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Alexis Tsipras auf seiner Bulgarienreise.

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Mit einem Hauch Esoterik will die linksgeführte Regierung in Griechenland in diesem Sommer aus dem acht Jahre langen Spar- und Kreditprogramm segeln. Ministerpräsident Alexis Tsipras präsentiert am Mittwoch im Parlament in Athen einen Maßnahmenkatalog für ein "holistisches Wachstum", das internationale Gläubiger und heimische Wähler gleichermaßen bestricken soll.

Von Steuervereinfachungen über Versprechen neuer Investitionen und der Anhebung des Mindestlohns von derzeit 580 Euro brutto für Arbeitnehmer über 25 Jahre bis zum Anbau von Cannabis für medizinische Zwecke ist in dem Füllhorn alles drin.

Gerecht statt "anarchisch"

Auf 110 Seiten breiten die linksgerichtete Regierungspartei Syriza und der kleine rechtspopulistische Koalitionspartner Anel ihr ganzheitliches Panorama für die Zeit nach August aus, wenn der dritte Rettungskredit ausläuft und Griechenland im Prinzip erstmals wieder auf eigenen Füßen steht. Von einem "anarchischen, fragmentarischen und ungleichen Wachstum" soll Griechenland fortan gerecht und dauerhaft Wohlstand erarbeiten, so wünschte es sich Yiannis Dragasakis, der ehemalige kommunistische ZK-Funktionär und die graue Eminenz der Regierung, in einer Kabinettsitzung am Montag.

Die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia und ihr nahestehenden Medien zerpflückten sogleich den "holistischen" Wachstumsplan. Sie sprachen von Wunschlisten und zusammengestoppelten Papieren der verschiedenen Ministerien ohne klare Linie.

"Nicht bindend"

"Dieser Plan ist für uns nicht bindend", erklärte Maria Spyraki, die Sprecherin der Nea Dimokratia, dem STANDARD. Die Partei werde ihr eigenes Programm vorlegen, das konkretere Angaben über einzelne Wachtumsbranchen wie erneuerbare Energie in Griechenland enthalten wird oder gesellschaftspolitische Themen wie die Liberalisierung der Universitäten. Mit mehr als zehn Prozentpunkten Vorsprung in den Umfragen bereitet sich die Nea Dimokratia längst schon auf die Rückkehr an die Macht vor. Spätestens im September 2019 sind Neuwahlen in Griechenland.

Tsipras und seine Parteifreunde wollen das Ruder aber noch herumreißen und gleichzeitig die Aufsicht durch die Geldgeber der europäischen Institutionen loswerden. Die Aussichten dafür scheinen nicht so schlecht. Regierung und Gläubiger seien sich einig, dass es in der Haushaltsplanung im laufenden und im nächsten Jahr keine Finanzlücke gebe, stellte Tsipras in der Kabinettssitzung fest. Das wäre eine Premiere seit Beginn der Finanzkrise 2010. Griechenland hat seither 260 Milliarden Euro an Krediten erhalten; die Staatsverschuldung blieb dadurch mit rund 180 Prozent der Wirtschaftsleistung weiterhin auf sehr hohem Niveau.

Ironie der Geschichte

Ironischerweise aber war es die linksgeführte Regierung, die ab 2015 das Gros der harten Sparmaßnahmen schulterte. Während Tsipras' linksgerichtete Partei Syriza und die Gewerkschaften jahrelang Massendemonstrationen gegen die Renten- und Lohnkürzungen und Privatisierungen organisiert hatten, gingen während der Regierungszeit der Links-rechts-Koalition zuletzt nur noch wenige Tausende auf die Straßen. Resignation, nicht Widerstand prägen die Stimmung im Land. Dabei zeigen die meisten Wirtschaftsindikatoren mittlerweile nach oben.

Am vergangenen Wochenende verkündete das Finanzministerium in Athen bereits eine vorläufige Einigung mit den Vertretern der Gläubiger im Rahmen der vierten und letzten Finanzüberprüfung des auslaufenden Hilfskredits. Die Finanzminister der Eurogruppe werden bei ihrer Sitzung am Donnerstag bereits eine Vorlage beraten können. Ungelöst waren zuletzt zwei Punkte – die Finanzierung einer neuberechneten Steuer auf Immobilien und die Konditionen für die Privatisierung des staatlichen griechischen Gasversorgers Depa.

Schuldenerleichterungen

Einmal mehr musste die griechische Regierung auch eine Vertagung der Frage weiterer Schuldenerleichterungen hinnehmen. Für Tsipras und seine Partei ist dies die eine politische Trophäe, hinter der sie ohne Erfolg seit nun drei Jahren hinterherjagen. Als Termin für eine Entscheidung in der Eurogruppe, ob die Laufzeiten von Krediten für Griechenland nochmals gestreckt und Zinsen weiter gesenkt werden, ist der 21. Juni festgelegt worden. Spätestens dann wollen sich Athen und die Gläubiger auf einen Mechanismus zur weiteren Überwachung der Haushaltsplanung einigen.

Das "holistische Programm", das Tsipras im Parlament vorstellen wird, ist dabei nicht mehr wirklich neu. Vor einem Monat bereits legte Finanzminister Euklid Tsakalotos den Kreditgebern einen Entwurf vor. Nach mehreren Einsprüchen und Überarbeitungen legte sich die Regierung auf 240 Maßnahmen fest. Gute Wirtschaftsdaten, etwa hinsichtlich des Exportwachstums um 13 Prozent im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr, machen die Regierung Tsipras mutig: Verwaltungsministerin Olga Gerovassili kündigte zu Wochenbeginn schon die Neueinstellung von 7.900 Beamten im nächsten Jahr an. (Markus Bernath, 22.5.2018)