Fast auf den Tag genau ein Jahr vor den Europawahlen im Mai 2019 beziehungsweise zum Auftakt des österreichischen EU-Vorsitzes ab 1. Juli lässt SPÖ-Chef Christian Kern mit überraschend versöhnlichen Tönen in Richtung von ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz aufhorchen. Er plädiert dafür, an der generellen EU-Linie zum Nutzen des Landes enger zu kooperieren. "Wir stehen an einer Kreuzung zwischen liberalen und illiberalen Kräften der Demokratie, zwischen denen, die Europa stärken wollen, und jenen, die Europa schwächen wollen", sagt der Ex-Kanzler im Interview mit dem STANDARD. Die jüngste Eurobarometerumfrage, wonach nur noch 45 Prozent der Österreicher die EU-Mitgliedschaft als etwas Gutes ansehen, müsse für alle Proeuropäer "ein Alarmsignal" sein. In Italien seien zwei EU-feindliche Bewegungen dabei, die Macht zu übernehmen.

Das bedeutet, "dass wir um ein besseres Europaverständnis ringen müssen", sagt Kern. Leider sei aber der Gedanke, dass das Gemeinsame in Summe mehr ist als die Summe der einzelnen Länder, völlig verloren gegangen. Proeuropäisch zu sein heißt nicht, die österreichischen Interessen in Europa zu optimieren, sondern die Interessen Europas als Ganzes zu optimieren und damit die österreichischen Interessen zu fördern." Er kritisiert zwar, dass ÖVP-Chef Kanzler Kurz und sein Europaminister Gernot Blümel bei den Plänen für das EU-Rahmenbudget zunächst eine "Buchhalterrolle" eingenommen hätten. Aber: Er habe auch positiv registriert, dass Kurz seine Aussagen im Wahlkampf, wonach es keine Steigerung beim EU-Budget zur Stärkung der gemeinsamen Politik geben könne, inzwischen modifiziert habe und "sagt, dass es eine Steigerung geben kann".

Finanzminister Löger habe im STANDARD bestätigt, dass die Regierung mit höheren EU-Beiträgen rechne. Kern: "Ich halte das für richtig (...) Die populistische Ansage ‚Kein Cent mehr für Brüssel‘, die ist nicht durchhaltbar. Wir brauchen da mehr Realitätssinn." Daher sei er bereit, die Regierung zu unterstützen, wenn diese eine echte proeuropäische Haltung einnehme, EU-Institutionen stärken sowie neue Prioritäten bei Sicherheit und Innovation setzen wolle, wie sie der französische Staatspräsident Emmanuel Macron vorgeschlagen habe.

STANDARD: Die Lage der Sozialdemokraten ist in ganz Europa nicht gerade rosig. Woran liegt das?

Christian Kern: Das ist ein Trend, der durch ganz Europa geht, ein massiver Rechtsrutsch, der von der Finanzkrise nach 2008 ausgelöst und von der Migrationswelle beschleunigt worden ist. Anders gesagt: Der Frust, der in der Finanzkrise durch sinkende Reallöhne und steigende Arbeitslosigkeit entstanden ist, hat in der Migrationskrise von den Rechten eine Antwort bekommen, die sehr wirksam gewesen ist. Das ist die Haupterklärung.

STANDARD: Hat man diese Themen unterschätzt?

Kern: Was die SPÖ von den anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa dennoch unterscheidet, ist der Umstand, dass wir bei der Wahl im Herbst leicht dazugewonnen haben. Wir haben uns nicht nur damit beschäftigt, wie wir den Wohlstand verteilen, sondern auch, wie wir ihn schaffen. Das ist für uns wichtig, dass wir neues Wählerpublikum gewinnen. Das ist vielen anderen sozialdemokratischen Parteien noch nicht gelungen.

Kern: "Das ist für uns wichtig, dass wir neue Wähler gewinnen."
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STANDARD: Dennoch, man hätte ja annehmen können, dass gerade in einer Krise wie der in Europa die Sozialfragen in den Vordergrund treten – und damit Chancen für die Sozialdemokratie.

Kern: Diese Fragen wurden am Ende nicht nach sozialen Kriterien aufgelöst. Die teils unkontrollierte Migration hat bis in die Mittelschichten massives Unbehagen ausgelöst. Wir müssen aber jetzt den Blick nach vorne richten, und das sage ich im Lichte der Regierungsbildung in Italien: Wir stehen an einer Kreuzung zwischen liberalen und illiberalen Kräften der Demokratie, zwischen denen, die Europa stärken wollen, und jenen, die Europa schwächen wollen. Ich habe gerade mit Interesse gelesen, wie die Europazustimmung bei den Österreichern aussieht. Das ist ein Alarmsignal.

