihrem Beitrag senden die Ökonomen vor allem ein allgemeines Warnsignal. Die einzelnen Kritikpunkte beziehen sich nur teilweise auf dezidierte Positionen der Bundesregierung.

Aus ESM werde EWF

Knackpunkt bei einem Europäischen Währungsfonds ist weniger die Rolle als Krisenfeuerwehr als vielmehr die Kontrolle darüber. Bei einem EWF, der im Unionsrecht verankert ist, hätten auch Länder ohne Euro Mitspracherecht. Gläubigerländer wie Deutschland könnten leichter überstimmt werden, der deutsche Bundestag würde sein Kontrollrecht verlieren, lautet die Sorge.

Die Kritiker greifen damit laufenden Gesprächen zwischen Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über die Zukunft der EU vor. Schließlich steht im Berliner Koalitionsvertrag über die Einführung eines Europäischen Währungsfonds auch, dass die Rechte der nationalen Parlamente davon unberührt blieben.

Die ursprüngliche Idee, aus dem Eurorettungsschirm einen Europäischen Währungsfonds zu machen, geht ausgerechnet auf den ehemaligen deutschen Finanzminister und Schuldner-Hardliner Wolfgang Schäuble zurück. Allerdings wollte Schäuble eine unabhängige Institution schaffen, die der Kontrolle der EU entzogen ist. Das grundsätzliche Bekenntnis zum EWF lässt somit noch viel Spielraum offen.

Falsche Anreize

Eine weitere Befürchtung der Verfasser des Aufrufs: Ein Währungsfonds, der als Letztabsicherung für Pleitebanken einspringt, würde Finanzinstituten und Aufsichtsbehörden den Anreiz nehmen, faule Kredite ordentlich zu bereinigen. Tatsächlich hat sich Merkel vergangene Woche für diesen Schritt ausgesprochen, vorausgesetzt, der Risikoabbau in den Bankbilanzen komme ausreichend voran. Auch hier lässt sich Berlin somit Spielraum offen.

Ähnliche Vorbehalte wegen falscher Anreize haben die Ökonomen wegen einer etwaigen EU-weiten Einlagensicherung. Damit würden die Kosten von Fehlern sozialisiert. Im Gegensatz zur Rolle des ESM liege eine EU-weite Einlagensicherung jedoch für Merkel in "weiter Ferne".

Alternative für Eurozone

Statt einer solidarischen Haftung auf EU-Ebene fordern die Ökonomen ein geordnetes Insolvenzverfahren für Euroländer und ein geordnetes Austrittsverfahren aus der gemeinsamen Währung. Auch das massive Anleihenkaufprogramm der EZB soll ein rasches Ende finden. Außerdem sollen die Stimmrechte in der EZB nicht gleich verteilt, sondern mit den aufgenommenen Haftungen verbunden werden.

Die Forderungen der Ökonomen entsprechen weitestgehend Positionen der euroskeptischen AfD, wie Beobachter anmerken. Dementsprechend vielseitig erklangen auch Gegenstimmen.

Kritik aus Ökonomenkreisen

Für Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sind die Vorschläge seiner Kollegen der "sichere Weg, den Euro zu zerstören und Europa und auch Deutschland in eine Krise zu treiben", wie er auf Twitter schreibt.

Der grundlegende Fehler der Autoren sei, wegen potenzieller Fehlanreize jegliche Form der Versicherung abzulehnen. Der SPD-nahe Ökonom ist mit seiner Kritik nicht alleine.

Michael Hüther, Direktor des industrienahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, sieht die Befürchtungen der Gruppe als überzogen an: Wenn man immer das Schlechteste befürchte, stelle sich eigentlich die Existenzfrage für den Euro. (Leopold Stefan, 22.5.2018)