Wien – Patrick G. ist mit einem der schwersten Vorwürfe, die man einem Vater machen kann, vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Elisabeth Reich. Der 34-Jährige soll zwischen 2009 und 2016 seine Tochter wiederholt schwer sexuell missbraucht haben, seit das Kind fünf Jahre alt gewesen ist. Ein Vorwurf, den der Arbeiter unter Tränen leugnet.

Sein Verteidiger Dieter Berthold möchte schon vor Beginn der Einvernahme des Angeklagten die Öffentlichkeit ausschließen, der Senat erfüllt ihm den Wunsch nicht. Daher erfährt das Publikum die familiäre Vorgeschichte. Mit seiner Ex-Frau habe er zwei Kinder gehabt, im Jahr 2008 kam es zur Trennung. "In der ersten Zeit habe ich die Kinder nicht geholt, erst nach circa einem Jahr wieder", erinnert sich der Angeklagte.

Er war damals zurück zu seiner Mutter gezogen, die in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebte. "Am Wochenende, wenn die Kinder da gewesen sind, haben wir auf einer ausziehbaren Bank geschlafen." – "Das ist in Wien eine Couch, habe ich mittlerweile gelernt", merkt die aus einer gebirgigeren Gegend Österreichs stammende Vorsitzende an. 2009 lernte G. auch seine jetzige Frau kennen, als er mit ihr in eine ebenso kleine Wohnung zog, bekamen sein Sohn und seine Tochter aus erster Ehe aber ein eigenes Kinderzimmer, bei einem Umzug in ein Haus ebenso.

Keine Körperpflege bei Besuchen

Geduscht oder gebadet habe er die Tochter bei den Wochenendbesuchen aber nie, beteuert der Angeklagte. "Die haben sich zwei Tage nicht gewaschen?", wundert sich Reich. "Ja, ich habe ihnen mit dem Waschlappen das Gesicht abgewischt, wenn sie schmutzig waren", antwortet der Angeklagte.

Seine zweite Ehe brachte noch mehr Nachwuchs, mittlerweile hat G. sechs Kinder. "Umso mehr Kinder auf die Welt gekommen sind, desto mehr hat sie sich verändert – sie ist nur noch am Handy gewesen", erzählt er über seine älteste Tochter, die ihm den schweren sexuellen Missbrauch vorwirft. "Na ja, das kann aber auch am Alter liegen, sie ist ja ein Teenager", wirft die Vorsitzende ein.

Dass er sein Kind, wie ihm die Staatsanwältin vorwirft, über die Jahre im Bad und in ihrem Bett missbraucht haben soll, streitet G. vehement ab. Das einzig mögliche Motiv, das ihm einfällt: Eifersucht auf die neuen Geschwister.

Verschlossener Brief an Lehrerin

"Wissen Sie überhaupt, wie die Vorwürfe aufgekommen sind?", fragt Reich den Angeklagten. "Es war irgendwas mit einem Brief", lautet die Antwort. "Sie hat in der Schule immer geweint, und die Lehrerin hat ihr angeboten, dass sie in einem Brief schreiben soll, was sie bedrückt, und dass dieser nicht geöffnet wird", erzählt Reich. "Als sich ihre Stimmung nicht gebessert hat, hat die Lehrerin den Brief doch aufgemacht und dann die Mutter verständigt."

Wie sich im Lauf der Verhandlung herausstellt, hat die Jugendliche bereits zum Jahreswechsel 2017/18 ihrer Tante von dem Missbrauch erzählt. Die schildert die Situation als Zeugin so: "Ich habe in der Küche Geschirr abgetrocknet, und sie hat plötzlich ansatzlos gefragt, ob sie mir was erzählen darf. Und dann hat sie gesagt, ihr Vater vergewaltigt sie, seitdem sie sich erinnern kann."

"Wie haben Sie darauf reagiert?", fragt die Vorsitzende. "Am Anfang war ich eher skeptisch, weil sie das lachend erzählt hat. Ich habe ihr dann erklärt, dass ihr Papa krank ist und Hilfe braucht. Und sie es ihrer Mutter erzählen muss, sonst mache ich das." Das machte die Tante nicht. "Ich war mir nicht ganz sicher, und es ist doch eine schwerwiegende Anschuldigung", entschuldigt sie sich.

Fernsehgerät lief rund um die Uhr

Auch die Mutter erstattete erst nach drei Wochen Anzeige, da sie einen Beratungstermin wegen einer Operation versäumte. Ihr sei aber nie etwas aufgefallen, im Gegenteil, es habe nie einen Zeitpunkt gegeben, wo das Kind nicht mehr zu seinem Vater wollte. Im Nachhinein könne sie sich nur erinnern, dass das Kind mit vier oder fünf Jahren einmal gesagt habe: "Beim Spatzi kommt was Weißes raus." Als sie ihren Ex-Mann damit konfrontierte, habe der gesagt, sie müsse das im Fernsehen gesehen haben, da das TV-Gerät 24 Stunden am Tag laufe.

Im November habe der Teenager begonnen, sich zu ritzen, und gesagt, andere würden das auch machen, und das sei lustig. Auch die Halbgeschwister liebe sie, sagt die Frau: "Sie weint heute noch jeden Tag und ist mir böse, weil sie ihre Geschwister nicht mehr sehen darf."

Die jetzige Gattin des Angeklagten schildert das etwas anders. Sie habe zwar ein gutes Verhältnis zu ihrer Stieftochter gehabt, aber nach der Geburt von jedem ihrer vier Kinder habe das Mädchen falsche Anschuldigungen erhoben. "Nach dem ersten Kind hat sie ihrer Mutter erzählt, dass ich sie schlage. Nach dem zweiten, dass sie bei uns nichts zu essen bekommt. Nach dem dritten, dass wir nie etwas unternehmen. Und jetzt dieser Vorwurf."

Mädchen wollte zu Vater ziehen

Laut der leiblichen Mutter hat das Kind davon gesprochen, dass ihr Bruder einmal von der Stiefmutter einen Klaps auf die Finger bekommen habe. Umgekehrt hat sie der Stiefmutter erzählt, sie wolle zu ihnen ziehen, da die Lebensgefährtin ihrer Mutter sie schlecht behandle. Verteidiger Berthold ist auch wichtig herauszuarbeiten, dass das Mädchen bei den Besuchen immer oben im Stockbett geschlafen habe, während ihr Bruder unten lag. Wäre sein 120 Kilogramm schwerer Mandant in der Nacht ins Bett geschlichen, wäre dessen Sohn sicher aufgewacht, ist der Rechtsvertreter überzeugt.

Wie meist in Sexualstrafsachen mit Minderjährigen wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen, als das Video der kontradiktorischen Einvernahme des Mädchens vorgespielt wird. Der anschließende Antrag des Verteidigers, ein psychologisches Gutachten über die Aussagefähig- und Glaubwürdigkeit der Jugendlichen einzuholen, wird vom Senat abgelehnt.

Vorsitzende, Schöffinnen und Beisitzer Peter Sampt haben sich offenbar schon durch das Video eine Meinung gebildet: Sie sprechen G., der seit März in Untersuchungshaft sitzt, nicht rechtskräftig frei und veranlassen seine Enthaftung. (Michel Möseneder, 22.5.2018)