STANDARD: Nur 45 Prozent der Bürger halten die EU-Mitgliedschaft für gut, zeigen die jüngsten Eurobarometer-Daten – Österreich ist damit beinahe Schlusslicht von 28 EU-Staaten.

Kern: Das heißt, dass wir um ein besseres Europaverständnis ringen müssen, klarmachen, worum es geht, weil wir das auch als Sozialdemokraten brauchen. Wir waren nie die, die der Abschottung das Wort geredet haben, sondern immer eine international denkende Bewegung. Deshalb ist die Krise der EU ein wichtiges Element der Krise, in der die Sozialdemokratie steckt. Aber da kann man etwas dagegen machen.

STANDARD: Dass die Zustimmung in Österreich so gering ist, erscheint paradox, weil das Land von EU-Beitritt und Ostöffnung insgesamt stark profitiert hat. Welche Fehler haben die beiden Volksparteien SPÖ und ÖVP da gemacht, die seit 2006 regiert haben?

Kern: Man darf Europa nicht als Bankomat sehen und die Optimierung nationaler Interessen nicht zum Maßstab machen. Unser Bruttoinlandsprodukt ist um 13 Prozent höher, als es ohne EU-Beitritt wäre. Das hat das Wirtschaftsforschungsinstitut errechnet. Dennoch fangen der Kanzler und der zuständige Minister in der gegenwärtigen Situation beim EU-Budgetrahmen wieder an, die Buchhalterrolle einzunehmen, anstatt zu erklären, in welch immensem Ausmaß Österreich profitiert.

STANDARD: Was hat Ihre Regierung, die sie bis Dezember anführten, dabei versäumt?

Kern: "Proeuropäisch sein heißt nicht, die österreichischen Interessen in Europa zu optimieren, sondern die Interessen Europas als Ganzes zu optimieren."
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Kern: Der entscheidende Gedanke ist: Proeuropäisch sein heißt nicht, die österreichischen Interessen in Europa zu optimieren, sondern die Interessen Europas als Ganzes zu optimieren und damit die österreichischen Interessen zu fördern. Der Gedanke, dass das Gemeinsame mehr ist als die Summe der einzelnen Länder, das ist völlig verloren gegangen. Das wurde bewusst auch geschürt. Deshalb halte ich von der Familienbeihilfendiskussion gar nichts. Wir haben das damals geprüft, es ist klar gegen europäisches Recht. Jetzt ist programmiert, dass man wieder einen Sündenbock schafft. Am Ende wird man sagen, wir hätten es eh gemacht, aber Brüssel ist uns in den Arm gefallen. Das ist die falsche Zuspitzung.

STANDARD: Wir stehen ein Jahr vor EU-Wahlen. Wie will die Sozialdemokratie es anlegen?

Kern: Wir wollen europaweit eine Position behalten, die uns eine Gestaltungsmöglichkeit gibt. Die SPÖ gehört zu den wenigen gut funktionierenden Parteien in Europa. Wir werden daher in der europäischen Sozialdemokratie eine stärkere Rolle einnehmen. Ende Mai gibt es ein Treffen der zentraleuropäischen Parteichefs, und wir werden auch den gesamteuropäischen Nominierungskongress für den gemeinsamen Spitzenkandidaten bei den EU-Wahlen wahrscheinlich in Wien austragen. Wir brauchen eine Perspektive, die nach vorne zeigt, wie wir den Wohlstand der Zukunft bauen, der dann auch allen zugutekommt. Wir müssen wegkommen von einem Nachtwächtereuropa, das den Binnenmarkt als einziges Thema kennt. Stattdessen muss aus dem Europa der Märkte wieder ein Europa der Menschen werden. Das muss spürbar werden.

STANDARD: Geht es dabei um solidarischen Wettbewerb, so wie Ihr Vorgänger Alfred Gusenbauer 2007 von einer solidarischen Hochleistungsgesellschaft gesprochen hat?

Kern: Ich würde das mit Innovation und Gerechtigkeit beschreiben wollen. Natürlich müssen wir den Fortschritt fördern. Europa muss an der Spitze der Technologieentwicklung und der Innovation stehen. Gleichzeitig muss die Digitalisierungsrendite allen zugutekommen, nicht nur den Facebook- und Amazon-Chefs.

