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Café Mozart. Innere Stadt. Mitte Mai 2018. Frühmorgens. Ein pensionierter Botschafter rührt missmutig in Eiern im Glas. Als österreichischer Außenminister, sagt er, könne man eigentlich gar nichts falsch machen. Der politische Spielraum sei gering, die Medienberichterstattung freundlich bis harmlos. So sei es immer gewesen – bis die gegenwärtige Amtsinhaberin auf den Plan trat.

Aufzug I

Kurz vor der Angelobung der Regierung am 18. Dezember nannte H.-C. Strache die künftige Chefdiplomatin einen "weiblichen Kreisky". Vielen galt das damals als neuester Schmäh des Übertreibungskünstlers und FPÖ-Chefs. Dabei meinte der das durchaus ernst. Karin Kneissl war das Beste, was seine Partei für das Außenamt zu bieten hatte: eine vielsprachige Frau, die als Expertin gilt; eine ehemalige Diplomatin, die das Haus kennt; eine bekannte Journalistin mit guten Kontakten zum Boulevard. Dort, in der Krone, zeigte sich Kneissl dann auch angemessen geschmeichelt über den Vergleich. Kreisky sei ein Staatsmann gewesen, der politische Trends früh erkannt habe. Und ja, auch ihr habe man das "immer wieder als nettes Kompliment entgegengehalten".

Karin Kneissls Sache ist das große Rad. Das würde sie gerne drehen, wenn man sie nur endlich ließe. Aber Karin Kneissls Problem ist auch, dass Kreiskys Zeiten lange vorbei sind. Österreich ist ein kleines Land in der EU – und die Kompetenzen für die Union hat sie sich in den Regierungsverhandlungen vom Kanzler wegnehmen lassen. Es ist klar, wer Koch ist und wer Kellnerin. Das ist ein Setting, das die 53-Jährige schon oft in ihrem Leben als für sie unerträglich dargestellt hat. Anders gesagt: Eine gegen alle – das, was Amerikaner "contrarianism", die absolute Gegnerschaft zu allem und jedem, nennen, ist ihr Spiel.

Das führt naturgemäß zu Spannungen zwischen dem Minoritenplatz und dem Ballhausplatz – und zu steigendem Druck im Außenamt. Dort ist mit immer größerer Intensität zu hören, dass die Ministerin mit einem Kabinett aus vormals Übergangenen regiere, die es nun allen zeigen wollten. Sie sei starrsinnig, beratungsresistent und trete mit dem Habitus einer besserwisserischen Gouvernante auf. Kritik – wegen eines Mangels daran, schreibt Kneissl in ihrem Buch Mein Naher Osten, sei sie aus dem Amt ausgetreten – gelte ihr nun als Majestätsbeleidigung. Generalsekretär Michael Linhart, den sie im selben Buch unterlassene Hilfeleistung im fernen Jahr 1988 unterstellt, suchte bereits das Weite.

Eine substanzielle eigenständige Politik ist zudem kaum zu erkennen. Die Südtirolvorstöße ihres Amtes unter dem Druck der FPÖ – Kneissl betont stets, sie sei parteifrei und nur von der FPÖ nominiert – brachten die ohnehin aufgeregten Italiener auf die Palme. Der Kanzler beendete ihre Türkei-Initiative, noch ehe diese Fahrt aufgenommen hatte. Und der russische Amtskollege Sergej Lawrow lehnte ein Syrien-Vermittlungsangebot barsch ab.

Grand Salon des Hotel Park Hyatt. Innere Stadt. 17. April 2018. Mittags. Der St.-Georgs-Orden und die Paneuropa-Bewegung haben zu "Karl von Habsburg" geladen. Seine "Kaiserliche Hoheit", so wird er hier genannt, wird zur Zukunft Europas sprechen. Kneissl soll die Veranstaltung eröffnen. Sie erscheint mit ihren zwei Boxern und platziert sie in der ersten Reihe. Während ihrer Rede erkundigt sie sich, ob die Hunde auch ihr Wasser erhalten haben. Die schlafen ein und schnarchen so laut, dass Kneissl kaum noch zu verstehen ist.

