Frauen beim Autoshoppen in Saudi-Arabien – aber die Fahraktivistinnen sitzen in Haft.

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Der Countdown zum großen Tag hat begonnen, in einem Monat, am 24. Juni, werden saudi-arabische Frauen erstmals Autos lenken dürfen. Genau genommen war das auch bisher nicht explizit verboten, Frauen konnten nur eben keinen Führerschein erwerben. Aber nun sind die Fahrschulen gut gebucht, die Medien voll von Berichten über die weiblichen Marken- und Farbenvorlieben – und Social Media strotzt vor sexistischen Witzen.

In Kampagnen für das Fahrrecht engagierten sich seit dreißig Jahren Frauen, aber auch Männer: Für den Durchbruch brauchte es jedoch das von oben verordnete Modernisierungsprogramm von Kronprinz Mohammed bin Salman. Zum Entsetzen des konservativen Klerus greift er noch andere wahhabitische Gewissheiten an, zum Beispiel, dass nur eine verschleierte Frau eine gute Frau ist. Experten vermuten, dass er dabei nur Saudi-Arabiens Neupositionierung als internationaler Wirtschaftsstandort im Sinn habe, aber diejenigen Bürger und Bürgerinnen des Königreichs, die einfach nur etwas freier leben wollen, stellen die Beweggründe weniger infrage und freuen sich über die Entwicklung.

Backlash befürchtet

Die Sorge vor einem Backlash ist jedoch ständig da – und begründet. Seit vergangener Woche wurden zehn, nach anderen Berichten elf Personen verhaftet, darunter etliche Frauen wie die auch im Westen als Aktivistin bekannte Loujain al-Hathloul, die 2014 für öffentliches Autofahren mehr als zwei Monate im Gefängnis verbrachte. Zunächst wurde eine der Frauen, die 70 Jahre alte Aisha al-Manea, eine Fahraktivistin der ersten Stunde, wieder freigelassen, danach weitere drei. Aber dafür wurde eine weitere Frau verhaftet.

Aber die Geräusche, die von Medien und Regimefreunden kommen, sind beunruhigend. Konnte man anfangs noch vermuten, dass den Frauen einfach die Gelegenheit genommen werden sollte, den 24. Juni als Tag des Erfolgs der Zivilgesellschaft zu verbuchen und auf andere Forderungen – vor allem auf die Abschaffung der männlichen Vormundschaft über die Frauen – aufmerksam zu machen, so lauten die offiziellen Vorwürfe auf "Verrat" und "Spionage".

Hathloul "Agentin für Katar"?

Eine "Zelle", die in Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften soziale und religiöse Zwietracht in Saudi-Arabien säen wolle, sei ausgehoben worden, meldeten die Behörden. In der populären "Okaz" und ihrer englischsprachigen Ausgabe "Saudi Gazette" erschien am Mittwoch ein Artikel, in dem sich Rechtsexperten darüber auslassen, dass für Spionage die Todesstrafe angemessen ist. Der emiratische Politikwissenschafter und Saudi-Freund Abdulkhaleq Abdulla twitterte, die verhaftete Hathloul sei eine "Agentin für Katar". Die Eskalation des Konflikts mit Katar jährt sich Ende Mai.

Die Frage ist nun: Was ist los in Saudi-Arabien? Manche Beobachter interpretieren die Entwicklungen so, dass der starke Mann des Regimes, Mohammed bin Salman, nach innen unmissverständlich klarzumachen versucht, was Analytiker von außen ohnehin die ganze Zeit schreiben: dass der Modernisierungskurs nichts mit der Garantie auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit und mit politischer Freiheit zu tun hat. Der PR-Schaden ist zwar im Moment gegeben – die westliche diplomatische Community in Riad ist entsetzt –, wird aber bald wieder verschwunden sein.

An zwei Fronten

Dennoch, ganz ist der Eindruck von erhöhter Nervosität nicht von der Hand zu weisen. Der Kronprinz kämpft ja sozusagen an mehreren Fronten: Da gibt es Kräfte in der Familie und der Elite, die sich ausgebootet fühlen und die ihn beschuldigen, das Land in den Ruin zu treiben (womit sie jedoch nicht die Modernisierung meinen). Auf Middle East Eye erschien vor wenigen Tagen ein Interview mit einem dissidenten Prinzen, in dem dieser den letzten dafür infrage kommenden Sohn des Staatsgründers Ibn Saud und Bruder von König Salman, Ahmed bin Abdulaziz, dazu auffordert, die Macht zu übernehmen.

Die zweite Front sind die ultrakonservativen Kräfte, die der Kronprinz völlig ignoriert: Laut Mohammed bin Salman ist die Verengung des Islam in Saudi-Arabien ja eine irrtümliche historische Entwicklung, die er rückgängig machen will. Der wahhabitische Klerus ist in Schockstarre, auch diese Kreise fürchten Repression. Aber das TV-Programm eines Predigers, dessen liberale Islam-Lehren seit Jahren für Proteste sorgen, wurde laut der israelischen "Haaretz" jetzt gestoppt: Es handelt sich dabei um den in Wien ansässigen Palästinenser Adnan Ibrahim, der hierzulande wegen seiner antiisraelischen Auftritte bekannt geworden ist, aber radikale innerislamische Reformen fordert. (Gudrun Harrer, 25.5.2018)