Kern: "Natürlich müssen wir den Fortschritt fördern. Europa muss an der Spitze der Technologieentwicklung und der Innovation stehen."
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STANDARD: Wer soll denn Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten werden? Oft genannt werden die Außenbeauftragte Federica Mogherini und Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans.

Kern: Es muss eine starke europäische Persönlichkeit sein, die zeigt, dass wir für ein Anti-Orbán-Europa stehen, für ein offenes, pluralistisches und liberales Europa. Dafür gibt es im Kommissarskollegium einige, die hervorragend geeignet wären. Es gibt auch unter den Regierungschefs einige, die hervorragend geeignet wären.

STANDARD: Bei Anti-Orbán oder bei Polen fällt einem sofort der Name Timmermans ein, der für die Grundrechte zuständig ist, als harter Gegenspieler zur ungarischen und polnischen Regierung.

Kern: Ich hielte ihn für eine exzellente Wahl.

STANDARD: Es gibt das Gerücht, dass die SPÖ die Bewegung des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der einst beim Parti socialiste Wirtschaftsminister war, dann austrat und heute als liberaler Präsident gilt, zu einer Wahlplattform zu überreden. Was ist da dran?

Kern: Eine Wahlplattform wird nur schwer möglich sein, denn das würde die Auflösung von zwei bestehenden Bewegungen in etwas Neuem bedeuten. Das wird Macron nicht attraktiv vorkommen, ich hielte es auch nicht für zielführend. Aber was schon entscheidend ist: Wir brauchen Bündnispartner, inhaltlich gesehen.

STANDARD: Macron kommt zwar von den Sozialisten, aber die französische Partei und die Gewerkschaften sind derzeit diejenigen, die am massivsten gegen seine Reformen mobilisieren.

Kern: Das ist so. Aber er vertritt auf der europäischen Ebene progressive Ideen. Es muss schon unser Ziel sein, als sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament anschlussfähig zu bleiben. Es gibt einige Bewegungen, von Macron bis Syriza, zu denen wir Brücken bauen müssen.

STANDARD: Sie treffen Macron am Montag in Paris. Das Ziel wird also nicht eine gemeinsame Kandidatur sein, sondern ein Gedankenaustausch über das künftige Europa?

Kern: Genau, das ist das Ziel. Wir werden schauen, wo es Übereinstimmungen gibt. Macron wird sich weder den Liberalen noch den Sozialdemokraten anschließen. Ich nehme an, er wird etwas Eigenes machen, wobei das auch für ihn nicht so leicht ist. Wir Sozialdemokraten müssen einen Spitzenkandidaten anbieten, der mindestens mit derselben Leidenschaft für Europa kämpft, wie Macron es tut. Das müssen wir aus eigener Kraft schaffen.

STANDARD: Was ist das Positive an Macrons Vorschlägen?

Kern: Die Vorschläge, die er im Bereich der Fiskal- und Wirtschaftspolitik gemacht hat. Wir brauchen eindeutig mehr Europa. Wir brauchen gemeinsame Ziele, um Investitionen zu fördern und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, nicht nur Inflation und Defizit. Wir brauchen auch eine Stärkung der europäischen Institutionen. Es ist unumgänglich, dass wir Kommission und EU-Parlament stärken, mit dem Erscheinen von immer mehr Rechtspopulisten wird das ein Gebot der Stunde. Wir brauchen auch ein klares Bekenntnis, welche Aufgaben Europa übernehmen soll. Das sind natürlich Außengrenzenschutz, Forschung, gemeinsame Investitionen, Bildung. Wenn man das so sieht, muss man Europa mit der Handlungsfähigkeit ausstatten, die es braucht.

STANDARD: Das war seit 1995 quasi österreichische Staatsräson.

Kern: "Ich bin froh, dass ÖVP-Obmann Kurz sein Wahlversprechen mittlerweile einkassiert hat und sagt, dass es eine Steigerung geben kann. Ich halte das für richtig, wenn wir mehr Europa wollen."
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Kern: Deshalb bin ich unglücklich über die Diskussion zum mittelfristigen EU-Budgetrahmen in Österreich. Sie geht völlig an der Sache vorbei. Wir profitieren mit zig Milliarden Euro von der EU, entspricht dreizehn Prozent des BIP. Und dann diskutieren wir, ob wir für einen EU-Budgetrahmen von 1,11 oder 1,03 Prozent des BIPs zahlen. Aber ich bin froh, dass ÖVP-Obmann Kurz sein Wahlversprechen mittlerweile einkassiert hat und sagt, dass es eine Steigerung geben kann. Ich halte das für richtig, wenn wir mehr Europa wollen.

