Foto: Armin Smailovic

Wien – In Argos, der Heimat der fluchbeladenen Atriden, hat eine Bande Labormäuse den Laden übernommen. Still kreist die Bühne im Theater an der Wien. Nur ein Grundton begleitet das Mordgeschehen. Ein halbes Dutzend Nager steht vor antikisierender Kulisse in Posen erstarrt. Gegeben wird bei den Wiener Festwochen Die Orestie des Aischylos. Und um das Mindeste zu sagen: Mäusekönig Agamemnon weilt noch in der Ferne, weil seine Schwägerin Helena mit einem besonders fetten Käsestück nach Troja in die Falle gelockt worden ist.

Das deutsche Regiewunderkind Ersan Mondtag hat den Schlüsseltext der antiken Überlieferung in ein szenisches Maus- oder Rattenidiom übersetzt. Der Chor der Ältesten von Argos verfällt bald in wundermilden Gesang. Man meint, Heinrich Schütz wäre bei einem Meister der Minimal Music in einen Leistungskurs gegangen (Musik: Max Andrzejewski).

Hochamt der Ausstattungskunst

In Wirklichkeit wohnt man bloß einem verschmockten Hochamt der Ausstattungskunst bei. Deren Werkstätte ist das Hamburger Thalia Theater (Bühne: Paula Wellmann). Fällt das Kulissentuch, blickt man auf die Betonspindel einer Tiefgarage. Aus deren Bauteilen lässt sich auch kinderleicht eine Wohnanlage formen: Karl-Marx-Stadt, Südhang, deutsche demokratische Spätlese.

Doch Mondtag und seine Griechen mit den spitzen Schnauzen verraten ohnehin nicht, warum sie das blutige Geschehen auf ein Mäusenest aus Bildideen betten. Spätestens mit dem Erscheinen von Orest (Sebastian Zimmler) wird man Zeuge von großväterlichem Deklamationstheater. Mit Hackebeil und Rapunzelzopf verlegt man das Geschehen in die Hirne und Herzen von Kindern, die nicht wissen, wie ihnen geschieht. Immerhin, von Pallas Athene bekommen die beißlustigen Nager die Demokratie beschert. Die Kritik an Populismus und Autoritarismus, mit Blitz und Donner intoniert? Verschenkt an einen Mäusezirkus. (Ronald Pohl, 22.5.2018)