John McCain weiß, dass er bald sterben wird. Seit zehn Monaten ist ihm und der Öffentlichkeit bekannt, dass er an einem unheilbaren Hirntumor leidet. Im Senat in Washington, in dem er den Staat Arizona vertritt, hat man ihn seit längerem nicht mehr gesehen. Auf seiner Ranch empfängt er alte Weggefährten, republikanische Parteifreunde und auch Demokraten. "Meine Stunde hat geschlagen", schreibt McCain nun in einem Buch, aller Wahrscheinlichkeit nach, dem letzten.
The Restless Wave, am Dienstag in den USA erschienen, ist mehr als ein Memoirenband. Es ist ein Plädoyer für eine Republik, die weltweit für ihre Ideale kämpft, statt sich von der Welt abzuschotten. Die für Werte steht, statt strikt an den eigenen Vorteil zu denken. Und da mit Donald Trump ein strikt auf eigenen Vorteil bedachter Nationalist im Weißen Haus residiert, auch Kritik an Trump.
Den rügt der 81-Jährige etwa dafür, dass er in der Flüchtlingskrise jegliche Empathie vermissen lasse. Die Welt erwarte ein Amerika, das sich der Probleme der Menschheit annehme. "Wir sollten stolz sein auf diesen Ruf. Ich bin nicht sicher, ob der Präsident das versteht." Trump, schreibt McCain an anderer Stelle, scheine der moralische Charakter von Herrschern nicht zu interessieren.
Falke mit Freunden
McCain, auch das gehört zu seinem Vermächtnis, hat im Zweifel fast immer für bewaffnete Interventionen gegen jene plädiert, die er als Tyrannen sah. Selbst dann noch, als eine Mehrheit seiner Landsleute, ernüchtert durch den Irakkrieg, das anders sah. Barack Obama, der sich weigerte, in Syrien einzugreifen, war in seinen Augen der ewige Zauderer. "Regime Change" ist für ihn kein Konzept amerikanischer Hybris, sondern Verpflichtung. McCain ist ein Hardliner mit Hang zur Verklärung. Aber das ändert nichts an den Sympathien, die er über Parteigrenzen hinweg genießt.
Er war 31, als das Kampfflugzeug, in dem er saß, 1967 über Hanoi abgeschossen wurde. Er katapultierte sich aus der Maschine, brach sich beide Arme und ein Bein und wurde zum Kriegsgefangenen. Nach ein paar Monaten machten die Nordvietnamesen ihm, dem Sohn eines Flottenadmirals, das Angebot, früher als seine Kameraden entlassen zu werden. Er weigerte sich, wurde geschlagen und blieb im "Hanoi Hilton", wie die GIs das Gefängnis voller Sarkasmus nannten. Viele seiner Landsleute verehren ihn deswegen als Helden. Auch für jene, die politisch nichts mit ihm am Hut haben, ist er der Gegenentwurf zu Donald Trump.
Aufseiten des Gegners
McCain ging auch auf die Barrikaden, als bekannt wurde, dass die CIA unter George W. Bush Verdächtige folterte. Er blieb konsequent, als er neulich davor warnte, Gina Haspel, einst Leiterin eines Foltergefängnisses, zur CIA-Direktorin zu küren. Was eine Mitarbeiterin des Weißen Hauses mit den Worten quittierte, dies spiele keine Rolle, "er stirbt ja sowieso".
Dann wäre da noch die Kultur der Debatte, für die der Senator aus Arizona wie kaum ein anderer steht. Er liebt den Streit, die geistreiche Zuspitzung. McCain, witzelt sein alter Vertrauter Mark Salter, würde sogar die Straßenseite wechseln, wenn er drüben jemanden entdecke, mit dem er seine Kräfte messen könne.
Im Herbst 2008, er duellierte sich mit Obama ums Weiße Haus, bei einem Bürgerforum sagte eine seiner Anhängerinnen, sie traue diesem Obama nicht, das sei "doch ein Araber", stellte er sich demonstrativ vor seinen Gegner. Nein, der sei ein anständiger Familienmensch, mit dem er zufällig gewichtige Meinungsverschiedenheiten habe. Was für ein Kontrast zu Trump. Es sei unpatriotisch, "die Ideale aufzugeben, die wir in der Welt etabliert haben, nur um einem halbgaren, fadenscheinigen Nationalismus zu genügen", mahnt der alte Mann nun in seinen Erinnerungen. (Frank Herrmann aus Washington, 23.5.2018)