Philippe Jordan zur Staatsoper: "Das Repertoiresystem mit kontinuierlicher Qualität auszustatten ist herausfordernd."

Foto: Jean-Francois de Leclercq/Opéra de Paris

Nun ist es zwar noch ein Weilchen hin, bis der Wiener Staatsopernvorhang für die neue Direktion hochgeht. In der Welt des Musiktheaters ist die Zeit jedoch "ein sonderbar Ding", wie es im Rosenkavalier heißt. Engagierst du Sänger zu spät, erntest du Besetzungsnöte. Insofern verständlich, dass Philippe Jordan, der als Pariser Musikchef gerade einen Parsifal betreut, mit dem kommenden Direktor Bogdan Roščić längst am Planen ist.

Dabei galt es auch zu klären, ob man als Tandem unfallfrei funktioniert: "Wir hatten ein halbes Jahr lang Gespräche, haben Abende durchdiskutiert." Was wären "Herausforderungen, Chancen? Können wir miteinander? Wie sind unsere Arbeitsweisen?" All dies musste abgeklopft werden, so Jordan. Womöglich denkt er an Direktor Dominique Meyer. Diesem ist – nach Unstimmigkeiten – Musikchef Franz Welser-Möst vorzeitig abhandengekommen.

Konfliktvermeidung brauche mehr als Vertragsklarheit, findet Jordan: "Meine Rechte und Pflichten sind genau umschrieben. Die wahre Grundlage für alles ist aber das permanente Gespräch und das grundlegende Vertrauensverhältnis. Und das, glaube ich, haben wir!" Jordan will sich "in jedem Bereich einbringen und auch beraten. Wenn es im Zweifelsfall Diskussionsbedarf gibt, na, dann redet man eben!"

Das Repertoiresystem

Zu plaudern gilt es immer über das Kunststück, fast täglich zu spielen und dennoch möglichst internationales Niveau zu halten: "Das Repertoiresystem mit kontinuierlicher Qualität auszustatten ist die Herausforderung. Das System können wir nicht ändern. Aber innerhalb der Möglichkeiten des Hauses können wir kreativ damit umgehen."

Dabei sei auch die Präsenz des Musikdirektors essenziell: "Er muss mit Orchester, Chor und vor allem mit dem Ensemble arbeiten. Es muss eine Arbeitsweise etabliert, ja gefordert werden, die bewirkt, dass man jeden Abend gut vorbereitet in die Vorstellung geht." Im Sinn von Präsenz und Kontinuität wird der Schweizer (Jahrgang 1974) ab 2020/21 an die 40 Vorstellungen pro Saison dirigieren. Darin sind zwei bis drei Premieren und bis zu drei Wiederaufnahmen integriert.

Was die zu erwartende Orchesterästhetik für die Staatsoper anbelangt, betont der Nochchef der Wiener Symphoniker seine Sympathie für "Transparenz und Durchhörbarkeit. Die Symphoniker sind dafür sehr offen. Transparenz muss aber nicht bedeuten, dass man auf Sinnlichkeit verzichtet. Es ist nur richtig harte Arbeit", wie etwa auch im Pianissimo die Spannung zu halten: "Das ist sehr anstrengend, da braucht es die meiste Körperspannung." Und dann wäre da "noch der Ausdruck, der nicht vernachlässigt werden darf! Expressiv zu sein heißt allerdings wiederum nicht unbedingt, laut zu spielen."

Auch diese Erkenntnis wird an der Staatsoper beim Umgang mit Sängern helfen, wobei: Interpretation ist eine komplexe Angelegenheit. "Tempo und Charakter eines Werkes – beides hängt zusammen – sind wohl jene beiden Aspekte, die als erstes entschieden werden. Ein Grundkonzept beim Tempo zu besitzen ist gut, aber es muss eben in Verbindung mit dem Werkinhalt stehen. Wesentlich sind die Verhältnisse zwischen schnell und langsam."

Die Schule Bayreuth

Insofern sei das Bayreuther Festspielhaus ein strenger Lehrer: "Dort darf man das Schnelle nicht zu schnell anlegen, sonst wird es oberflächlich. Wenn man jedoch das Langsame zu langsam nimmt, fällt alles spannungsmäßig auseinander. Das sind Basics, aber sie sind wichtig." Und es gilt natürlich, diese auch in der Übergangszeit, die Jordan bevorsteht, nicht aus den Augen zu verlieren.

In Paris wird Jordan von Frühjahr 2020 bis Herbst 2020 immerhin ja auch noch einen neuen Ring des Nibelungen aus der Taufe heben. Die Eröffnungspremiere der neuen Ära an der Staatsoper würde sich dennoch gut ausgehen, heißt es. Natürlich, das alles ist noch Schnee von morgen. (Ljubiša Tošić, 23.5.2018)