Zum fünfzigsten 1968-Jubiläum denken einzelne Kommentatoren auch über die vergleichsweise Rolle unserer Universitäten heute nach. Dieses Nachsinnen kann nur ein schmerzhaftes sein – so auch bei Christoph Prantner ("Im Wartesaal des Lebens", Sa/So/Mo, 19./20./21. 5. 2018) kürzlich im STANDARD: Wo sind die Universitäten, wo die Studierenden als kritische gesellschaftliche Instanzen heute geblieben? Wo sind die bewusstseins- und demokratiebildenden Prozesse, die 1968 in gewisser Weise auf die ganze Gesellschaft ausstrahlten?

Zu Recht klagt Prantner über fast völlig ausbleibende Proteste Studierender, die gerade angesichts der Zumutungen einer konservativ bis rechtsextrem einzustufenden Regierung angebracht wären. Nur anlässlich der angeblichen Kardinalfrage der Hochschulpolitik, der Studiengebühren, gibt es ein "Protestchen". Ansonsten hecheln viele Studierende pragmatisch-nüchtern ihren ECTS-Punkten nach, von denen schon Exwissenschaftsminister Karlheinz Töchterle meinte, man solle sie rasch wieder abschaffen.

Keine Angst: Hier schwingt nicht ein pensionierter 68er-Professor die moralische Keule gegen heutige Studierende. Im Gegenteil. Der letzte Gedanke oben zeigt schon, dass es in erster Linie um ein reglementierendes verschultes System geht, dessen Implementierung – gemeinsam mit dem demokratiefeindlichen und monokratische Entscheidungen fördernden Universitätsgesetz 2002 – den Unis eines ihrer wesentlichen Merkmale genommen hat. Nämlich ausreichenden Freiraum zum Denken, Diskutieren, Kritisieren, Experimentieren – also eigentlich zum "Lernen" ! Ohne diesen Freiraum ist eine Bildungsanstalt für mich keine Universität.

Mir geht es aber auch um jene Gruppe von Uni-Mitgliedern, die bei der Klage über die Entpolitisierung der Unis meistens vergessen wird: Und das sind wir, die Universitätslehrerinnen und -lehrer, die Leitungsorgane und Funktionäre, die das alles mitgemacht haben und mittragen. Was alles? Da ist zunächst eine extreme Verbürokratisierung und Ökonomisierung der Uni, indem alles folgsam einem ministeriell verordneten Planungs- und Messbarkeitswahn ausgesetzt wird (" Leitungsvereinbarungen", "Wissensbilanzen"). Auch hat man sich ein einseitiges Denken in monetären Kategorien aufzwingen lassen, wo der Drittmittelerwerb eine heilige Kuh darstellt, während etwa die alltägliche Forschungstätigkeit der Mitarbeiter in ihrer Arbeitszeit (also ohne Drittmittel) mehr oder weniger entwertet wird (von der Lehre ganz zu schweigen).

Besser schweigen

Dann die prekären Arbeitsverhältnisse mit immer kürzeren Vertragslaufzeiten (nur noch drei Jahre für Postdoc-Stellen), wodurch jüngere Mitarbeiter unter extremen Qualifizierungsdruck geraten, was durch ständiges Forschungsanträgeschreiben mit oft geringer Erfolgswahrscheinlichkeit zusätzlich erschwert wird. Aus derartigen Gängelungen entsteht leicht eine scheinbare Folgsamkeit vieler Universitätsangehöriger, die sie – falls sie überhaupt Zeit hätten – zu Politik oder zu inneruniversitären Missständen besser schweigen lässt.

Entscheidend scheint mir deshalb auch die Frage: Wie sollen Studierende angesichts solcher, mehrheitlich zu politischer Enthaltsamkeit gezwungener Lehrender auf einmal zu kritischen politischen Subjekten werden? Und: Warum haben an sich gescheite Leute bis hin zu den Führungsorganen das alles recht widerstandslos mitgemacht (ich nehme mich da in manchen Dingen gar nicht aus)? Warum gab es keine nennenswerten Proteste und Streiks? Und was könnten die Unis wenigstens jetzt – die politische Gegenwart böte allen Anlass – daraus lernen und wie könnten sie sich langsam wieder zu einer neuen Haltung durchringen?

Man darf die Verhältnisse im legendären 1968 dabei nicht glorifizieren: Schon damals war es nur ein Teil der Studierenden, der radikale Veränderungen gefordert hatte. Und sicher ging auch viel Fragwürdiges vor sich. Im Positiven aber brauchte es schon damals Leitfiguren, engagierte Hochschullehrer (damals noch fast ausschließlich männlich), die Studierende ermuntert und sich gemeinsam mit ihnen engagiert hatten. Daraus entstand eine Atmosphäre des Freiraums für Kritik und Zukunftsvisionen, der für mich unabdingbar für universitäre Bildung ist.

All das haben wir heute nicht mehr: Die Universität ist vielfach zu einer Art Vollzugsanstalt von Kompetenztrainings und rigiden Kontrollbedürfnissen affirmativer Bildungspolitik geworden, die von einem fragwürdigen Begriff von "Erfolg" und Effizienz beherrscht wird: möglichst schnell durch Bachelor- und Masterprogramme geschleuste Studierende, die funktional für das gesellschaftliche Getriebe sind; zu Projektmanagern mutierte, überlastete Professorinnen und Professoren und in Antragsforschung vergrabene Mitarbeiter, die für alles Kritische im Umfeld kaum mehr Zeit haben (vielleicht auch schon keine ausreichende informell-politische Bildung mehr).

Eine Politik, die bei ihren Machinationen nicht von einer kritischen gebildeten Jugend gestört werden will, mag an solchen Ausbildungsstätten interessiert sein. Aber die sollten dann nicht mehr "Universität" genannt werden. (Josef Christian Aigner, 22.5.2018)