Aufzug II

Aufgewachsen ist Kneissl teilweise in Jordanien – ihr Vater war Pilot für das jordanische Königshaus, ihre Mutter Stewardess. Sie studiert Jus, bildet sich in den USA und an der französischen Elitehochschule ENA weiter, tritt ins Außenamt ein und schafft es bis ins Kabinett Mock. 1998 verlässt sie, inzwischen an der Botschaft in Madrid beschäftigt, das Ministerium wieder, weil sie mit der Zugangsweise "Weisung ist Weisung" nichts anfangen kann. Sie wird Journalistin bei der Welt und bei der Presse. Eine Redakteursanstellung wird es nie, weil sie, wie ein ehemaliger Kollege bei der Presse erzählt, dem damaligen Auslandschef Andreas Unterberger dauernd seinen Job erklären wollte.

Parallel dazu startet sie eine Karriere als Energieanalystin und Nahostexpertin, die in Funk und Fernsehen gut ankommt, obwohl sie bei Orientalisten als "Hansi Hinterseer der Nahost-Exegese" gilt.

Seit 1998 lebt sie auch auf dem Land, in Seibersdorf nahe Wien. Dort hält sie heute mehr als zwei Dutzend Tiere, die gelegentlich eine schöne Kulisse für die Yellow Press abgeben. In diesen Blättern war trotz der selbstauferlegten Sachorientierung der Ministerin zuletzt täglich deren Krankenbulletin, über deren Hochzeitspläne im August (Krone: "Dann haben nicht nur die Briten ihre Traumhochzeit, sondern auch wir") und über ihr Kinderbuch über Maria Theresia (Österreich) zu lesen.

Voestalpine Stahlwelt. Linz. 4. April 2018. Abends. Bundespräsident Alexander Van der Bellen eröffnet die Botschafterkonferenz mit einer launigen Rede. Die Außenministerin stolpert durch ihre Vorstellung der Prioritäten eines österreichischen EU-Vorsitzes, für den sie gar nicht zuständig ist. Sie sagt, man solle nicht in den Fehler verfallen, Diplomatie mit einer PR-Show zu verwechseln. Allen im Saal ist klar, dass der Adressat dieser Bemerkung heute im Bundeskanzleramt sitzt. Später wird Kneissls Lebensgefährte Wolfgang Meilinger die Ministerin beim Empfang für die Botschafter ohne Unterlass bei Handshakes fotografieren.

Aufzug III

Bekannte beschreiben Kneissl als eine Frau, die sehr herzlich sein könne, wenn sie wolle. Sie sei eine klassische Konservative – oder wie es im Außenamt gelegentlich mit Blick auf den Schmuck der Damen heißt: ein Perlhuhn. Mit der FPÖ habe sie eigentlich gar nichts am Hut gehabt. Das habe sich geändert, als 2012 ihr Buch Testosteron macht Politik erschien, in dem sie über die revolutionäre Energie junger, hormongesteuerter, arabischer Männer schwadronierte. Der darauf folgende Shitstorm ließ sie ideologisch in Richtung Freiheitliche segeln. 2016 brachte sie sich als FPÖ-Präsidentschaftskandidatin ins Spiel, heute ist sie Außenministerin auf deren Ticket.

Residenz des österreichischen Botschafters in Moskau. 19. April 2018, 21.10 Uhr. Kneissl ist auf Besuch bei Sergej Lawrow. Die mitreisenden Journalisten haben sie tagsüber kaum gesehen. Es geht das Gerücht, sie habe Präsident Putin getroffen. Als sie dazu befragt wird, verliert die Ministerin die Contenance: Unlängst in China, da hätten die chinesischen Kollegen tolle Fragen gestellt. Das Wort "unbotmäßig" fällt. Sie sei selbst Berichterstatterin gewesen. Sie kenne das Geschäft. Der slowenische Präsident Kucan habe ihr seinerzeit gesagt: "You are no journalist. You have manners."

Aufzug IV

Als TV-Analystin hat Kneissl, die in ihren Reden heute gern für Nuancen eintritt, zuletzt immer schrillere Töne gewählt: EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker nannte sie einen "arroganten" und "rüpelhaften" "Zyniker der Macht". Die Predigten des Papstes – ein gemeinsames Foto mit Franziskus war ihr erster Tweet als Ministerin – qualifizierte sie als "ignorant und gefährlich naiv". Auch gegenüber Journalisten, bei denen sie eine "aggressive Stimmung" gegen sich selbst verortet, vergisst die Ministerin mitunter völlig auf ihre Impulskontrolle. Einen schlüssigen Grund dafür kann in ihrer Entourage keiner nennen. Hinter vorgehaltener Hand sagt dann aber doch einer: "Versuchen Sie es mit Traumadeutung." (Christoph Prantner, 26.5.2018)