Nicht maschinell, sondern händisch entstehen jene gestrickten Geflechte aus Kupferdraht, die die Ausstellung "Der Himmel ist ein weiter Raum" quasi leitmotivisch durchziehen.

Foto: Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar

Bild nicht mehr verfügbar.

Marisa Merz im Jahr 2013, als sie auf der Biennale von Venedig den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk erhielt.

Foto: Picturedesk

Die Kunstgeschichtsschreibung ist traditionell nicht gerade ein Vorzeigebeispiel für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Diesem Umstand wirkt das Museum der Moderne Salzburg (MdM) seit einigen Jahren entgegen. Beharrlich rückt Direktorin Sabine Breitwieser immer wieder Frauen der Gegenwartskunst ins Licht, ermöglichte neue Blicke auf das OEuvre von Carolee Schneemann, Ana Mendieta oder zuletzt Charlotte Moorman.

Als Coup kann man die aktuelle Ausstellung Der Himmel ist ein weiter Raum sehen. Immerhin gedieh das Schaffen der Italienerin Marisa Merz buchstäblich im Schatten eines Mannes, jenem des Künstlers Mario Merz (1925-2003). Während der Gatte rausging, um als Vertreter der Arte Povera berühmt zu werden, blieb Marisa daheim. Sie kümmerte sich um Tochter Bea, besorgte den Haushalt – und arbeitete in den eigenen vier Wänden an ihrer eigenen Interpretation der "armen Kunst".

Diese "Living Sculpture" zeigte Marisa Merz bei einer Einzelausstellung in Turin 1967, dem Geburtsjahr der Arte Povera.
Foto: Tate, London, 2017

Technoide Quallen

Dass die "Poveristi" unedle, alltägliche Materialien verwendeten, gab der Strömung ihren Namen. Als Angriff gegen die institutionalisierte Hochkultur war es gemeint, wenn man statt Marmor und Bronze nun "kunstferne" Materialien wie Stoff, Holz oder Erde für Skulpturen verwendete.

Diese Sprache eignete sich auch Marisa Merz an, und es ist nicht so, dass sie mit ihren Arbeiten nicht an die Öffentlichkeit getreten wäre. 1967, im Geburtsjahr der Arte Povera, zeigte sie in einer Turiner Galerie eine mächtige Rauminstallation aus Aluminium: Monströs wuchern schuppige Schläuche von der Decke; wie technoide Quallen wirken die verschnörkelten Elemente der Installation, die aus Aluplatten zusammengetackert sind.

Wie etliche Arbeiten Marisa Merz' ist auch diese unkonventionelle Madonnendarstellung ohne Titel und ohne Datierung – die Künstlerin will ihr Schaffen als organisch gewachsenes Ganzes wahrgenommen wissen.
Foto: Agostino Osio, Courtesy Galleria Christian Stein, Mailand

Aneignung maskuliner Sprachen

Eindrucksvoll vermittelt die Arbeit zwischen Industriematerial und organischer Anmutung – und fand entsprechenden Anklang. Ein Club für experimentelle Musik zierte sich damit; in einem Science-Fiction-Film tauchte sie auf. Und dennoch: Germano Celant, jener Kunstkritiker, der im selben Jahr den Begriff Arte Povera geprägt hatte, förderte Marisa nicht wie die Herren der losen Gruppe. Wesentlich mehr als die eine oder andere Teilnahme an Gruppenausstellungen sollte ihr für die kommenden Jahrzehnte nicht zufallen.

An der Produktivität von Merz änderte das nichts. Konsequent trieb sie ihre beredte Aneignung männlich besetzter Kunstsprachen voran: In Kopfzeichnungen zitiert sie Formen des technologieverherrlichenden Futurismus; in "armen" Altarobjekten lässt sie die Ikonenverehrung der Renaissance mit Blech, Spiegeln und Farbschmierern zusammenprallen.

In den Formen griff Marisa Merz' vielfach auf ihre unmittelbare Lebensumgebung zurück. Tatsächlich entstanden – und entstehen bis heute – viele Werke in ihrer Küche in der Turiner Wohnung.
Foto: Renato Ghiazza, Courtesy Archivio Merz, Turin

Architektur, die im Netz zappelt

Wachs und Nylon, derlei Materialien rang sie unzählige Kompositionen ab – vor allem aber auch Kupfer. Ein Leitmotiv der Ausstellung sind Strickstücke aus dünnem Kupferdraht. Merz applizierte kleine Fleckerln auf Objekte, sie schuf damit aber auch raumgreifende Arbeiten. Monumental, segelartig, hängt eine davon an der Wand, gleich einem "Netz, in dem sich das Gebäude verfängt".

Dies eine Interpretation von MdM-Direktorin Sabine Breitwieser, an der sich eine spannende Frage festmachen lässt, die sich schon im Vorjahr angesichts Charlotte Moormans stellte: Wie "feministisch" möchte man aus heutiger Sicht die Kunst der Merz lesen? Lässt sich, wie es der einschlägige Diskurs versucht hat, Kritik aus ihren Arbeiten lesen? Wird man hier eine Zufriedene erkennen oder eine stoisch Ertragende?

Seit den 1970er-Jahren befasst sich Marisa Merz intensiv mit Kopfskulpturen aus ungebranntem Ton.
Foto: David Regen, Courtesy Gladstone Gallery, New York und Brüssel

Späte Anerkennung

Das Verhältnis zu Mario Merz jedenfalls soll zeit seines Lebens ungetrübt gewesen sein. Die Eheleute unterstützten einander, realisierten Aktionen, traten bei Ausstellungen gemeinsam auf. Im MdM zeugt davon etwa ein Arrangement aus spiralförmig angeordneten Glastischen, das Mario für die Teste Marisas schuf, jene einfühlsamen Kopfabstraktionen, mit denen sie sich seit den 1970er-Jahren befasst.

So richtig rezipiert wird das Schaffen der heute 91-jährigen Künstlerin erst seit Anfang der Nullerjahre. 2001 erhielt sie auf der Biennale von Venedig einen Spezialpreis, 2013 den Goldenen Löwen für das Lebenswerk. Erschwert wird die Aufarbeitung ihres Schaffens übrigens vom Umstand, dass Merz noch eine andere vielleicht "maskulin" zu nennende Konvention des Kunstbetriebs unterwanderte: Die meisten Werke sind nicht nur unsigniert, sondern auch undatiert. Auf diese Weise sollte ihr Schaffen als organisches Ganzes wahrnehmbar werden. (Roman Gerold, 27.5.2018)

Eine Gemeinschaftsarbeit: Mario Merz ersann dieses Display für die Präsentation der Kopfskulpturen Marisas.
Foto: Rainer Iglar / Museum der Moderne Salzburg