Karlo ist gut drauf heute. Mit seiner weichen Nase stupst er den riesigen orangen Ball sachte an, immer wieder. Es sieht so aus, als führe er den Ball ganz lässig. Gemächlich schreitet Karlo eine Runde durch die Reithalle, bevor er ein anderes orangefarbenes Objekt entdeckt, das seine Begierde wesentlich mehr weckt als so ein blöder Ball – die Karotte in meiner Hand. Karlo stutzt, wackelt mit den Ohren und versucht kurz, aus dem Kreis auszubrechen – in Richtung Karotte.

DER STANDARD

Die Reiterin auf seinem Rücken, eine junge Polizeibeamtin, zögert nicht eine Sekunde. Durch einen kurzen, entschiedenen Ruck am Zügel pariert sie das Pferd, und schon ist Karlo wieder aufmerksam und schreitet weiter, den orangen Ball an Nase und Vorderhuf. Erst muss er seine Übungen fertigmachen, er ist schließlich im Dienst. Dann darf er seine Karotte abholen. Das erlaubt Dienststellenleiter Andreas Freundorfer höchstpersönlich.

Karlo mampft, wir freuen uns, Freundorfer lächelt und sagt dann: "Leiwand, gell?" Der Leiter der Münchner Polizeipferdestaffel ist mittlerweile ein Profi im Umgang mit Österreichern. Seit Innenminister Herbert Kickl sich auch für Wien eine Reiterstaffel wünscht, können sich die Münchner der zahlreichen Besuchsanfragen kaum erwehren. Und Freundorfer lädt gern ein auf das ehemalige Olympiagelände, wo sich das Polizeireitzentrum befindet. Er meint, er könne zeigen, was gut sei an einer Polizeireiterstaffel.

Gut ist zum Beispiel, dass Polizisten zu Pferde eine bessere Übersicht haben, sagt er. Oder dass Pferde "die größten Sympathieträger sind, die wir haben". Dass man über Pferde ins Gespräch komme mit den Menschen und sie dadurch auch beruhigen könne. Die Münchner Pferde werden primär in der Crowd-Control, etwa bei Fußballspielen, eingesetzt, oder auf Streife, um das Sicherheitsgefühl der Münchner Bevölkerung zu stärken. Pferde bringen Ruhe ins Geschehen, schwärmt der Reiterstaffelchef.

Reiterstaffelchef Andreas Freundorfer.
Foto: Christian Fischer

Hooligantraining

Apropos Ruhe: Die Trainerin trötet gerade markerschütternd und schwenkt Deutschlandfahnen vor der Nase der vorbeischreitenden Pferde, zwischendurch schlägt sie auf eine Riesentrommel. Die Pferde bleiben ruhig. Über den Hallenboden kullern Plastikflaschen, die Trainerin baut sich vor den Tieren auf und brüllt – als sei sie FC-Bayern- und 1860-Ultra in Personalunion.

Das ist sie auch irgendwie, hier wird gerade der Einsatz der Reiterstaffel bei einem Fußballmatch geprobt. Karlo und Lancelot müssen sich zwischen engen Stangen durchzwängen, vorbei an der wild trommelnden Trainerin. Sie streifen dabei wackelnde, eingeklemmte Gummiwürste. Jede einzelne dieser Übungen wäre für ein Freizeitpferd der totale Stress, der die Urinstinkte anspricht: Flucht, Galopp, Durchgehen. Karlo und Lancelot dagegen sind an diese Art Störung schon gewöhnt. Kein empörtes Schnauben, nicht einmal ein Sprung zur Seite. Beide Pferde vertrauen voll auf ihre Reiterinnen.

Polizeipferd Karlo und der Ball: Zur Crowd-Control gehört auch Dribbeltraining.
Foto: Christian Fischer

Das alles kostet Geld – womit man schon bei den Nachteilen von Polizeireiterstaffeln ist. Anschaffung und Haltung der Tiere sind teuer – in München noch weniger als anderswo, da gehört zumindest die Liegenschaft dem Land. Dadurch wird auch keine Miete fällig – anders als das etwa in Wien der Fall wäre. So kommt die Haltung pro Monat und Pferd auf 300 Euro. Zum Vergleich: Auch in Rosenheim gibt es eine Reiterstaffel, da kostet jedes Pferd pro Monat 750 Euro, weil man sich privat eingemietet hat.

Für den Ankauf eines Pferdes geben die Münchner rund 7000 Euro aus – für zwei- bis dreijährige Wallache, die erst mindestens ein Jahr lang ausgebildet und für den Einsatz trainiert werden müssen. In München beschäftigt man dafür eine auf Gewöhnungsarbeit spezialisierte Trainerin auf Honorarbasis, neben den 35 reiterfahrenen Polizistinnen und Polizisten sind auch acht Pferdewirtschaftsmeister angestellt.

