Frauenhass und Antifeminismus ist kein Onlinephänomen, doch durch die Anonymität im Netz kommt es zu einem Verstärkungseffekt.

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"Warum sind die Rechten so hip im Netz?", fragte die Autorin Ingrid Brodnig Anfang Mai auf der re:publica, jener Berliner Konferenz, auf der seit 2007 die digitale Gesellschaft seziert wird. Rechtspopulismus, Hasskampagnen und der Kampf dagegen waren nicht erst in diesem Jahr zentrale Themen der re:publica. Dass die Erwartungen an das Internet vor zwei Jahrzehnten noch ganz andere waren, demonstrierte Brodnig anhand eines 1997 veröffentlichten Werbespots des US-amerikanischen Providers MCI: "There is no race, there are no genders, there is no age", heißt es darin. Das Internet, gedacht als Möglichkeitsraum, der frei von Diskriminierungen ist, die einer pluralen und gleichberechtigten Gesellschaft entgegenstehen – eine Utopie, die angesichts aktueller Debatten um Troll-Farmen und Rache-Pornos wie aus der Zeit gefallen wirkt. Selbst feministische Theoretikerinnen wie Sadie Plant und Donna Haraway ließen sich in den 1990er-Jahren vom Technikoptimismus inspirieren und entwarfen eine von Cyborgs bevölkerte Post-Gender-Welt.

Beschimpfen, drohen, bloßstellen

In einem 2016 publizierten Aufsatz formulieren die feministischen Medienwissenschafterinnen Sarah Banet-Weiser and Kate M. Miltner eine These, die als klarer Bruch zum frühen Cyberfeminismus gelesen werden kann: "Wir befinden uns in einer neuen Ära der Gender Wars, einer Ära, die von Gewalt gegen Frauen in Onlineräumen in einem alarmierenden Ausmaß geprägt ist." Hass im Netz, der auch im deutschsprachigen Raum mittlerweile nicht nur Gegenstand wissenschaftlicher und aktivistischer, sondern auch politischer Debatten ist, trifft Frauen ganz besonders. Wie eine breitangelegte US-amerikanische Studie 2016 zeigte, sind sie mit einer weitaus größeren Bandbreite an Hass und folgenreicheren Onlineattacken konfrontiert: Stalking, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen, Drohungen gegen die Kinder, sexualisierte Gewalt wie Revenge Porn. "Diese Art der vergeschlechtlichten Diskriminierung hat ernsthafte Folgen für den Status von Frauen im Netz", sagt Julia Fleischhack, die aktuell an der Georg-August-Universität Göttingen in Sachen Praktiken und Vorstellungen von digitaler Gerechtigkeit forscht, im Gespräch mit dem STANDARD. Frauen üben vermehrt Selbstzensur, ziehen sich zurück – und würden so letztendlich aus dem Netz verdrängt.

Incel, MGTOW und Co

Besonders gefährdet sind Personen, die sich online feministisch äußern: Journalistinnen ebenso wie Genderforscherinnen oder politische Aktivistinnen. 2014 führte "Gamergate" vor Augen, welches Ausmaß Hetzkampagnen gegen einzelne Frauen annehmen können: Was mit einem verleumderischen Posting des Expartners von Spieleentwicklerin Zoë Quinn begann, mündete in eine monatelange Hasskampagne gegen Quinn und zahlreiche Kolleginnen, die von rechten Medien weiter befeuert wurde. Eine Plattform, die dabei eine wesentliche Rolle spielte, nennt sich 4chan. Auf dem 2003 gegründeten Imageboard, das durch Anonymität und lasche Kontrolle geprägt ist, verabredeten sich User mitunter zu den Gamergate-Attacken. 4chan ist nicht nur Wiege populärer Memes und Phänomene wie dem "Caturday", sondern auch Brutstätte menschenfeindlicher Ideen: Rassistische, frauenfeindliche und homofeindliche Sprache durchzieht viele der Diskussionen, auf einzelnen Subboards mischen sich Fotos zerstückelter Leichen mit pornografischen Inhalten und faschistischen Symbolen. Ins Zentrum der Medienöffentlichkeit rückte 4chan zuletzt, als Alek M. im April bei einer Amokfahrt in Toronto zehn Menschen tötete.

Der Täter soll sich der "Incel"-Bewegung ("involuntary celibates", unfreiwillig Enthaltsame) zugehörig gefühlt haben, einer Gruppe, die ihren Frauenhass mit sexueller Zurückweisung begründet und sich aufseiten wie 4chan oder Reddit trifft – wo im vergangenen Jahr ein entsprechender Subreddit mit rund 40.000 Nutzern gesperrt wurde. In solchen anarchischen Ecken des Internets florieren frauenfeindliche Gruppierungen wie radikale Pick-up-Artists oder "MGTOW": Men Going Their Own Way stützen sich auf maskulinistische Vorstellungen wie jene, in der die Unterdrückung von Männern in vermeintlich vom Feminismus beherrschten westlichen Gesellschaften postuliert wird, lehnen Beziehungen mit Frauen aber grundsätzlich ab: Nur so gelinge es, sich dem System zu entziehen und zu männlicher Stärke zurückzufinden.

