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Die Europabrücke, Brennerautobahn bei Innsbruck: 1963 gebaut, war sie mit 190 Metern über dem Boden die höchste Brücke Europas und eine wichtige Nord-Süd-Verbindung.

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So viel demonstratives Brückenbauen gab es schon lange nicht mehr in der Diplomatie rund um den Wiener Ballhausplatz. Vielleicht überhaupt noch nie in der Zweiten Republik. Das hat Tradition – als Gegenbild zur Donaumonarchie, die an ihrer Unfähigkeit zur inneren Konfliktbewältigung scheiterte, in Austrofaschismus, Naziregime, zwei Weltkriege stürzte, bis eine zerstörte Welt übrigblieb.

Wo immer heute Konflikte ausbrechen oder sogar Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschehen, wann immer zwischen Streitparteien geschlichtet werden könnte, stets sind österreichische Politiker "als Vermittler" zur Stelle – selbst dann, wenn die anderen das gar nicht wollen.

Das wäre gar nicht nötig. Berufsdiplomaten aus Wien sind in der Weltgemeinschaft wegen ihrer hohen Fähigkeiten an sich sehr geschätzt. Wolfgang Petritsch oder Albert Rohan vermittelten einst erfolgreich in Ex-Jugoslawien, Valentin Inzko aktuell in Bosnien-Herzegowina als EU-Beauftragter. Die OSZE-Mission in der Ukraine wird von Martin Sajdik geführt. Die Liste ist lang.

Aber wenn sich Regierungspolitiker persönlich und penetrant direkt zu profilieren versuchen, geht es fast immer schief.

Zwischen West und Ost

Die Österreicher – jahrzehntelang zwischen den großen Machtblöcken West und Ost eingeklemmt – schätzen das Brückenbauen. Deshalb wird auch 25 Jahre nach dem EU-Beitritt der Neutralität gehuldigt, als hätte das Land diesen Status sicherheitspolitisch nicht schon längst gegen Solidarität in der Union eingetauscht. Die EU-Staaten mögen (mit uns!) einstimmig Sanktionen (gegen Russland oder jüngst die USA) beschließen: Tu, felix Austria, hast damit im Notfall nichts mehr zu tun, lautet das Motto. Eine Realitätsverweigerung.

Die Mehrheit der Österreicher stört es nicht. Sie lieben das Symbolische, den Mythos mehr als die harte Wirklichkeit. Sogar mit "stichhaltigen Gerüchten" lässt sich punkten. "Wir" sind alle Brückenbauer, und unsere Machthaber pflegen das Klischee, leben davon gut seit den Zeiten des legen dären SPÖ-Bundeskanzlers Bruno Kreisky.

Er hat es zur unerreichten Meisterschaft gebracht, seinen Landsleuten einzureden, dass er als Weltstaatsmann global die Fäden zog, was so natürlich nicht stimmte. Auch Nachfolger Sebastian Kurz, 1986, drei Jahre nach Kreiskys Rücktritt, geboren, eifert ihm diesbezüglich nach.

Manchmal reicht das Bedürfnis nach dem Brückenschlag weit über schnöde Politik hinaus. So betonte Europaminister Gernot Blümel in Brüssel Anfang der Woche bei der Präsentation des Kulturprogramms für den österreichischen EU-Vorsitz ab Juli: Die Regierung wolle "eine Brücke schlagen zwischen Tradition und Moderne".

Handfester äußerte sich zwei Tage später Vizekanzler Heinz Christian Strache in der EU-Hauptstadt. Die Union solle ihre Sanktionen gegen Russland als Folge der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim beenden. Und: "Österreich setzt sich als neu trales Land in der Sanktionsentwicklung gegenüber Russland für eine Entkrampfung ein, damit am Ende wieder engere Zusammenarbeit und auch eine Aufhebung der Sanktionen der Fall sein kann."

