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Südkoreas Medien meldeten am Donnerstag die Sprengung des nordkoreanischen Atomtestgeländes Punggye-ri. Journalisten aus dem Land waren von Pjöngjang eingeladen worden, sie zu bezeugen. Bildmaterial von der Sprengung gab es vorerst nicht.

Foto: AP / Ahn Young-joon

Pjöngjang/Wien – Sie haben es wirklich gemacht – oder zumindest haben sie etwas gemacht. Journalisten aus den USA, Großbritannien, Russland, China und Südkorea haben am Donnerstag Meldungen der nordkoreanischen Regierung bestätigt, wonach es "massive Explosionen" in der Atomtestanlage Punggye-ri gegeben habe. Pjöngjang hatte die Medienvertreter eingeladen, um Zeugen dessen zu sein, was die Regierung als vollständige Zerstörung des Geländes präsentiert.

Ob bei der spektakulären Aktion wirklich alle Testtunnel in dem Gelände gesprengt wurden, kann freilich niemand sagen – denn das nordkoreanische Atomprogramm ist bekanntlich geheim. Aber selbst wenn Nordkorea das gesamte Gelände zerstört haben sollte, ist es allenfalls ein kleiner, leicht rückgängig zu machender Schritt. Das nukleare Arsenal des Landes bleibt einsatzfähig. Und auch neue Bomben kann Machthaber Kim Jong-un weiterhin bauen lassen.

Was weiß man konkret über das Atomtestgelände Punggye-ri?

Überraschenderweise gar nicht so wenig. Und das meiste Wissen stammt aus öffentlich verfügbaren Quellen. Die Internetplattform "38 North" – sie wird vom Henry L. Stimson Center finanziert – ist mit der Auswertung öffentlich erwerbbarer Satellitenaufnahmen zu einer beliebten Quelle geworden.

Erst am Mittwoch veröffentlichte die Seite einen Plan der Anlage, der das, was bekannt ist, gut zusammenfasst: Mindestens vier Portale führen via Tunnel ins das Gebirge im Nordosten des kommunistischen Landes. Alle vier Tunnel münden in verzweigte Systeme, die – so ist einem nordkoreanischen Propagandavideo von 2009 zu entnehmen – in eine schneckenartig zusammenführende Sackgasse führen. Wird dort eine Atombombe gezündet, lässt die Detonation den seitlich vorbeiführenden Tunnel einstürzen, bevor der größte Teil radioaktiven Materials durch das Portal nach außen dringen kann – ein weltweit gängiges System für unterirdische Atomtests, das ähnlich auch die USA und Frankreich früher angewendet haben.

Ein Bericht des südkoreanischen Fernsehens zeigt, was man über das Tunnelsystem zu wissen glaubt.
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Nordkorea hat das Wissen dafür allerdings aus Pakistan bezogen – der Vater des dortigen Atomprogramms, A. Q. Khan, hatte seine Erkenntnisse, auch jene zum Bombenbau, an das kommunistische Land verkauft. Von den vier bekannten Tunneln in Punggye-ri waren zuletzt noch zwei unbenutzt – die anderen beiden, das sogenannte Ost- und das Nordportal, wurden bei Tests 2006 beziehungsweise 2009–2017 unbenützbar gemacht. Ob es weitere Eingänge gibt, ist nicht bekannt.

Wurde nicht kürzlich gemeldet, dass das ganze Gelände unbenützbar war?

Chinesische Forscher haben in der Tat im vergangenen Monat einen Bericht veröffentlicht, wonach das Gebirge beim bisher letzten Test im September 2017 – dem energiereichsten – abgerutscht und daher für weitere Tests nicht mehr sicher genug sei. US-Experten, darunter jene von "38 North", widersprachen – und ebenso Nordkorea selbst. Die Frage ist für eine Bewertung der Aktion vom Donnerstag entscheidend: Hat Pjöngjang ein Testgelände zerstört, das unbenützbar ist, kann man kaum von einem Zugeständnis sprechen. Vielmehr hätte Nordkorea im Auge der Öffentlichkeit Beweise zerstört, die Nuklearinspekteure im Falle eines Deals mit den USA sonst ausgewertet hätten.

Falls das Gelände zerstört ist – bedeutet das das Ende des nordkoreanischen Atomprogramms?

Keineswegs. Nach sehr konservativen Schätzungen hat Nordkorea noch mindestens ein Dutzend Atombomben unterschiedlicher Sprengkraft. Die meisten Experten gehen von deutlich mehr, nämlich rund 60, aus. Kim Jong-un hat sich bisher nicht zur Größe seines Atomarsenals geäußert, und auch seine Propaganda schweigt sich aus. Auch das wäre ein Problem – denn ohne zu wissen, wie viele Atombomben es gibt, wäre eine Kontrolle über ihre Zerstörung kaum möglich.

