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Müder Erdoğan.

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Die "eiserne Lady" und Herausforderin Meral Akşener.

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Der Kandidat kommt durch die Tapetentür. Tayyip Erdoğans Hände winken wie von selbst ins Publikum, als wären sie mit einer Springfeder an seinen Armen befestigt. Der Staatschef lächelt müde. Er ist leger gekleidet, grünes Sakko, großkariertes Hemd, wie er es mag, anders als die Minister und Funktionäre im schwarzen Anzug, die vor seinem Auftritt auf der Rednertribüne kurz vorgeführt wurden und dabei ebenfalls durch diese Tür in der Bühnenwand sprangen und wieder verschwanden wir die Figuren eines Gockenspiels.

Tausende von Mobiltelefonen recken sich dem Kandidaten entgegen, der für eine weitere Amtszeit als Staatspräsident gewählt werden will. Der Schal des Fanklubs der hiesigen Fußballmannschaft, das obligatorische Accessoire eines jeden Wahlkämpfers, liegt um Erdoğans Hals. Heute ist es BB Erzurumspor, nur zweite Liga im türkischen Fußball, aber das ist nun unwichtig. In Erzurum, der großen stockkonservativen Stadt in Ostanatolien auf dem Weg zum Kaukasus, hält Erdoğan die offiziell erste Wahlkampfkundgebung für die vorgezogene Präsidenten- und Parlamentswahl am 24. Juni ab.

40 Millionen Touristen

Erdoğans Müdigkeit ist wie weggewischt, als er das Mikrofon packt und auf der Bühne auf- und abzugehen beginnt. Der 64-Jährige ist der erfahrenste und bisher auch erfolgreichste Wahlkämpfer der Türkei. In Erzurum kündigt Erdoğan billigeres Erdgas an – zehn Prozent Preisnachlass habe seine Regierung mit den Russen verhandelt, so berichtet er – eine nationale Autoproduktion mit neuen Arbeitsplätzen und 40 Millionen Touristen im Land bis Ende des Jahres. Die Wirtschaftslage ist für ihn das Risiko dieser Wahl.

Die Schuldigen für den Lira-Verfall, so erklärt der Staatschef und Kandidat, sitzen im Ausland, spekulieren gegen die türkische Währung und machen das Land schlecht. Es ist die übliche Geschichte, schon Hunderte Male erzählt. Erdoğan führt wieder die "Zinslobby" an und erinnert an den Aufstand im Gezi-Park 2013, aus Sicht der Regierung eine reine Operation des Westens. "Wir sind nicht die Vasallen von George Soros, sondern von Allah", ruft er aus. Und wie schon zu anderen Zeiten massiver Kursverluste drängt Erdoğan seine Landsleute, die Dollar und Euro "unter den Polstern" haben, ihr Barvermögen in Lira umzutauschen.

Erdogans Bauunternehmer

Zur selben Zeit, etwas weiter im Westen, tritt Meral Akşener auf. Die Zuhörerschaft, die in Samsun, der religiös-nationalistischen Hafenstadt am Schwarzen Meer, für die 61-jährige Präsidentschaftskandidatin zusammengetrommelt wurde, ist enorm. In Samsun war Mustafa Kemal im Mai 1919 gelandet und hatte den türkischen Befreiungskrieg gegen die ausländischen Großmächte im Land begonnen. Davon zehrt vor allem das rechtsnationale Lager bis heute. In der Provinzstadt Çorum, wo Akşener anschließend spricht, ist das Publikum schon verhaltener. Die rechte Politikerin – sie war vor mehr als 20 Jahren einmal kurzzeitig Innenministerin – wirft Erdoğan Vetternwirtschaft vor. Tayyip Bey nähme seinen Landsleuten das Geld aus der Tasche und gebe es den Bauunternehmern im Dunstkreis der Regierung, behauptet sie.

Die Chefin der neuen rechten Iyi Parti, der Guten Partei, spricht mit dunkler, etwas leiernder Stimme. Sie trägt eine rote, hochgeschlossene Weste wie eine Uniform und kurze rotbraun gefärbte Haare. Das Image, das sie pflegt und das von den Medien transportiert wird, ist das der eisernen Lady. Nur im Staatsfernsehen kommt sie kaum vor, ebenso wie ihre Mitbewerber Muharrem Ince von der sozialdemokratischen CHP oder gar Selahattin Dermirtaş, der inhaftierte frühere Ko-Vorsitzende der prokurdischen HDP. Ganze 38 Sekunden habe das öffentliche türkische Fernsehen ihre Wahlkundgebung in Kayseri am Vortag gezeigt, so klagt Meral Akşener. "Ich werde TRT verkaufen und euch das Geld geben", verspricht sie ihren Zuhörern in Çorum.

Ince kauft ein

Ince legt an diesem Tag eine Pause ein und lässt sich beim Einkauf in einem Supermarkt in Ankara fotografieren. Dafür versucht der 54-jährige Präsidentenkandidat der CHP den Sonntag zu monopolisieren: Gleich vier Wahlkampauftritte hat er in der Provinz Izmir, einer der letzten Hochburgen der Kemalisten in der Türkei. (Markus Bernath, 28.05.2018)