STANDARD: Also einfach mehr zahlen für mehr Europa?

Kern: Es braucht auch die richtige Prioritätensetzung. Mehr Zukunftsperspektiven, weniger Lobbyismus. Wenn man sich zum Beispiel die Landwirtschaft anschaut, da hätte es keinen Sinn, sie in dem Stil weiter zu fördern wie bisher. Die Kommission hat eine Deckelung von 60.000 Euro EU-Förderung pro Betrieb vorgeschlagen. Ich bin der Meinung, man sollte es schon bei 25.000 Euro deckeln. Das würde nur rund drei Prozent der österreichischen Betriebe betreffen. Der Rest würde weiter eine EU-Förderung kriegen wie bisher, im Schnitt 6.600 Euro aus den Direkthilfen. Mit den dadurch eingesparten 90 Milliarden Euro könnte man den EU-Außengrenzenschutz deutlich aufstocken, gleichzeitig die Entwicklungshilfe kräftig aufstocken. Das gehört beides zusammen. Oder man könnte statt geplant 10.000 Grenzschützer mit diesem Geld sogar 25.000 Grenzschützer finanzieren. Und es wäre ein Beitrag geleistet, das Sicherheitsversprechen einzuhalten.

STANDARD: Klingt da jetzt durch, dass über das Thema Europa zwischen SPÖ und ÖVP eine Art Annäherung stattfinden könnte oder, besser, ein vernünftiger Dialog? Früher war es immer so, dass SPÖ und ÖVP in EU-Angelegenheiten nach außen hin geschlossen aufgetreten sind. Könnte es sein, dass die SPÖ die Regierung unterstützt, wenn sie einen Weg in Richtung gemeinsames Europa geht?

Kern: Absolut. Es gibt bereits veränderte Positionen. Unser Maßstab darf nicht sein, was kommt gerade gut an, sondern was stärkt Österreich in Europa, weil wir alle wissen, dass uns das am Ende mehr nützt als alles andere. Dort wollen wir die Regierung hinbewegen, weil ich das für das einzig Richtige erachte. Die populistische Ansage "Kein Cent mehr für Brüssel", die ist nicht durchhaltbar. Wir brauchen da mehr Realitätssinn.

STANDARD: Finanzminister Hartwig Löger hat in einem STANDARD-Interview bereits klargestellt, dass Österreich ab 2021 mehr ins EU-Budget einzahlen wird als bisher.

Kern: Das habe ich aufmerksam gelesen, ja. Ich halte das für richtig, da bin ich sicher auf der Seite von Löger und nicht bei dem, was Europaminister Gernot Blümel uns im Parlament erzählt hat. Natürlich muss man schauen, was man bei den Verhandlungen noch herausholen kann. Bei den Verwaltungskosten wird man die jährliche Steigerung von drei auf zwei Prozent reduzieren können, da hätte man dann auch einen Schritt gesetzt. Und man könnte die wirklich wichtigen Dinge finanzieren: Forschung und Entwicklung, Sicherheit und Bildung.

STANDARD: Aber was bedeutet das jetzt in Bezug auf Kurz und die spannungsgeladene innenpolitische Situation? Es klingt wie ein Angebot an die ÖVP und Kurz, dass die Proeuropäer in Österreich wieder vernünftig zusammenarbeiten müssen, damit das Gemeinsame nicht den Bach hinuntergeht.

Kern: Ich würde das so formulieren wollen: Die Aufforderung heißt "Gehen wir gemeinsam bei dem, was vernünftig ist. Beenden wir diesen Populismus." Ich weiß, dass das nicht leicht ist, wenn man die Studie über die Haltung der Österreicher zur EU im Kopf hat, aber es ist richtig. Und deshalb müssen wir es tun.

STANDARD: Gibt es dazu bereits eine neue Gesprächsbasis mit Kurz?

Kern: Wir haben das heute zum ersten Mal so formuliert. An sich war es bisher nicht die Haltung der Regierung, die Opposition bei irgendetwas einzubeziehen, sondern, solange es möglich ist, einen Weg allein zu gehen. Aber das wird nicht immer gehen. Spätestens wenn es um mehr Eigenmittel für die EU-Kommission geht, wird man reden müssen.