Wut gegen Minderheiten und Frauen

In der maskulinistischen Onlineszene finden sich aktuell auch alte Bekannte: Pick-up-Artist Roosh V, der vor wenigen Jahren mit seinem "Gedankenexperiment", Vergewaltigung zu legalisieren, weltweit für Aufsehen sorgte, berät auf seinem Youtube-Kanal verzweifelte Anrufer mit "Frauen-Problemen". "In meiner Idealen Welt wäre eine Frau nach der Hochzeit mein Eigentum so wie mein Auto oder mein Haus", erklärt Roosh in seinem neuesten Video.

Die in all ihren Ausprägungen schwer zu fassende "Manosphere" – die sich etwa auch mit VertreterInnen der Alt-Right-Bewegung überschneidet – scheint klar von einer demografischen Gruppe dominiert zu sein: weiße Mittelschichtsmänner. "Hassgruppen sind generell von Männern dominiert – ob offline oder online. Gerade weiße Mittelschichtsmänner erleben politische, ökonomische und kulturelle Umbrüche häufig als Verlust, sie sehen sich neue Hürden gestellt, ihnen bleiben Dinge verwehrt, auf die sie ein Anrecht zu haben glauben", sagt Tristan Bridges, Professor für Soziologie an der University of California, Santa Barbara. Ihre Wut würden diese Männer wiederum in erster Linie gegen Minderheiten und Frauen richten. Auch wenn Frauenhass und Antifeminismus schon lang vor dem Internet ihre Verbreitung fanden – der Anonymität im Netz kommt ein Verstärkungseffekt zu. "Sozialpsychologische Studien haben gezeigt, dass Anonymität unser schlimmstes Verhalten offenbaren kann. In Hassforen findet sich also auch die denkbar abscheulichste Sprache", sagt Bridges.

Wie das in der Praxis aussieht, offenbart ein schneller Blick auf 4chan. "Abtreibung sollte die Zustimmung von Mann und Frau erfordern. Würde eine Frau mein Baby umbringen, würde ich ihr den Kopf mit einer Schaufel vom Rumpf schlagen", schreibt dort ein Nutzer in einer Diskussion über Schwangerschaftsabbruch.

Gerechteres Netz

Hass im Netz nimmt indes nicht nur quantitativ zu – er stellt auch qualitativ ein immer größeres Problem dar. "Heutzutage geht frau nicht online. Mensch ist ständig online und Menschen definieren sich so viel stärker mit ihrem Onlineauftritt", sagt Leonie Tanczer, die am University College London über Internet und Geschlecht forscht. Der Dualismus offline und online wird in fünf bis zehn Jahren gar verschwinden, meint Tanczer. Politische und rechtliche Regulierung hinken dieser rasanten technischen Entwicklung jedoch hinterher.

Auch wenn Hate Speech im Netz längst Thema EU-weiter Kampagnen und zahlreicher Parlamentsdebatten ist – der Kampf gegen den Hass stehe immer noch am Anfang, meint die Sozialwissenschafterin Julia Fleischhack: Neben umfassenden Bildungsmaßnahmen brauchte es "viel mehr Erste-Hilfe-Einrichtungen, professionelle Unterstützung und AnsprechpartnerInnen für Betroffene, die gezielten Hasskampagnen ausgesetzt sind". Aber auch Technologiefirmen stünden in der Verantwortung, ihre Plattformen sicherer, fairer und gerechter zu machen, betont Fleischhack.

Dass die Verantwortung für den Umgang mit den Attacken noch immer viel zu häufig auf betroffenen Einzelpersonen laste, ist auch Tanczer überzeugt. "Vielleicht müssen wir vermehrt darauf zurückgreifen, einen 'kollektiven, digitalen Mut' zu kreieren, wo wir uns unterstützen, eingreifen und gezielt illegales oder kriminelles Verhalten an- und aufzeigen", sagt Tanczer. Selbst wenn die Netzutopien von einst längst verblasst sind, einen grundlegenden Technikoptimismus lässt sich Tanczer nicht nehmen: "Ich glaube weiterhin daran, dass das Internet Möglichkeiten bietet, Räume und Technologien zu schaffen, die Frauen helfen und vielleicht zur Besserung von Ungleichheiten beitragen können." (Brigitte Theißl, 27.5.2018)