Die Sandinistische Jugend setzt manchmal selbstgebaute Granatwerfer ein.

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Bayra López, eine alleinstehende Mutter zweier Kleinkinder, ist erst vor zwei Wochen aus Masaya Richtung Managua gezogen. "Die Regierung der Ortegas hat viel Gutes getan", sagt sie, "mir hat sie zum Beispiel immer wieder einen kleinen Kredit gegeben. Aber seitdem sie in meiner Nachbarschaft meinen Freund José umgebracht haben, habe ich nicht mehr schlafen können."

Der 18-jährige Bursche, auf den sich Bayra bezieht, war eines der vier Opfer, die am 20. April im Stadtteil Monimbó bei einer Protestdemonstration gegen die staatlich verordneten Pensionskürzungen durch einen gezielten Schuss eines Polizisten der Sondereinheit für die Aufstandsbekämpfung getötet wurden. Der Bürgermeister von Masaya, Orlando Noguera Vega, wird verdächtigt, zuvor ein Kontingent der regierungstreuen Juventud Sandinista (Sandinistische Jugend) auf den Demonstrationszug gehetzt und dann die Polizei aus Managua zu Hilfe gerufen zu haben. Vergangenen Mittwoch wurde Noguera entlassen.

Ehepaar an der Macht

Verfolgt man die Befehlskette der Aufstandsbekämpfung, die laut der Interamerikanischen Menschenrechtskommission seit dem Ausbruch der Unruhen am 19. April im ganzen Land 83 Tote und 860 großteils schwer Verletzte gefordert hat, stößt man auf den Polizeipräsidenten Francisco Díaz, einen engen Verwandten von Rosario Murillo, der Frau und Vizepräsidentin des Staatschefs Daniel Ortega, der sich seit über zehn Jahren im Amt befindet.

Díaz hat sein Amt de facto bereits vor etwa zwei Jahren von der beliebten Aminta Granera übernommen, die zwar weiterhin als Polizeipräsidentin geführt wurde, aber keine operativen Befugnisse mehr hatte. Die ehemalige Klosterschwester und Guerillakämpferin, die die Sicherheitskräfte Nicaraguas unter ihrer Leitung zum Vorbild im mittelamerikanischen Raum entwickeln konnte, hatte erst Ende April auch offiziell ihren Rücktritt erklärt.

Schon vor Graneras Entmachtung durch die ehrgeizige Präsidentengattin, der viele nachsagen, sie lasse sich in ihren Entscheidungen von spiritistischen Ratgebern des afrokaribischen Santería-Kults leiten, begann das blutige Vorgehen gegen Demonstranten: Bereits 2014 ließ Murillo einen Protest der Pensionisten blutig niederschlagen. 2016 folgte die nicht minder brutale Repression der Demonstrationen gegen das von der Volksrepublik China eingefädelte Projekt eines gigantischen interozeanischen Kanals. Und schließlich wurden die Aktivisten einer ökologischen Bewegung gegen die Brandrodung eines Stücks des kostbarsten Primärwaldes Nicaraguas an der Grenze zu Costa Rica brutal eingebremst.

So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass in León, der zweitgrößten Universitätsstadt des Landes, ein Konflikt der Studenten mit der offiziellen sandinistischen Jugendorganisation, die Rosario Murillo seit mehr als zehn Jahren aufgebaut hatte, aus dem Ruder lief. Anibal Toruño, Direktor des eher sandinistenfreundlichen Regionalsenders Radio Darío, behauptete erst Mitte Mai, dass der für die öffentliche Sicherheit verantwortliche Parteichef Roger Salgado die Radiostation habe in Brand stecken lassen – mit dem ausgewiesenen Ziel, die Schuld für diese Brandschatzung den aufmüpfigen Studenten zuzuweisen.

Demos in Managua

Womit der Clan um Rosario Murillo jedoch nicht gerechnet hatte, war der Umstand, dass sich die Bilder von den Gewaltexzessen der nicaraguanischen Polizei und der mit dieser verbundenen paramilitärischen Einheiten der Juventud Sandinista durch die sozialen Medien wie ein Lauffeuer verbreiteten. Und so kam es, dass bald zehntausende Studierende und ihre Sympathisanten in Managua demonstrierten, die wichtigsten Universitäten des Landes besetzten und der Kampf sogar auf den indigenen Stadtkern von Masaya übergriff, einer etwa 35 Kilometer von Managua entfernt gelegenen Stadt, die heute die wichtigste Bastion des Widerstands bildet und von der sich die Polizei seit einigen Tagen völlig zurückgezogen hat.

Daily Mail

Spricht man mit den Jugendlichen, die im ganzen Land auch an den wichtigsten Durchzugsstraßen ihre Barrikaden errichtet haben, fällt auf, dass sie sich meist derselben Slogans bedienen, welche die sandinistische Befreiungsbewegung vor 40 Jahren gegen die Diktatur von Anastasio Somoza von sich gegeben hatte. Nur dass diese Bewegung, die sich heute "Bewegung des 19. April" nennt, über keine Schusswaffen verfügt. Fragt man diese Kämpfer an den Barrikaden und Straßensperren nach ihrem unmittelbaren Ziel, ertönt es unisono: "Que se vayan!" ("Sie sollen verschwinden!") Gemeint sind natürlich Daniel Ortega und dessen Frau Rosario Murillo.

Nationaler Dialog ausgesetzt

Und so stehen auch bei dem nationalen Dialog, der seit vergangener Woche auf Eis liegt und unter den Auspizien der katholischen Kirchenhierarchie in Managua stattfand, rund 50 Vertreter der nicaraguanischen Zivilgesellschaft (unter diesen auch die großen Unternehmerverbände und die Bauernorganisationen) den Vertretern des Regierungslagers gegenüber. Während die Opposition den sofortigen Rücktritt des Präsidentenpaars wegen dessen autoritären Regierungsstils fordert, drängt die vom Außenminister Denis Moncada angeführte Regierungsdelegation auf die sofortige Auflösung der Straßensperren im ganzen Land.

Dazwischen liegt der von der Bürgerorganisation Alianza Civica entworfene und von der von den Bischöfen vorgetragene Vorschlag einer Demokratisierung der politischen Strukturen auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Dieser wurde jedoch von der Regierung Nicaraguas als "untauglicher Versuch eines Staatsstreichs" abqualifiziert, was in den Augen vieler die Gefahr eines Bürgerkriegs wieder auftauchen lässt. Tatsächlich kam es auch am vergangenen Wochenende wieder zu teilweise blutigen Auseinandersetzungen. (Leo Gabriel aus Managua, 27.5.2018)