STANDARD: EU-Eigenmittel heißt Finanztransaktionssteuer, Digitalsteuer.

Kern: Da geht es um Zweidrittelmehrheiten im Parlament. Wir hätten da auch ein paar Vorschläge. Die Steuerverschiebung muss beendet werden, wir müssen die Digitalsteuer in den Griff kriegen, und die Finanztransaktionssteuer soll es geben. Da braucht die Regierung eine Zweidrittelmehrheit. An der Stelle wären wir gut beraten, wie wir im Sinne Europas eine gute Lösung finden.

STANDARD: Was ist an Macron nicht so gut, was sehen Sie kritisch?

Kern: Er hat das Risiko, dass er in dieser schwierigen Situation keine Bündnispartner findet und das dann erst recht Enttäuschung auslöst, wenn es keinen Fortschritt gibt. Er hat hoch angetragen. Ich sehe die Rolle der proeuropäischen Kräfte nicht darin, sich jetzt zurückzulehnen und auf sein Scheitern zu warten, sondern mitzuhelfen, dass er vorankommt. Vielleicht nicht in jedem Detail, wie dem Eurofinanzminister. Da muss man sich genau überlegen, wie man das ausgestaltet, oder die Budgetlinie. Aber wir brauchen die Idee, Europa zu stärken, dringender denn je. Wenn wir Europa aus der Krise führen wollen, dann brauchen wir einen Schritt nach vorn. Wenn wir nicht bereit sind, den zu tun, werden wir am Ende mit einem zerfallenden Europa dastehen.

STANDARD: Zur SPÖ und zur Europawahl in genau einem Jahr: Wie will Ihre Partei sich aufstellen, was sind die Ziele?

Kern: "Wir können die EU nicht zum Sündenbock machen. Wir können Juncker nicht zum bösen Buben machen. Wir brauchen eine positive Europastimmung, müssen den Leuten wieder klarmachen, was das bringt."
Foto: Urban

Kern: Das Wichtigste ist, dass man echt einmal mit Überzeugung für Europa wirbt. Da ist die EU-Ratspräsidentschaft eine Chance. Wir brauchen ein anderes Verständnis, das ist notwendig. Wir können die EU nicht zum Sündenbock machen. Wir können Juncker nicht zum bösen Buben machen. Wir brauchen eine positive Europastimmung, müssen den Leuten wieder klarmachen, was das bringt. Unser Wohlstand hängt daran.

STANDARD: Was ist inhaltlich wichtig?

Kern: Das Zweite ist, dass wir einen Reformplan vorlegen. Wir müssen den sozialen Ausgleich in Europa sicherstellen. Es muss dazu Mindeststandards geben, keine Sozialtransfers. Und wir müssen wieder zu einem handlungsfähigen Europa kommen.

STANDARD: Im Moment sieht es eher danach aus, dass die USA und Präsident Donald Trump das Gesetz des Handelns bestimmen, nicht?

Kern: Was die mit Europa aufführen, ist indiskutabel. Wo sind wir denn, wenn die USA uns sagen, es gebe beim Stahl Zugeständnisse, wenn wir uns bei den Iran-Sanktionen freundlich verhalten? Trump hat Europa mit der Ausweitung der Sanktionen wirklich in eine ganz schwierige Lage gebracht. Deswegen ist es so wichtig, dass Europa zusammensteht, dass die Europäer geeint bleiben.

STANDARD: Die SPÖ wird also mit wem in die Europawahl gehen – der derzeitigen Delegationschefin Evelyn Regner, ihrem Vorgänger und Ex-Verkehrsminister Jörg Leichtfried oder jemand anderem?

Kern: Wir haben vor, das im Oktober zu entscheiden. Wir haben eine große Auswahl. Heute in der Fraktion in Brüssel sind echt Rosen gestreut worden für Regner oder für Josef Weidenholzer. Die haben sich wirklich profiliert, auch Jörg Leichtfried hat einen sehr guten Ruf. Wir schöpfen aus dem Vollen.

STANDARD: Aber es wird kein Quereinsteiger wie früher einmal, sondern einer der profilierten Europapolitiker?

Kern: Es wird jemand sein, der ein europapolitisches Schwergewicht ist. (Thomas Mayer, 25.5.2018)