Einsatz limitiert

Länger als vier Stunden täglich dürfen die Pferde nicht im Einsatz sein, das gebieten Tierschutz und ökonomische Vernunft. Junge Pferde werden langsam an die kommenden Einsätze herangeführt. Nur ein erstklassig gehaltenes, trainiertes und gepflegtes Polizeipferd kann die angestrebten 15 Jahre Dienst versehen, schließlich sind die Pferde (und die Reiter) jeden Tag und bei jeder Witterung draußen – auch bei Eis und Schnee.

Zur erstklassigen Haltung, predigt Freundorfer, gehöre auch eine ebensolche Ausstattung. So wie die acht hochmodernen Pferdetransporter für je zwei Pferde mit seitlicher Ladeklappe für ein leichteres Einsteigen. Der bayerische Landesrechnungshof hat die teure Anschaffung dieser Transporter arg zerzaust. Doch, so Freundorfer, "wir konnten erklären, dass wir sie brauchen und effizient einsetzen". Effizient heißt in dem Fall: jeden Tag. Denn die Pferde werden zu ihren Einsatzorten gefahren – die Anreise hoch zu Ross, etwa zum Streifendienst in den Englischen Garten, wäre zu langwierig und zu gefährlich.

Trainerin mit Fahne und Gummiwürsten: Das Training der Polizeipferde ist langwierig und aufwendig.
Foto: Christian Fischer

Ungefährlich ist es dagegen, die Münchner durch bloße Präsenz zu beruhigen. Freundorfer erzählt stolz vom jüngsten Einsatz seiner Staffel in einem Münchner Wohnviertel nach einer Einbruchserie. Bevor die Täter gefasst wurden, sei die Unsicherheit der Bewohner groß gewesen. Dass zweimal pro Tag ein Polizeiwagen durch das Viertel fuhr, habe nicht besonders geholfen. Erst als die Polizeireiter auf Streife gingen, in Vorgärten schauten und mit Leuten plauderten, habe sich die Aufregung gelegt. "Einmal sind wir an einem Café mit Terrassenbetrieb vorbeigeritten, da sind alle Besucher aufgestanden und haben uns applaudiert", erzählt er.

Die Einsatzmöglichkeiten für Pferde sind dennoch limitiert. "Vorhersehbare Lagen" lautet das Stichwort. Es geht um Situationen, die die Tiere geübt haben – und die für Polizeireiter beherrschbar sind. 50 bis 60 Fußballeinsätze pro Jahr sind dabei, oder große Veranstaltungen, wie etwa die Münchner Sicherheitskonferenz.

Auch hier gibt es einen großen Unterschied zu Wien: Die Allianz-Arena als Homebase von Bayern München wird regelmäßig von zigtausenden Fans besucht. Das Stadion umgibt ein riesiger Platz, die Menschenmassen strömen breit von und zum Veranstaltungsort. In Wien ist das nirgendwo der Fall. In Hütteldorf (Rapid) und Favoriten (Austria) wäre ein Einsatz von Pferden sogar gefährlich – es gibt zu wenig Platz rund um die Stadien. Neben dem Ernst-Happel-Stadion im Prater fährt wiederum die U-Bahn vorbei – Pferdeeinsatz zur Crowd-Control ist dort also eigentlich unnötig.

Gewöhnungsarbeit mit blauen Plastikplanen.
Foto: Christian Fischer

Während Österreichs Innenminister Pferde auch bei Demos einsetzen will, ist das in Bayern verpönt: "Wenn die Staatsgewalt quasi der Feind im Geschehen ist, ziehen wir uns zurück, wir würden Pferde und Menschen gefährden", sagt Staffelleiter Freundorfer. Gelassenheit sei auch für Polizisten oberste Devise, meint der Beamte – insofern treffe sich das gut mit den Pferden.

Gelassenheit als Gebot

Auch im Münchner Polizeistall geht es gelassen zu: Geht man an den Boxen vorbei, neigt sich aus fast jeder ein riesiger Pferdekopf den Besuchern entgegen, stupst und beschnuppert sie ausgiebig mit riesigen geblähten Nüstern. Die Beamtinnen und Beamten striegeln die Pferde selbst, sie kümmern sich darum, dass die Sättel in Ordnung sind und keine Druckstellen auf den Pferderücken hinterlassen, sie kontrollieren, ob Hufe neu beschlagen werden müssen, und stellen die Pferde nach einem anstrengenden Einsatz oder Training zur Entspannung in die Infrarotsauna im Stall – bis das Fell dampft.

Bleibt die Frage, ob sich für Wien der Aufwand lohnen würde: hohe Kosten, vergleichsweise wenige Einsatzmöglichkeiten, dafür aufwendiger Aufbau einer Einheit, die es bis dato nicht gab? Dazu will man sich in München naturgemäß nicht äußern. Nur so viel sagt Dienststellenchef Freundorfer: "Uns gibt es in München seit 100 Jahren. Bei uns mischt sich die Politik zum Glück nicht ein." (Petra Stuiber, Video: Christian Fischer, 26.5.2018)