Köln – Der Sonnenaufgang auf dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko dürfte wohl ein unvergleichlicher Anblick sein: An jenen Stellen, die von unserem Zentralgestirn beschienen werden, zeigen sich täglich wiederkehrende strahlenförmig gebündelte Gas- und Staubfontänen, wie Wissenschafter unter der Leitung des Göttinger Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) berichten.

In der in der Fachzeitschrift "Nature Astronomy" veröffentlichten Arbeit vom Mittwoch führen die Forscher diese Strukturen auf die bizarre entenförmige Gestalt des Rosetta-Zielkometen zurück. Die europäische Sonde hatte den kurz Tschuri genannten Kometen von August 2014 bis September 2016 umkreist und untersucht. Dabei erlebte Rosetta hautnah mit, wie sich der Komet auf seiner Reise ins innere Sonnensystem von einem leblosen Brocken zu einem staub- und gasspuckenden Himmelskörper entwickelte.

Die linke Aufnahme zeigt die Hapi-Region des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko kurz nach Sonnenaufgang. Die eindrucksvollen Fontänen aus Gas- und Staub sind deutlich zu sehen. Das rechte Bild stammt aus Simulationen, mit denen die Strukturen reproduziert werden konnten.
Fotos: ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA

Von der Sonne aktiviert

Davon zeugen mehr als 70.000 Aufnahmen des Rosetta-Kamerasystems Osiris, das unter Leitung des MPS entwickelt und gebaut wurde. Auf den Bildern zeigen sich plötzliche Gas- und Staubausbrüche und auch solche, die über längere Zeit stabil sind. "Wenn die Sonne über einem Teil des Kometen aufgeht, wird die Oberfläche entlang der Tag-Nacht-Grenze fast augenblicklich aktiv", erläuterte die MPS-Forscherin Xian Shi.

Die Fontänen aus Gas und Staub, die dann in der Koma – der Kometenatmosphäre – beobachtet werden, seien "sehr verlässlich": "Sie finden sich jeden Morgen an denselben Stellen und in ähnlicher Form", fügte die Erstautorin der Studie hinzu. Verantwortlich für diese frühmorgendliche Aktivität ist Frost, der sich nachts auf der kalten Kometenoberfläche bildet. Sobald die Sonnenstrahlen ihn berühren, beginnt er zu verdampfen.

Gleichmäßig verteilter Frost

"Eruptive Gas- und Staubausbrüche lassen sich oft auf eine Stelle an der Oberfläche zurückführen, an der plötzlich gefrorenes Wasser freigelegt wird, etwa durch einen Erdrutsch", erklärte der MPS-Wissenschaftler und Osiris-Teamleiter Holger Sierks. "Im Fall der Aktivität bei Sonnenaufgang ist dies anders – der Frost ist recht gleichmäßig auf der gesamten Oberfläche verteilt."

Video: Die Animation zeigt den Einfluss der Beobachtungsgeometrie auf Aufnahmen der Gas- und Staubfontänen.
ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA ; Nature Astronomy

Den Forschern stellte sich also angesichts der Osiris-Bilder die Frage, warum die Gas- und Staubemissionen strahlenförmig gebündelt sind und nicht ausschließlich eine homogene Wolke bilden. In ihrer Studie zeigen sie laut MPS nun erstmals ausführlich, dass dieses Phänomen allein durch die ungewöhnliche Form und zerklüftete Topografie des entenförmigen Kometen erklärt werden kann.

Dafür werteten die Wissenschafter Aufnahmen der sogenannten Hapi-Region auf Tschuri aus verschiedenen Blickwinkeln aus. Die Region liegt auf dem "Hals" des Kometen, dem schmalen Verbindungsstück zwischen seinen beiden Teilen.

Zwei maßgebliche Effekte

Dabei stießen die Forscher auf zwei entscheidende Effekte: Zum einen liegen einige Regionen auf der Oberfläche tiefer oder im Schatten – sie werden von den ersten Sonnenstrahlen erst später erreicht. Von den früh und stark beleuchteten Regionen verdampft der Frost hingegen besonders effizient.

Zum anderen zeigte sich, dass Vertiefungen die Gas- und Staubemission geradezu bündeln – ähnlich wie eine optische Linse. "Die komplexe Form des 'Rosetta'-Kometen erschwert viele Untersuchungen – für uns ist sie jedoch ein Segen", betonte Shi. Denn auf einem kugel- oder kartoffelförmigen Kometen wären diese Koma-Strukturen möglicherweise nicht so ausgeprägt – Gas und Staub wären gleichmäßiger verteilt. (APA, red, 24.5.2018)