September 2017: Kim Jong-Un präsentiert stolz seine Bombe.
Foto: APA/AFP/KCNA VIA KNS/STR

Die "Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel" müsste also auch auf Vertrauen beruhen. Denn weder ist anzunehmen, dass Pjöngjang seine militärischen Anlagen für ausländische Inspektoren öffnen würde, noch ist sicher, dass das Land Atombomben nicht verstecken könnte. Im Gegenteil: Nach südkoreanischen Informationen gibt es im Land rund 10.000 unterirdische Bunker. Viele davon würden sich als Versteck eignen.

Kann Nordkorea denn wenigstens momentan keine neuen Atombomben bauen?

Doch. Das Land reichert weiter Uran an und stellt nach Schätzungen des südkoreanischen Atomforschers Suh Kune-yull in der Zeitschrift "Nature" pro Jahr ausreichend Material her, um rund zwölf neue Atombomben zu bauen. Wie viel angereichertes Uran für diesen Zweck im Land bereits existiert, ist nicht bekannt. Zumindest dieser Prozess wäre allerdings unter Umständen im Fall einer Einigung für Experten einigermaßen überprüfbar – Sicherheit gäbe es aber wohl auch hier nicht.

Es ist also wenig überprüfbar. Aber selbst wenn das ginge: Könnte man sicherstellen, dass Nordkorea sein Programm nicht einfach neu startet?

Auch das hält Experte Suh für sehr unwahrscheinlich. Rund 10.000 Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner sind in der einen oder anderen Weise am Bau von Atombomben beteiligt. Nicht alle haben exaktes Wissen oder Zugang zu Plänen. Aber erst jüngst hat sich am Beispiel des Iran gezeigt, dass Pläne leicht versteckt werden können. Und Wissen der Experten über den Atombombenbau kann, um es in den Worten Suhs zu sagen, "natürlich auch nicht einfach gelöscht werden".

Warum dann die ganze Aufregung?

Die Sprengung der Atomtestanlage ist zunächst einmal ein Schritt, der Vertrauen schaffen und zur Entspannung beitragen soll. Zumindest das ist geglückt – Südkorea und die USA äußerten sich positiv. Pjöngjang kommt damit seinem Wunsch, als Verhandlungspartner ernst genommen zu werden, näher.

Und ganz folgenlos ist es auch militärisch nicht, wenn keine neuen Atombomben getestet werden können. Nach Ansicht der meisten Experten ist Nordkorea noch nicht an jenem Punkt angelangt, an dem es Atombomben klein und leicht genug baut, um sie auf Interkontinentalraketen bis in die USA zu bringen. Pjöngjang selbst bestreitet das und nennt die "Vollendung des nuklearen Abschreckungspotenzials" sogar als Grund für seine Gesprächsbereitschaft. Sofern das Land den Schritt aber noch nicht getan hat, könnte es eine solche Bombe nun nicht mehr testen – das wäre vor einem Einsatz aber vermutlich nötig.

Man kann also kaum überwachen, ob Nordkorea wirklich abrüstet, und auch nicht, ob das Land neue Bomben baut. Worüber wollten Trump und Kim dann am 12. Juni verhandeln?

Genau da lag das Problem, das nun möglicherweise der Grund für die Absage des Gipfels ist: Was mit der "vollständigen und überprüfbaren Denuklearisieurng der Nordkoreanischen Halbinsel" gemeint war – darüber lagen die Vorstellungen weit auseinander. US-Präsident Donald Trump hat sich laut mehreren Medienberichten bisher kaum mit den Details des nordkoreanischen Atomprogramms befasst und lehnt tiefergehende Briefings auch ab. Er versteht unter dem Slogan offenbar, dass Nordkorea alle Atomwaffen abgibt und keine mehr einsetzen kann.

Nordkorea hingegen versteht darunter den Beginn eines langsamen Prozesses der Vertrauensbildung. Pjöngjang würde Maßnahmen wie am Donnerstag setzen, die großteils symbolisch, aber spektakulär sind, sich Südkorea langsam annähern und auf Provokationen verzichten. Eine vollständige Abgabe der Atombomben und der nuklearen Abschreckung sieht Pjöngjang nicht als unmittelbar bevorstehenden Schritt.

Dazwischen gäbe es laut vielen Experten einen Raum, auf den man sich einigen könnte. Ob beide Verhandlungspartner – vor allem aber Trump, der von anderen Voraussetzungen ausgeht – zu einem solchen Kompromiss bereit sind, daran gibt es große Zweifel.

Und was nun?

Darüber machen sich viele Experten Sorgen. Ob es – vor allem in den USA – einen Plan für den Fall eines völligen Scheiterns von Gesprächen gibt, der nicht im Krieg mündet, ist zweifelhaft. Vor allem Äußerungen des US-Sicherheitsberaters John Bolton machen vielen Sorge. Er begrüßte einst den baldigen Beginn der Verhandlungen – denn dann, so Bolton, werde der Verhandlungsweg früher scheitern und daher der Weg zum Krieg frei werden. (Manuel Escher, 24.5.2018)