Brückenbauer Strache. Das wird schwierig. Seine Außenministerin Karin Kneissl wird die Verlängerung der EU-Sanktionen demnächst wohl mitbeschließen (müssen).

Strache redete sehr geschraubt zum Thema Brücke und Neutralität. Das war zur Vernebelung auch nötig. Für den FPÖ-Chef war es der erste Besuch in Brüssel überhaupt, seit er 2005 Parteichef geworden war und kaum eine Gelegenheit ausließ, die EU zu attackieren, Brücken zu Euro oder offenen Grenzen zu verbrennen. Ein eigenes Kapitel in der "proeuropäischen" Regierung.

"Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten", soll Karl Kraus gespottet haben. Woher kommt diese hartnäckige Obsession, das kleine Österreich sei eigentlich eine diplomatische Großmacht?

Der lange Schatten der Zwerge

Zurück zu Kreisky. Er hatte seine Meriten, auch außenpolitisch. Weltpolitisch erregte er Aufmerksamkeit, weil er sich des Palästinenserproblems annahm und sich Yassir Arafat zum Freund machte. Das war relativ einfach. Mit dem Terror von Arafats PLO wollten damals wenige Regierungen der freien Welt etwas zu tun haben. Die Beziehung Österreichs zu Israel war entsprechend übel. Entschädigung, Aussöhnung mit den österreichischen Holocaustopfern unterblieben. Kreisky ließ ein großes Konferenzzentrum neben die Uno-City bauen, wertete Wien als Diplomatenmetropole auf. Kurt Waldheim, der spätere Bundespräsident, wurde UN-Generalsekretär.

In der praktischen Politik konnte seither aber kaum ein Erfolg hergezeigt werden. Es gibt keinen wichtigen Brückenbauversuch, in dem die Neutralität wichtig gewesen wäre. Dazu muss man gar nicht erst auf den eher patscherten Versuch von Außenministerin Karin Kneissl verweisen, die im April (an den EU-Partnern vorbei) nach Moskau fuhr, um sich als Vermittlerin zwischen Russland, den USA und dem Westen im Syrien-Krieg anzudienen, mit Wien als Austragungsort. Die Abfuhr, die ihr der russische Außenminister Sergej Lawrow erteilte ("Brauchen wir nicht"), war peinlich.

Die Liste der Fehlschläge ist lang. Bizarr endete etwa ein Versuch Waldheims als Bundespräsident, 1991 nach der Annexion Kuweits durch Saddam Hussein einen Krieg zu vermeiden. Die Weltgemeinschaft stellte den irakischen Diktator unter Quarantäne, forderte ultimativ den Abzug aus Kuweit. Waldheim durchbrach das Em bargo, startete ungebeten eine Friedens vermittlung, wartete in Amman aber vergeblich auf Einlass nach Bagdad: Saddams Außenminister Tariq Aziz rief ihn an und teilte Waldheim mit, dass er in Bagdad unerwünscht sei.

Als Brückenbauerin versuchte sich zehn Jahre später auch ÖVP-Außenministerin Benita Ferrero-Waldner. Sie bot den beitrittswilligen Staaten in Ost- und Ostmit teleuropa eine "Partnerschaft" an, um den Weg in die EU zu ebnen. Nicht nur die Polen lehnten das indigniert ab: Wenn sie von der EU etwas brauchten, wenden sie sich direkt an Brüssel, Paris, Berlin, ließ man sie wissen.

Anfang Juli ist es wieder so weit. Im EU-Vorsitz wollen sich Kurz, Kneissl und auch Finanzminister Hartwig Löger "als Brückenbauer zwischen Ost und West" in der Union anbieten, diverse EU-Reform ansätze der Partner ausbalancieren. Fast hat es den Anschein, als ob die ganze Brückenbauerei vor allem ein Ziel habe: Wer ständig zwischen Positionen zu vermitteln vorgibt, erspart es sich, selbst eine klare Position zu beziehen. Alles kein Zufall. (Thomas Mayer, 26.5.2018)