"Den müssen wir machen!" – J. R. R. Tolkien, Philologe, Schriftsteller und Weltschöpfer.

Foto: APA/Klett-Cotta Verlag

Was haben das Jahr 1968 und der nach ihm benannte Menschenschlag mit J. R. R. Tolkien und seinem Herrn der Ringe zu tun? Auf den ersten Blick wenig. Zwischen The Lord of the Rings, Tolkiens monumentalem, 1954/1955 erschienenem Fantasy-Opus, und den Anliegen der aufmüpfigen Studentengeneration der 1960er gibt es wenige augenfällige Bezugspunkte. Und doch: Die in die Jahre gekommenen Menschen im deutschen Sprachraum, welche 1968 bewusst live miterlebt haben, werden sich daran erinnern, dass der Herr der Ringe in den Dekaden nach dem Jahr des großen Aufbegehrens ebenso zuverlässig zur Wohngemeinschaftsbibliothek gehörte wie ausgewählte Werke Adornos, die Mao-Bibel oder Schwarze Haut, Weiße Masken von Frantz Fanon.

"Fantasy war eine Gattung, die in den 1960ern in Deutschland nicht existiert hat", meint Stephan Askani, für diese Gattung zuständiger Lektor bei Klett Cotta, dem Verlag, in dem Tolkiens Werke auf Deutsch erscheinen. Von der Mitte der 1960er an kamen zwar erste Übersetzungen der Werke von H. P. Lovecraft auf den Markt – die 1968 bei Suhrkamp publizierte Kurzgeschichtensammlung Ctulhu wurde von niemand geringerem aus dem Englischen übertragen als von H. C. Artmann. Lovecraft und dessen dystopische literarische Horrorwelten will Askani allerdings nicht in die Gattung Fantasy einreihen.

Das Verdienst, diese überhaupt erst erfunden und zu immenser Popularität gebracht zu haben, gebühre eindeutig Tolkien, dem 1892 in Südafrika geborenen und 1973 in Bornemouth verstorbenen Philologen, Dichter und Schöpfer von vielschichtigen, weit in selbstersonnene historische Tiefen hinunter reichenden fiktionalen Welten. Tolkien, meint Askani, habe den Eindruck gehabt, dass die Briten mit ihren Sagen aus dem Artus-Kreis nicht ganz auf der Höhe entsprechender Pendants wie den Nibelungen oder der Troja-Sage gewesen seien und deshalb gewissermaßen zur literarischen Selbsthilfe griffen.

Verlegerischer Coup

Dass Klett Cotta (damals noch Ernst-Klett-Verlag) in den 1960ern die Rechte am Herrn der Ringe erwarb, war keineswegs evident; in einer Zeit, in der man mit der vernichtenden Kategorie Trivialliteratur großzügig umging, hatten mehrere andere Verlage zuvor die Finger von Tolkien gelassen. Betreiber der deutschen Übersetzung war Michael Klett, Sohn des Verlegers Ernst Klett, der Tolkiens Werk bei einem Amerikaaufenthalt kennengelernt hatte und seinen Vater mit der Botschaft "Den müssen wir machen!" zum Handeln motivierte. Ein nicht alltäglicher Coup, wie sich im Nachhinein herausstellte.

Der deutschen Hardcoverausgabe des Jahres 1969 folgte 1978 eine dreiteilige, broschierte, höchst erfolgreiche (Wohngemeinschafts-)Ausgabe in markantem Giftgrün. Um eine Art Sicherheitsgrenze zu den hochliterarischen Gefilden des Verlages (Gottfried Benn, Ernst Jünger) zu ziehen, wurde die "Hobbit Presse" als Heimstätte für Fantasyliteratur ins Leben gerufen. Müßig, zu sagen, dass Peter Jacksons sagenhaft erfolgreiche Lord of the Rings- Filmtrilogie aus den Jahren 2000 ff. den Verkauf abermals in stratosphärische Gefilde hochbeamte. Inzwischen, so Askani, sind allein im deutschen Sprachraum "viele Millionen" Tolkiens über den Ladentisch gegangen. Die Gründung der österreichischen Tolkiengesellschaft, die an diesem Wochenende auf einer Alm im Mühlviertel ihr Frühlingsfest mit Bogenschießen, Mittelerde-inspirierten Workshops und Whiskey-Tasting zelebriert, fällt, ebenfalls von Jacksons filmischem Megaepos mitinspiriert, ins Jahr 2002.

Aber gleichgültig, ob Tolkien-Fan der älteren oder der jüngeren Generation: 2018 verspricht für beide Herausragendes. Am 1. Juni eröffnet in den Bodleian Libraries der Universität Oxford die Ausstellung Tolkien. Maker of Middle-earth, welche von den Veranstaltern als "Once in a Life"-Erfahrung angekündigt wird. Bis zum 26. Oktober werden bisher noch nie öffentlich ausgestellte Originalzeichnungen und Malereien von Tolkien zu sehen sein, rare Objekte aus seinem Besitz, Fanbriefe, Werkentwürfe und eine neue Mittelerde-3D-Karte

Am 31. August folgt dann gleichzeitig auf Englisch und Deutsch die wahrscheinlich letzte große Publikation aus Tolkiens Nachlass, das Buch Der Fall von Gondolin, welches nach Die Kinder Húrins (2007) und Beren und Lúthien (2017) die dritte "lange" Geschichte aus dem ersten Zeitalter von Mittelerde schildert. Herausgegeben wurde Gondolin von Tolkiens auch schon wieder 93-jährigem Sohn Christopher, der sein Leben ganz in den Dienst der Erforschung des enormen erzählerischen Kosmos seines Vaters gestellt hat.

Die oberösterreichische Bibliothekarin Cornelia Veigel, Vorsitzende der etwa 60 Mitglieder umfassenden heimischen Tolkien-Gesellschaft, die quasi als Franchisenehmerin des Tolkien Estate agiert, wird natürlich alles daran setzen, die Ausstellung in Oxford zu besuchen. Der Tolkien-Gesprächsstoff für die Stammtische, die der Verein österreichweit veranstaltet, sollte den heimischen Tolkinianern so schnell nicht ausgehen. (Christoph Winder, 26.5.2018)