Im Schlaf arbeitet das Hirn oft am effizientesten, sind Fragen oft die tiefgründigsten: Sind Linke grundsätzlich ironiefähig, und haben ausschließlich sie das politische Engagement gepachtet?

Foto: Jens Neumann / Visum / picturede

Wie Seminararbeiten zu erarbeiten, wie sie zu schreiben sind, welche Fragen gestellt und welche Antworten versucht werden, kann jede Universität entscheiden, wie sie möchte. Was aber jedenfalls gewährleistet sein muss, ist die Berücksichtigung wissenschaftlicher Grundlagen, also etwa Literatur oder gegebenenfalls anderer Quellen wie Akten oder Fotos, je nachdem, worum es geht. Hier könnte es Geschichte oder Politikwissenschaft, vielleicht sogar Philosophie sein, wer weiß.

Christoph Prantners These, oder soll ich lieber sagen falsche Behauptung, ist, dass die Universitäten und die Studierenden ihre Rolle als Motor der politischen Veränderung eingebüßt hätten und dadurch auch gesellschaftlich versagten ("Im Wartesaal des Lebens"). Es ist hier zu fragen, wann die Universitäten und die Studierenden das jemals gewesen sind. Österreichische Universitäten und Studierende kann der Autor sicher nicht damit meinen. In der Seminararbeit wäre dann angemerkt: Bitte Belege dafür nennen, lesen Sie einschlägige Literatur!

Aktive Nazis

Ein Blick in die Geschichte zeigt doch ein ganz anderes Bild: In der Zwischenkriegszeit wurden mit der antisemitischen Studentenordnung des bekennenden Nationalsozialisten, Strafrechtsprofessors und Rektors Wenzel Gleispach jüdische Studierende faktisch aus der Deutschen Studentenschaft eliminiert. Während des Nationalsozialismus – ja, da könnte man zynisch meinen, Prantners These stimmt – waren die Universitäten und die Studierenden Motor gesellschaftlicher Veränderungen, alle Juden sofort raus, prügeln, berauben, denunzieren, alle politisch Andersdenkenden, so sie nicht schon während des Austrofaschismus vertrieben wurden, entlassen und mit Berufsverbot belegen. Und dann nach 1945: Die Nationalsozialisten bleiben zum Großteil in ihren Funktionen, die vertriebenen Hochschullehrer und die wenigen Hochschullehrerinnen, die überlebt haben, werden nicht zurückgeholt. Totenruhe im wahrsten Sinne des Wortes.

1945 wird die Hochschülerschaft gegründet, und bei den Hochschülerschaftswahlen dominiert jahrzehntelang die katholisch-konservative, ÖVP-nahe Österreichische Studentenunion (ÖSU, später AG). Erst 1995 kann erstmals der VSStÖ mit Agnes Berlakovich eine ÖH-Vorsitzende stellen. Und seit 2001 ist es aus mit den konservativen ÖH-Vorsitzenden, Gras, VSStÖ und Fachschaftslisten stellen seither die Vorsitzenden. Also – wie die ergrauten Herren meinen – "Langweiler" und "traurige Streber", denen das gelungen ist, was die 68er nicht einmal in Ansätzen durchsetzen konnten.

Und echt jetzt, die Debatten – jene der sektiererischen K-Gruppen? – haben "die Gesellschaft" umgetrieben? Wo denn? Wann denn? Schön wäre es gewesen, aber die Herren (und nur die kommen in dieser Seminararbeit überhaupt zu Wort) basteln weiter an ihren Mythen von der Bedeutsamkeit und Wirkmächtigkeit ihres Handelns.

Resolution um Resolution

Es waren nicht die Universitäten und es waren nicht die Studierenden die eine Änderung der Universitäten wollten. Unter der damals 66-jährigen Herta Firnberg, der eine Karriere als Wissenschafterin an der Universität verwehrt worden war, wurde in alter josephinischer Tradition 1975 ein Universitätsgesetz beschlossen, in dem alle Kurien (Professoren, Mittelbau, Studierende) – Stichwort Drittelparität – gleichermaßen in Kommissionen vertreten waren. Die Ordinarien fühlten sich düpiert. Die Stellungnahme der Österreichischen Rektorenkonferenz zur Gesetzesvorlage im Jahr 1974 beschwört geradezu den Untergang der Universitäten herauf. Die Rektoren beschlossen Resolution um Resolution, in der letzten erklärten sie, im Falle einer Beschlussfassung über das UOG aus Protest ihren Kollegien den Rücktritt anzubieten. Der Professorenverband rief seine Mitglieder zum Streik auf, der Dozentenverband warnte, der RFS drohte mit Streik. Jaja, die Universitäten und die Studierenden als Motor gesellschaftlicher Veränderungen.

Und selbstverständlich stehen die Studierenden heute für eine Sache auf, nur machen sie das anders als jene, die in wirtschaftlich prosperierenden Zeiten groß geworden sind, ihren Marsch durch die Institutionen gegangen sind und mitverantwortlich sind für die Veränderung der Strukturen, die sie heute beklagen und bejammern.

Nur als Beispiel sei hier an die Flüchtlingssituation 2015 erinnert – ohne Studierende wäre vieles nicht möglich gewesen, sie waren tagelang auf den Bahnhöfen, haben Quartiere besorgt oder in den Flüchtlingslagern gearbeitet und geholfen, haben Essen und Kleidung herbeigeschafft. Und bis heute kümmern sie sich um Asylwerber, organisieren Rechtsbeistand und Unterkunft, Deutschkurse und Arbeitsplätze. Nichts davon entspricht der wirklich lächerlichen Bemerkung von Christian Fleck, das Höchstmaß an zivilgesellschaftlichem Engagement sei oft Twitter – dort tummeln sich die alten Herren.

Wie schreibt Sybille Hamann so treffend im "Falter"? Die Achtundsechziger und die Frauen: Erstere wollten die Gesellschaft revolutionieren. Letztere schafften das tatsächlich. Null ECTS-Punkte und kein Zeugnis für die Herren Kollegen. (Eva Blimlinger, 24.5.2018)