Vorhofer-Preisträger Ernst Sittinger zur Korruption der Nutzerquote
"Kleine Zeitung"-Journalist nahm sich das ewige Spannungsfeld von Journalismus und Medienökonomie vor
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Wien – Zwei der wichtigsten Journalistenpreise des Landes holten Ernst Sittinger ("Kleine Zeitung") und Stefan Kappacher (Ö1) Dienstagabend in der Hofburg ab. Benannt nach dem langjährigen "Kleine"-Innenpolitikautor Kurt Vorhofer und ZiB 2-Anchor Robert Hochner, beide Auszeichnungen würdigen unabhängigen, kritischen politischen Journalismus. Dankreden für diese Preise sind schon traditionell Befunde zur Lage des Journalismus, der Medien, der Politik. >>> Die Rede von Stefan Kappacher finden Sie hier.
Sittinger nahm sich das ewige Spannungsfeld von Journalismus und Medienökonomie vor: Medien sollen Macht kontrollieren und offenen Meinungsaustausch einer bürgerlichen Gesellschaft ermöglichen; zugleich aber verkaufen sie ihre Informationsleistung an Leser und die so gebündelte Aufmerksamkeit der Werbewirtschaft.
Versuchung und Verpflichtung
"Der Grat zwischen ökonomischer Versuchung und gesellschaftspolitischer Verpflichtung war immer schon schmal", sagt Sittinger. "Brisanter" Unterschied zur früher: "Heute wissen wir, was unsere Leser tun." Damit laufe die Branche, "Gefahr, dem verlockenden Sog der billigen Effekthascherei noch weit mehr als in der Vergangenheit zu erliegen.
Statt "Fit to Print" ("New York Times") ein "Wird schon passen", beschreibt Sittinger: "Der Druck der ständigen Rückmeldung von Nutzerquoten hat eine deformierende, ja korrumpierende Kraft. Stetig wächst die Versuchung, journalistische Standards umstandslos über Bord zu werfen."
"So sind wir heute – bizarr genug – stolz auf das, was wir nicht verbreiten", sagt der "Kleine"-Redakteur: "Wir sollten diesen Stolz der Zurückhaltung kultivieren".
Im politischen Journalismus beobachtet Sittinger die Tendenz, "in der Polarisierung verlässlich Partei zu ergreifen: Man findet die türkisblaue Regierung gut oder schlecht, man begrüßt oder verdammt pauschal ihre Reformen, ihr Personal, ihren politischen Stil". Journalisten seien ihren Lesern und Selbstachtung schuldig, "ehrliche Makler der Debatte zu sein" – unter "systemischer Missachtung eigener Vorurteile". (red, 22.5.2018)
"Korrumpierende Kraft der Nutzerquoten": Ernst Sittingers – leicht gekürzte – Dankrede für den Kurt-Vorhofer-Preis im Wortlaut:
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